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Kurator'in für: Fundstücke Zeit und Geschichte
Seit der ersten Stunde als Kurator bei Forum dabei: Dirk Liesemer arbeitet als Journalist für Magazine wie mare und G/Geschichte. Er hat Politik, Philosophie und Öffentliches Recht studiert, die Henri-Nannen-Journalistenschule besucht, immer mal wieder in Redaktionen gearbeitet und ehrenamtlich eine Reihe von Recherchereisen mitorganisiert und begleitet. Bisher fünf Bücher, darunter "Café Größenwahn" (2023), ein Ausflug zu den großen Kaffeehausliteraten des Fin de Siècle. Foto: Andreas Unger
Vor anderthalb Jahren hatte ich hier ein spannendes und völlig abseitiges Feature zu Georgien empfohlen, ein absolut hörenswertes Stück deutsch-georgischer Musikgeschichte, das übrigens noch immer abrufbar ist. Erzählt wird von deutschen Auswanderern, die Georgien mit Klavieren beglückten.
Heute gibt es das nächste Stück über deutsche Georgier, soeben erschienen auf der Plattform Dekoder: In diesem geht es um die Geschichte der Georgienschwaben, besser bekannt als Kaukasiendeutsche.
Ira Peter und Arthur Bauer haben sich aufgemacht, um die letzten Schwäbinnen Georgiens zu treffen. Sie besuchten das südlich von Tiflis gelegene Bolnissi, das einstige Katharinenfeld – einem Örtchen, in dem bis 1941 rund 6500 Deutschstämmige wohnten. Wie meint eine, die sie treffen, so wunderbar:
„Mei Mama, mei Schwesta, mer schwätzet olle Schwäbisch. Kei onnere Sproch weisse mer net.“
Ich finde, dem Autorenduo ist eine lesenswerte Geschichte gelungen. Sie erinnert daran, dass Deutsche im 19. Jahrhundert nicht nur nach Westen, nach Amerika ausgewandert sind, sondern auch gen Osten, wenngleich letztlich in deutlich geringerer Zahl.
Quelle: Ira Peter Bild: Arthur Bauer nemcy.dekoder.org
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Danke für diesen Piq und danke an Lutz Müller für die Ergänzung. Dieses Wechselspiel, die vielen Themen ist das beste an Piqd und es wird mir/uns fehlen …..
Lieben Dank Dirk, mit diesem PIQ verbindet mich so viel Persönliches. Entdeckt hatte ich ihn sofort, jetzt einige Gedanken dazu.
Die Autorin Ira Peter war 2021 Stadtschreiberin von Odessa, der Stadt meiner Jugend. Einen während ihres Aufenthalts verfassten Artikel hatte ich hier zitiert: www.piqd.de/zeitgeschi... .
Was verbindet Odessa mit Bolnissi? Viele Schwaben wanderten ja nach Russland aus. Eine weitere Migrationslinie verlief über die Südukraine, und - wie konnte es anders sein - wurden sie dort mit Weinanbau ansässig. An der Steilküste des Schwarzen Meeres gründeten sie Lustdorf (in ukrainischer und russischer Transkription Ljustdorf). Im Zuge der Urbanisierung und Ausdehnung von Odessa wurde es zu einem Vorort, Tschornomorka (etwa: "kleiner Ort am Schwarzen Meer" - vgl. Tschornomorotschka - Mädel vom Schwarzen Meer). Seit 1907 hat das Dorf eine elektrische Tramanbindung und war damit die einzige Landgemeinde im Russischen Kaiserreich, die sich einer solchen erfreuen konnte. https://de.wikipedia.o...
Bolnissi. Dorthin führte mich in den 1990ern eine Wanderung mit georgischen Freunden, während der ich auch erfuhr, dass noch eine Nachfahrin der schwäbischen Siedler im Dorf lebte (es wurde von einer alten Frau gesprochen). Der Wein ist untrennbar mit Georgien verbunden, seine Kultivierung hat eine uralte Tradition. Bereits vor 7000 Jahren begann der Weinbau in Mesopotamien und im Südkaukasus. Das georgische Wort ღვინო (ghvino) ist vielleicht sogar, der schwierigen Aussprache wegen, die Mutter des lateinischen "vino". Ob das auch veritas ist? Wer weiß, es ist eine reine Vermutung, Belege für diese Etymologie habe ich nicht gefunden. Die Schwaben brachten eigene Sorten und Erfahrungen mit nach Georgien und haben ihrer neuen Heimat vieles gegeben und ihr Glück gefunden. Traurig, dass dieser Beitrag zu Sowjetzeiten nicht gewürdigt und ihnen im Weltkrieg sogar physisches Leid angetan wurde.
Der Wein hat hohe Symbolkraft für die sprichwörtliche georgische Gastfreundschaft. Zusammen mit Studenten aus sehr vielen Republiken der riesigen Sowjetunion war ich mal in einem Camp am Oberlauf der Wolga, wo ich Georgiern zum ersten Mal begegnete. Als ich einen Trinkspruch auf das Treffen von Leuten aus ganz verschiedenen Gegenden aussprach (ich verwendete das russische krai = synonym für Gebiet, Landstrich, aber auch Rand), sagte einer der georgischen Teilnehmer: "Georgien ist nicht krai, es ist das Herz", und sogleich erhielt ich eine Einladung, das Land zu besuchen. Es ergab sich, dass ich es erst zwanzig Jahre später wirklich kennenlernen konnte.
Allen, die tiefer in die georgischen Traditionen eintauchen möchten, kann ich den Spielfilm "Pirosmani" (1969, UT englisch) von Giorgi Schengelaia empfehlen: www.youtube.com/watch?... . Niko Pirosmani (1862-1918) gilt neben Henri Rousseau als bedeutendster Vertreter der naiven Malerei, sein Œuvre ist zum größten Teil in der Nationalgalerie Tbilissi zu sehen.
Georgien ist Gastland der ITB Berlin 2023 und präsentierte heute Abend die offizielle Eröffnungsshow „Unendlich georgische Kultur – von den Anfängen des Weinbaus bis zur modernen Avantgarde-Kunst“: www.itb.com/de/presse/... . Leider sind zur diesjährigen Messe nur Fachbesucher zugelassen.