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Kurator'in für: Kopf und Körper Fundstücke
Geboren 1984 in Zwickau, Studium der Politikwissenschaft, Geschichte und Germanistik in Jena und Perugia. Volontariat bei der Tageszeitung Freie Presse, anschließend zweieinhalb Jahre als Redakteur in Zwickau. Lebt als freier Autor in Leipzig und Bukarest. Quoten-Ossi bei Krautreporter.
Seit April dieses Jahres erforscht der Untersuchungsausschuss 7/2 des Thüringer Landtags die Frage: "Treuhand in Thüringen: Erfolgsgeschichte oder Ausverkauf?" Der Treuhandanstalt gehörten ab Juli 1990 alle rund 8.400 einst nach sowjetischem Vorbild verstaatlichten sogenannten Volkseigenen Betriebe der DDR. Ihre Aufgabe war es, die Betriebe zu privatisieren. Praktisch über Nacht war die Anstalt zum größten Arbeitgeber der Welt geworden, verantwortlich für mehr als vier Millionen Arbeitnehmer*innen. Eine Aufgabe, die in dieser Größenordnung ohne Beispiel war und für die es der Anstalt an allem fehlte: Personal, Erfahrung, Zeit, Kontrolle, Wissen, Übersicht. Was auch gar nicht so schlimm ist, fand die damalige Bundesregierung, denn es sollte vor allem schnell schnell schnell gehen.
Die Treuhand steht für mich für die größte Vernichtung von Produktivvermögen in Friedenszeiten. Eine solche Vernichtungsaktion von Dingen, die nach dem Zweiten Weltkrieg unter riesigen inneren Schwierigkeiten, mit viel Schweiß von vielen, vielen Menschen und mit von außen errichteten Hürden aufgebaut worden waren, ist bemerkenswert. Und das in nur vier Jahren. An den Folgen krankt Ostdeutschland bis heute. Und viele, viele Menschen litten und leiden daran bis jetzt. Nicht wenige Suizide gehen auf diese Politik zurück.
Das sagt Christa Luft, sie war die letzte Wirtschaftsministerin der DDR. Sie wird bald 85 Jahre alt und im Treuhand-Untersuchungsausschuss ist sie als Expertin eingeladen worden. Aus diesem Anlass empfehle ich ihren Gastbeitrag für das Lower Class Magazine über ihre Erinnerung an die Treuhand, eine Institution, für die der Bochumer Ökonom Marcus Böick den Begriff Trauma-Anstalt geprägt hat.
Die Form des Beitrags erinnert mich an die wunderbaren Erzählsalons von Katrin Rohnstock, in denen zumeist Ostdeutsche über ihr Leben vor und nach der Wende reden. Es ist ein biografisches Erzählen, ein entschieden auktoriales, aber eines, das nicht rechtfertigen oder gefallen will, keine These verfolgt, keinen Punkt – sondern Sinn ergeben will. Auch für die Erzählende selbst. Die 1938 geborene Luft beginnt ihren Beitrag mit ihrem eigenen Werdegang und wie viele Biografien von Spitzenfunktionären der DDR ist ihre selten von freien Willensentscheidungen geprägt gewesen. Ein bisschen so, wie die Bürger Ostdeutschlands auch nicht aus freien Stücken ihre gesamte Volkswirtschaft der Treuhand übereignet haben:
"Tatsächlich gab es zwei Sorten von Treuhand, wenn ich das so sagen darf. Es gab eine Treuhand, die unter der Regierung Modrow gegründet worden ist und am 1. März 1990 die Arbeit aufnahm. Man kann es nachlesen im Gesetzbuch. Die hatte die Aufgabe, das Volkseigentum im Interesse der Allgemeinheit zu erhalten und nicht etwa zu privatisieren oder zu verscherbeln", erzählt Luft, und ich möchte ergänzen, dass die Grundlage dieses, von einer frei gewählten Regierung verabschiedeten Gesetzes auf den Entwürfen von Bürgerrechtlern basierte.
"Am 1. März 1990 war aber schon klar, dass es am 18. März bei den Volkskammerwahlen eine andere Parteien-Konstellation geben wird und dass die SED/PDS dann nicht mehr in der Regierung sein wird. Es kam dann ja so, dass die „Allianz für Deutschland“ – also CDU, DSU (ein Partner der CSU) und der „Demokratische Aufbruch“ – gewannen. Gesteuert und in jeder Hinsicht gefördert wurde das von der Bundesregierung. Und Herr de Maizière machte sich dann sofort als neuer Ministerpräsident daran, die alte Modrow-Treuhand auf Geheiß der Bundesregierung aus dem Feld zu räumen und eine neue Treuhand zu gründen. In deren Auftrag stand dann, sie solle das Volkseigentum so rasch wie möglich privatisieren. Aus einer Anstalt zur Bewahrung des Volkseigentums im Interesse der Allgemeinheit war eine Privatisierungsanstalt geworden."
