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Flucht und Einwanderung

Postmigrantische Erinnerungen: Für einige ist die Wende kein Grund zum Feiern

J. Olaf Kleist
Politikwissenschaftler mit dem Schwerpunkt Flüchtlingsforschung

am Deutschen Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung (DeZIM), Berlin.

Gründer des Netzwerks Fluchtforschung.

Forscht zu, schreibt über und kommentiert Migrations- und Flüchtlingspolitik, insbesondere aber nicht nur in Deutschland und Europa.

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J. Olaf KleistSamstag, 09.11.2019

In den Jubel über die Öffnung der Mauer stimmten zunächst auch viele Migrant*innen ein, in Ost und West. Doch schnell wurde ihnen zu verstehen gegeben, dass dies nicht ihre Wende war. Oder zumindest keine Wende für sie. Viele Vertragsarbeiter*innen der DDR wurden schnell abgeschoben. Verbliebene Migrant*innen in Ost und West mussten um ihr Leben fürchten. Und anstatt wie andere Westdeutsche nach der Wiedervereinigung im Osten ihr Glück zu suchen, mit Unternehmens- und Geschäftsgründungen oder durch Karrieresprünge, standen sie angesichts bundesweiter Pogrome und Anschläge vor ihren Häusern Wache. Knapp 200 Todesopfer durch rechte Gewalt seit 1990 zählt die Amadeu-Antonio-Stiftung. 

Auch zuvor gab es in der DDR und der BRD bereits – zumeist verschwiegene – Gewalt gegen Ausländer. Doch: 

Vor dem Mauerfall habe man sich in der Bundesrepublik vor allem als Bürger der freien, der westlichen Welt definiert, sagt Poutrus. Das änderte sich mit dem Ende der DDR. „Auf einmal wurde die Abstammung das zentrale Kriterium, über das Menschen eine Daseinsberechtigung verliehen wurde.“ 

Diese Perspektiven und Folgen der Wende bleiben in der heutigen Erinnerung peripher. Kaum kommen migrantische Stimmen im Gedenken vor. Nicht umsonst forderte Ferda Ataman schon letzten Monat eine postmigrantische Erinnerung an die Wiedervereinigung. Angesichts des heute um sich greifenden Rechtsextremismus, der auch in der Nachwendezeit seine Fratze zeigte, scheint dies mehr als geboten. Nach 30 Jahren braucht es endlich eine erinnerungspolitische Wende im Gedenken an die Wende.

Postmigrantische Erinnerungen: Für einige ist die Wende kein Grund zum Feiern

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Kommentare 3
  1. Achim Engelberg
    Achim Engelberg · vor fast 5 Jahre

    Mir scheint, dass durch den Aufschwung nationaler und nationalistischer Gefühl sowie durch die Verunsicherungen nach 1990 es zwar eine Steigerung gab, aber schon davor gab es Todesopfer.

    Hier eine Auflistung.
    https://de.wikipedia.o...

    Sicher weiß ich aufgrund eines Beitrages, den ich unlängst schrieb: Das Buch "Ganz unten" stand 1985/86 ganze 22 Wochen auf Platz 1 der Spiegel-Bestsellerliste stand. Der Publizist Günter Wallraff hatte als vermeintlicher Türke zwei Jahre als Kanalarbeiter und als Hilfskraft in einem Atomkraftwerk, als Proband für Pharmakonzerne und in anderen Dunkelzonen der Wirtschaft malocht, wobei er von seinen deutschen Mitleidenden immer wieder schikaniert wurde, die ihren Frust an dem vermeintlichen Kanaken ausließen. Im Vorwort schreibt Wallraff: „Ich weiß immer noch nicht, wie ein Ausländer die täglichen Demütigungen, die Feindseligkeiten und den Hass verarbeitet. Aber ich weiß jetzt, was er zu ertragen hat und wie weit die Menschenverachtung in diesem Land gehen kann.“

    Das geschah Anfang der 1980er in Westdeutschland.

    1. J. Olaf Kleist
      J. Olaf Kleist · vor fast 5 Jahre

      Keine Frage, der Rassismus wurde nicht 1989 in Deutschland erfunden – das erwähne ich ja oben auch (wobei ich die Wikipedia-Liste nicht kannte). Aber die Wende hat zu einer neuen Dynamik geführt: brennende Häuser, Pogrome, #Baseballschlägerjahre... Wenn zwei Länder ihre nationale Einheit feiern, die weit davon entfernt waren, überhaupt anzuerkennen, Einwanderungsländer zu sein – dann war im nationalen Taumel eben kein Platz für Migrant*innen. Das haben letztere zu spüren bekommen (ohne sich zu verkleiden). Ihr Ausschluss aus dem heutigen Gedenken ist eine Fortsetzung dieser Ausgrenzung und gibt implizit auch 30 Jahre später noch den Rechtsextremen recht, die sich die Wiedervereinigung zu nutzen gemacht haben, ihre Vorstellung eines Deutschlands (nicht nur) in "national befreiten Zonen" durchzusetzen.

    2. Achim Engelberg
      Achim Engelberg · vor fast 5 Jahre

      @J. Olaf Kleist Ja, der Rassismus ist nicht nach 1989 erfunden.

      Für mich war neu, wie stark dieser Stoff, dieses Thema in den 1980er Jahren in Westdeutschland relevant war. Der Wallraff war kein Zufall, es gab dazu auch andere Bücher, Lieder, Theaterstücke und Filme. Das scheint verdrängt zu sein.

      Laut google tauchte das Unwort "national befreite Zonen" zuerst 1990 in einer Jugendzeitschrift der NPD auf. Diese in Westdeutschland entstandenen Organe exportierten ihre Sicht in die absterbende DDR.

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