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„Und die komplette Journalistenbranche lag ihm zu Füßen“

Charly Kowalczyk
Journalist

Ich bin in Singen am Hohentwiel geboren und lebe in Potsdam. Schreibe Radiofeature für den Deutschlandfunk und für die Sender der ARD. Bin Mitgründer des Bremer Hörkinos. Seit nun fast 19 Jahren stellen wir in Bremen ein Radiofeature der Öffentlichkeit vor.
www.bremer-hoerkino.de

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Charly KowalczykMittwoch, 18.09.2019

Der freie Journalist Juan Moreno hat durch hartnäckige Recherchen die erfundenen Reportagen des Spiegel-Journalisten Claas Relotius aufgedeckt und darüber ein Buch geschrieben: „Tausend Zeilen Lüge. Das System Relotius und der deutsche Journalismus“. Claas Relotius wurde als Jahrhunderttalent bezeichnet, Vorbild für junge Journalistinnen und Journalisten, ihm wurden innerhalb weniger Jahre 40 Medienpreise verliehen. Ein Wahnsinn! Er hatte offensichtlich den Ton der Jurys getroffen, auch die lagen ihm zu Füßen. Als Relotius den Reporterpreis verliehen bekam heißt es von der Jury: „Das ist unsere Antwort auf die Fake News Debatte.“ Tja, man könnte auch sagen, so wie Claas Relotius seine Wirklichkeit erfand, wollte die Branche die Reportagen haben: Ganz nah am Menschen sein, spannend geschrieben, die Weltgeschichte auf Protagonisten runtergebrochen, angefüllt mit vielen erdachten Details … Moreno erzählt, dass es auch häufiger Leserbriefe gegeben hätte, die Relotius Reportagen angezweifelt hätten. Doch richtig misstrauisch wurden sie in den Redaktionen nicht. Offensichtlich traf Relotius die Erwartungen in den Redaktionsstuben, nicht nur beim SPIEGEL. Und genau diese Erwartungen sind vielleicht das größte Problem, die durch diese Fälschungen sichtbar geworden sind. Manchmal ist eben die Wirklichkeit anders, vielfach komplizierter und die Protagonisten sind dazu vielleicht auch noch widersprüchlich.

Der Journalismus braucht diese Debatte um die gefälschten Reportagen von Claas Relotius. Auch um aufmerksam darauf zu achten, die Wirklichkeit so abzubilden, wie sie nun halt mal ist. Auch der Verlockung zu widerstehen, passende Details zu erfinden, die eigentlich ganz gut zum Text passen würden.

Am Schluss des Gesprächs im hessischen Rundfunk erzählte Moreno, dass Relotius in einem Vorstellungsgespräch beim SPIEGEL erzählt hätte, dass er eine feste Stelle im Augenblick nicht annehmen könne, weil er sich morgens und abends um seine krebskranke Schwester kümmern müsse. Das Problem dabei ist, dass er gar keine Schwester hat. Seine Erfindungen gingen offensichtlich über den Journalismus hinaus.

Es geht bei dieser Geschichte um Ethik im Journalismus. Um aufrichtige Reportagen muss immer neu gerungen werden. Juan Moreno rechnet nicht mit seinem ehemaligen Kollegen ab, auch nicht mit dem SPIEGEL. Und das ist gut so. Es lohnt sich, ihm 25 Minuten lang zuzuhören.

„Und die komplette Journalistenbranche lag ihm zu Füßen“

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