Das Reden über und Forschen zur Geschichte der Treuhand ist nicht nur wichtig für die Aufarbeitung zahlreicher persönlicher Biografien in Ostdeutschland. Die historische Aufarbeitung der damaligen politischen Entscheidungen wird auch für den zukünftigen sozialen Frieden eine Rolle spielen.
Quelle: Christa Luft Bild: wikimedia.commons lowerclassmag.com
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Zur "Vereinigungskriminalität":
www.piqd.de/volkswirts...
In der Diskussion unten wird das besonders in Westdeutschland verbreitete Urteil der „maroden“ DDR-Wirtschaft durch persönliche Erfahrungen bekräftigt. Klar, wenn man sich nur den baulichen Zustand anschaute; es reichte auch, in ein nicht saniertes Altbau-Wohnviertel zu gehen. Es gab Materialengpässe, Investitionsrückstände, Zahlungsprobleme in harter Währung, all das ist bekannt. War aber wirklich „nichts mehr zu retten”?
Um von Pauschalurteilen wegzukommen, möchte ich hier etwas näher auf die von Christa Luft angeführten Daten zur Wirtschaftsleistung der DDR eingehen: BIP pro Einwohner ca. 55-60 % der Alt-BRD und 80% von Großbritannien.
Einige an der Erstellung dieser Statistiken Beteiligte waren mir persönlich bekannt. In akribischer Arbeit wurden Erzeugnisse unter Berücksichtigung von Kaufkraftparitäten ausgewählt. Sofern diese auf dem Weltmarkt gehandelt wurden, war die Ermittlung vergleichbarer Preise einfacher – da hatte die DDR mit Maschinen, aber auch diversen (bspw. in die BRD verkauften) Konsumgütern einiges zu bieten. Bei Waren des täglichen Bedarfs und langlebigen Konsumgütern für den Binnenverbrauch wurden die Produkteigenschaften zur Bewertung hinzugezogen. Obwohl solche Berechnungen keine absolute Genauigkeit erzielen, können sie als Messlatte für einen Gesamtvergleich dienen.
Was sagen uns die Wirtschaftsdaten der Umbruchsjahre? In den neuen Bundesländern und Berlin-Ost, wo im Jahresdurchschnitt 1991 knapp 20 % der deutschen Bevölkerung lebten, wurden nur 7 % (206 Mrd. DM) des gesamtdeutschen BIP erzeugt. Das Pro-Kopf-BIP machte weniger als ein Drittel des westdeutschen Wertes aus. Das BIP-West erhöhte sich 1991 gegenüber dem Vorjahr um 5 %, nachdem bereits 1990 ein Wachstum um 5,7 % verzeichnet wurde. 1994 / 1991 wuchs das BIP-gesamt um knapp 4 %. (Berechnungen laut Statistisches Jahrbuch 1998 für die Bundesrepublik Deutschland)
In der schnellen Währungsunion und Öffnung des DDR-Binnenmarkts können ihre Kritiker also durchaus ein Konjunkturprogramm für die westdeutsche Wirtschaft sehen, auch wenn es nicht das erklärte Ziel war und die politischen Ziele hier eindeutig den Vorrang hatten. Zwar stiegen auch die Einkommen aus unselbständiger Arbeit, aber ihr Anteil am Volkseinkommen des früheren Bundesgebiets sank 1990 und 1991 in Folge. Die westdeutschen Unternehmereinkommen wuchsen durch die schnelle Privatisierung der DDR-Wirtschaft weiter an, das genaue Ausmaß wird wahrscheinlich nie zu ermitteln sein.
Freilich ersetzen derart rudimentäre Daten keine detaillierte Analyse. An einer solchen besteht aber kein politisches Interesse. Die Zahlen können jedoch eine Vorstellung vermitteln: Die Verluste der Treuhandanstalt betrugen über 250 Mrd. DM. Dieser Betrag unterschreitet den Wertzuwachs des BIP in 1991er Preisen in den Jahren ihrer Existenz. Diese Verluste, wie auch die Alimentierung der ostdeutschen Arbeitslosen in den ersten Jahren, fielen dem Steuerzahler zu Lasten. Im Wesentlichen den Westdeutschen, und weniger den Unternehmer*- als den Arbeitnehmer*innen.
Also war die Sanierung eines größeren Teils der ostdeutschen Produktionsstätten chancenlos, ihre Zerschlagung alternativlos?
Mit Bezug auf den am 13.12. zu übergebenden Bericht der „Beschleunigungskommission Schiene“ titelt die FAZ www.faz.net/aktuell/wi...:
„Marodes Schienennetz. Was die Deutsche Bahn von der Schweiz lernen kann“.
Fahren mit DB = hochriskant?
Die Bundesregierung sei ähnlich schlimm dran gewesen wie die vom Verlust ihrer Arbeitsplätze Betroffenen – mit solchen Aussagen, wie hier in einem Kommentar geschehen, wird der gesamte Vortrag und damit auch die Politik der Modrow-Regierung ad absurdum geführt. Ich finde im Gegenteil, dass Christa Luft die wesentlichen Vorgänge korrekt beschrieben hat.
