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Warum eine 'ausgewogene Berichterstattung' polarisiert und falsche Vorstellungen befördert

J. Olaf Kleist
Politikwissenschaftler mit dem Schwerpunkt Flüchtlingsforschung

am Deutschen Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung (DeZIM), Berlin.

Gründer des Netzwerks Fluchtforschung.

Forscht zu, schreibt über und kommentiert Migrations- und Flüchtlingspolitik, insbesondere aber nicht nur in Deutschland und Europa.

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J. Olaf KleistSamstag, 13.02.2016

Das weitverbreitete Prinzip der ausgewogenen Berichterstattung, wie sie von der BBC als “weight of evidence” typisch praktiziert wird, führt zu verzerrten Vorstellungen davon, was die ExpertInnenmeinung zu einem bestimmten Thema ist – so zeigt eine aktuelle psychologische Studie. Bei Forschungsthemen, bei denen WissenschaftlerInnen weitgehend übereinstimmen, führt das Bestreben von JournalistInnen, eine Äquidistanz einzunehmen und unterschiedliche Meinungen darzustellen, dazu, dass Minderheitenmeinungen für sehr viel gewichtiger gehalten werden, als sie in der akademischen Community sind. Beim Thema Klimawandel zum Beispiel: Obwohl klar ist, dass die große Mehrheit der WissenschaftlerInnen eine Steuer auf Kohlendioxid befürwortet, wird Meinungen von SkeptikerInnen mehr Gewicht beigemessen, wenn diese gleichberechtigt neben jener der Mehrheitsmeinung präsentiert wird.

Als Flüchtlingsforscher kenne ich dies Phänomen in den Medien leider nur zu gut: Obwohl es zu vielen Themen in der Migrationsforschung weitgehend Konsens gibt, der auf einer großen Basis von Forschung basiert, zum Beispiel was legale Zugangswege und Grenzpolitik angeht, Verantwortungsteilung im Flüchtlingsschutz oder Faktoren von Migration und Flucht, werden von JournalistInnen oft gezielt WissenschaftlerInnen in die Debatte mit einbezogen, die an der Peripherie oder gar außerhalb der doch recht großen Migrationsforschung stehen. So taucht der Oxford-Ökonomie-Professor Paul Collier immer wieder in den Medien auf, obwohl er mit keinem der drei renommierten Migrationsforschungsinstitute in Oxford verbunden ist. Auch deutsche Professoren, die eigentlich nicht aus der Migrations- oder Flüchtlingsforschung kommen, aber provokante Thesen formulieren, bekommen viel Raum in der öffentlichen Debatte – auch wenn Sie später teils Ihre Aussagen revidieren müssen. So trägt “weight of evidence” zu einer polarisierteren und radikaleren Debatte bei, die trotz Wissenschaft an zentralen Erkenntnissen vorbei geht.

Warum eine 'ausgewogene Berichterstattung' polarisiert und falsche Vorstellungen befördert

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Kommentare 5
  1. Andreas P.
    Andreas P. · vor mehr als 8 Jahre

    Von der merheit abweichende Meinungen haben eine erhöhte Wahrnehmung. Ich finde das uneingeschränkt positiv.

  2. Christoph Zensen
    Christoph Zensen · vor fast 9 Jahre

    Schwieriges Problem.

    Vielleicht sollte man die "abweichende Meinung" nur in jedem x-ten Artikel zum Thema behandeln. Wobei x für den Anteil steht, den diese Gruppe in Bezug auf die Gesamtgruppe ausmacht (Also, wenn nur jeder 1000ste Wissenschaftler abweicht, dann verscheigt man die abweichende Meinung 999 mal und macht sie ein mal zum Thema). Wenn die Mehrheitsmeinung jedoch weniger als 2/3 ausmacht, muss man über die abweichende Meinung jedes mal berichten.

    1. J. Olaf Kleist
      J. Olaf Kleist · vor fast 9 Jahre

      Ich bin kein Journalist und bin mir sicher, zu solch ethischen Fragen gibt es ausgiebige Debatten. Eine einfache Lösung sehe ich jedenfalls nicht. Mir wäre zum Beispiel nicht klar, wie man dies quantifizieren könnte. Und ich finde es jedes Mal sehr nervig, wenn ich Behauptungen von WissenschaftlerInnen in Zeitungen lese, von denen ich weiß, dass sie nicht stimmen, da ich mich mit den wissenschaftlichen Debatten zum Thema auskenne (also wenn es um Migration und Flucht geht). Wäre es nicht auch schon zu viel, wenn man nur einmal die Positionen von Chemtrail-Warnern, Reichsdeutschen oder Holocaust-Leugner ernstnehmend berichten würde? Soweit geht es dann ja selten, aber die abseitigen Meinungen die zu Wort kommen, sind eben auch oft Interesse-geleitet und legitimieren nicht selten eine gefährliche Politik - sei es wenn es um Klimawandel oder um Flüchtlinge geht. Vielleicht ist die Frage, die sich JournalistInnen stellen müssen, was eigentlich eine legitime Gegenmeinung ist. Denn tatsächlich gibt es ja interessante Debatten in der Wissenschaft, sie sind nur nicht unbedingt 1 zu1 auf die politische Debatte übertragbar (z.B. statt Grenze auf oder zu, welche legalen Zugänge machen Sinn).

    2. Christoph Zensen
      Christoph Zensen · vor fast 9 Jahre

      @J. Olaf Kleist [quote]"Wäre es nicht auch schon zu viel, wenn man nur einmal die Positionen von Chemtrail-Warnern, Reichsdeutschen oder Holocaust-Leugner ernstnehmend berichten würde?"[/quote]

      Kann man schon mal machen, aber nur als ernsthaftes Debunking. Das wird sich doch wahrscheinlich sowieso als feste Kategorie im Journalismus etablieren: (Netz-)gerüchte widerlegen. Hierzu passt auch der Piq von @Magdalena Taube https://www.piqd.de/fu...

      [quote]"Vielleicht ist die Frage, die sich JournalistInnen stellen müssen, was eigentlich eine legitime Gegenmeinung ist."[/quote]

      Das ist besser als mein Ansatz. Dafür braucht man Kriterien und dann hopp oder topp.

      Bzw. vielleicht kann man meinen Ansatz dann noch auf die legitime Gegenmeinung anwenden, damit es in der Wahrnehmung dennoch einen Unterschied gibt.

    3. J. Olaf Kleist
      J. Olaf Kleist · vor fast 9 Jahre

      @Christoph Zensen Das scheinen mir alles sinnvolle Ansätze zu sein. Gerade in der momentan polarisierten politischen Stimmung ist es sicherlich nicht leicht, als Journalist einen Weg zu finden, der Wahrheit und Realität gerecht wird.

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