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Medien und Gesellschaft

Rechtsruck als Dehydrierung: Wer nicht nachtankt, trocknet aus

Benjamin Freund
News Editor / Redakteur bei LinkedIn News

Studierter Medienwissenschaftler & Kulturjournalist. Fest für LinkedIn News, frei für dpa, Tagesspiegel, Monopol, shelfd & Galore. Vorher unter anderem bei ze.tt, DLF Nova, Deutsche Welle, Berliner Zeitung & Musikexpress.

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Benjamin FreundMontag, 31.08.2020

Vom "vorzeitigen Nachrichtenerguss" bis zur "Dehydrierung". Wer sich nur hin und wieder durch Sascha Lobos Gedankenstürme und Wortfantasmen wühlt, der läuft stets Gefahr, den Kopf zu verlieren. Gewiss nicht, weil der Netz-Guru da Geschwätz von sich lässt. Mitnichten. So lieferte etwa Lobos Analyse zu Trumps politischem 'Ableben' mehr Finesse als man sich von manchem Tagesblatt hierzulande je wünschen könnte:

Donald Trumps Handeln (oder eben Nichthandeln) als Präsident immerzu mit "Es wird eng für Trump" zu betiteln, obwohl es trotz dieses Superlativs faktisch nie eng für ihn wurde, stärkt die Unglaubwürdigkeit 'der Medien' und fördert Radikalisierung – ganz gleich an welchem politischen Ende – so Lobo sinngemäß.

Doch Sascha Lobo ist mehr als ein Finger-in-die-Wunde-Leger (in seinem Stile habe ich dieses Wort jetzt auch mal frei erfunden). Nein, Lobo schlüpft in die Rolle des digitalen Messias, der im Jahr 2020 – die Zivilgesellschaft an die Hand nehmend – noch immer erklären muss, wie das Internet funktioniert. Die Zeit hat Lobo vor Kurzem keck gefragt, ob Deutschland nun digitalisiert sei?

Die Antwort: "Im Grunde ist Digitalisierung immer ein Zustand, den man so gerade eben noch nicht erreicht hat." Tja. Wie oft denn nun noch? Eine Facebook-Seite zu haben bedeutet ja auch nicht, programmieren zu können. Wieso sollte mit dem Ausprobieren von Homeoffice und Zoom-Konferenzen also die Medienkompetenz der Deutschen abgeschlossen sein? Aber wen wundert's?

Eigentlich erklärt Lobo Leuten, die glauben zu wissen, wie Netzmedien ticken, wie die tatsächlich ticken. Ob das dann zusätzlich jeden in der Gesellschaft erreicht, ist fraglich. In einer jüngeren Auskopplung seiner Spiegelkolumne legt Lobo seinen Leser*innen einen 5-Punkte-Plan vor. Bei dem wünscht man sich, die Rechten und ihre Relativierer würden ihn sich gedruckt übers Bett hängen. 

Die zündelnde Frage diesmal: Wie werde ich noch rechter? Lobos Anleitung hier in Kurzform runtergebrochen:

1. Ungleichwertigkeit

Die Essenz des Rechtsseins ist die Überzeugung: Ich bin mehr wert als du.

2. Gruppennarzissmus

Das rechte "Wir" ist nichts als ein "Ich und Leute, die mir ähnlich sind". Fertig ist das Prinzip des kollektiven Narzissmus: Wir Selbstähnlichen sind mehr wert als ihr.

3. Wir gegen die

Dann wertet man sie ab, egal, ob es sich um Hautfarbe, Religion, politische Überzeugungen, Geschlechtliches oder andere tatsächliche oder herbeigeredete Kardinalunterschiede handelt.

4. Differenzierung bei uns, Vereinfachung bei denen 

Während man bei den Selbstähnlichen stets auf Differenzierung pocht - sie haben das ja verdient! –, sind diese Umstände bei den Anderen nicht nötig. Deshalb reicht es aus, dass es nachweislich Muslime gibt, die keinen Respekt vor dem Rechtsstaat haben, um diese Haltung allen anderen ebenfalls überzustülpen.

5. Rechte Bigotterie

Mir steht zu, was dir nicht zusteht, wir Selbstähnlichen messen uns mit anderem Maß als euch, und es ist auch richtig und alternativlos, das zu tun. [...] fertig ist Ihr persönlicher Rechtsruck, der sich überall easy anwenden lässt.

Beispielhaft stellt Lobo danach die gesellschaftliche Rezeption von Lisa Eckhart neben den Umweltsau-Song sowie den Hanau-Terror neben den Breitscheidtplatz-Anschlag. Der Befund: Wer rechts sein will, der muss diese Events stets mit zweierlei Maß bemessen. Den ganzen Text gibt es hier zum nachlesen. Die dazugehörige Podcast-Folge hier auf Spotify und unter dem piq. Das Hörformat empfiehlt sich dringend, da Lobo dort regelmäßig Leserkritik eine Reibefläche bietet: Wieso werden Menschen mit Migrationshintergrund rechts? Muss man linker werden, um Rechte zu bekehren? Warum bedeutet rechts nicht psychisch gestört?

Warum ist das jetzt wichtig?

Ob nun Cancel Culture, Faschisten, die sich auf Designerstühlen der Öffentlich-Rechtlichen fläzen, 17-Jährige, die mit Schnellfeuerwaffen Schwarzen Demonstranten in den USA auflauern oder müde hängende Reichkriegsflaggen vor dem Deutschen Bundestag. Erschreckend ist, dass diese Dinge auf den Rücken anderer passieren. Noch erschreckender ist, mit welchem Selbstverständnis Rechte und / oder Täter ihr Rechtssein kundtun und in vermeintlich demokratischen Systemen ausleben dürfen – in Demokratien, deren Existenzen heute auf Pappschildern von denen abgesprochen werden, die eigentlich ihre Vorzüge genießen. Wer sich da nicht immer wieder aktiv dagegenstellt, wer relativiert oder gar mitläuft, der trocknet aus – geistig. Oder um es mit Lobo zu halten, der "dehydriert" einfach.

Rechtsruck als Dehydrierung: Wer nicht nachtankt, trocknet aus

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