Ihr Vortrag ist stark politisch motiviert, aber sie operiert auch überzeugend mit Daten. Warnungen führender Ökonomen – auch aus dem Westen – zu einer schnellen Währungsunion wurden nicht erhört. Die „größte Vernichtung von Produktivvermögen“ war eine Umwandlung staatlichen in privates Eigentum, und zwar unter Wert. Begriffe wie Raubzug der Treuhand tauchen nur im Titel, nicht in dem gekürzten Text, auf.
Ergänzt werden könnte noch, dass mit der DM-Eröffnungsbilanz viele Unternehmen in der DDR von einem Tag auf den anderen ohne Liquidität dastanden. Aus dem planwirtschaftlichen System der Zuteilung von Ressourcen wurden sie ins kalte Wasser der Marktwirtschaft getaucht. Woher sollten Investitionen kommen, wenn sie niemand zuteilte? Selbst erhaltenswerte Betriebe mit guten Absatzchancen wurden so als illiquide und nicht konkurrenzfähig abgestempelt.
Das im erwähnten Kommentar geäußerte Urteil, die DDR-Wirtschaft sei „großteils marode“ gewesen, spricht Christa Luft, die gerade das zurückweist, jegliche Kompetenz ab. Es mag für viele Betriebe, die unter der Mangelwirtschaft litten, zutreffend gewesen sein. Aber nicht für jene Zweige der Volkswirtschaft, die den Kern des Industrielandes DDR ausmachten.
Der Rückstand bei der Chipproduktion war eines der Probleme. Die Alt-BRD hatte mit ihrer Größe, der arbeitsteiligen Produktion und damit verbundenen Economies of scale viel bessere Voraussetzungen. Auch die DDR war im Rahmen des RGW, oder Comecon, in eine Arbeitsteilung eingebunden. Die Möglichkeiten waren aber wegen eines - ich nenne es zugespitzt - doppelten Embargos begrenzt. Einmal waren die leistungsstärksten Schaltkreise von der Sowjetunion für Rüstungsproduktion und Weltraumforschung reserviert. Zum anderen standen Erzeugnisse der Hochtechnologie auf der Embargoliste des Westens.
Von einem Insider aus dem Werkzeugmaschinenbaukombinat „Fritz Heckert“ in Karl-Marx-Stadt erfuhr ich dazu folgendes Beispiel. Die computergesteuerten Werkzeugmaschinen hatten Weltniveau und erfreuten sich breiter Nachfrage. Einzelne Modelle hätten sogar westdeutsche Analogien übertroffen. Eine wesentliche Absatzsteigerung wäre möglich gewesen, allerdings bevorzugten Kunden Anbieter mit einem Vor-Ort-Service. Die kleine DDR war damit überfordert, einen solchen im Devisen-Ausland aufzubauen. Bosch leistete das praktisch weltweit. Der Einbau von Bosch-Steuerungen war eine denkbare Alternative, nur standen die nun mal auf der Liste.
Das Kombinat, wie auch der in nächster Nachbarschaft in Sachsen angesiedelte Entwickler und Produzent des weltweit ersten FCKW-freien Kühlschranks, besteht nicht mehr.
Es gab (nach 30 Jahren Treuhand?) eine längere Doku, die viele Seiten der Privatisierung glaubwürdig beleuchtete, einschließlich der schlecht gemachten Gesetze, wobei Verletzungen zudem kaum sanktioniert wurden. Vielleicht wieder anlässlich des nächsten Jubiläums.
Die Worte zur Kriegslüsternheit im letzten Absatz lassen mich nicht kalt. Ich versuche mich in größtmöglicher Nachsicht aufgrund des Alters von Frau Luft. Sie steht damit leider nicht alleine…
Vielen Dank für diesen PIQ
"… die in dieser Größenordnung ohne Beispiel war und für die es der Anstalt an allem fehlte: Personal, Erfahrung, Zeit, Kontrolle, Wissen, Übersicht. Was auch gar nicht so schlimm ist, fand die damalige Bundesregierung, denn es sollte vor allem schnell schnell schnell gehen." Also vor allem fehlten Absatzmärkte und Produktivität sowie Investitionen. Und für die Bundesregierung war das ähnlich schlimm wie für die unmittelbar Betroffenen. Letztere hatten kurz vorher noch lauthals die DM gefordert. Der letzte Sargnagel der großteils maroden DDR-Wirtschaft. Es sollte nicht nur schnell gehen, es mußte auch. Wer zahlt denn auf Dauer die Löhne für eine Industrie ohne Absatz? ….. Und Christa Luft weiß das eigentlich.
Danke.
Vor zehn Jahren befragte ich für diesen möglicherweise immer noch aufschlussreichen Essay Christa Luft:
https://www.hintergrun...
Hoffentlich wird bei dieser Form von Aufarbeitung nicht der bedeutende Beitrag von Richard Schröder (auch ehemaliger DDR-Bürger!) vergessen und was soll eigentlich ein Mitglied der Nomenklatura dazu beitragen können?