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Wie viel Kulturkampf um die Zukunft der Arbeit darf's denn sein?

Anja C. Wagner
Bildungsquerulantin
Zum Kurator'innen-Profil
Anja C. WagnerMontag, 27.02.2023

Ein Kulturkampf über die Zukunft der Arbeit durchzieht derzeit die verschiedenen Publikationen: 

  • Ist Arbeit doch "kein Ponyhof" (Nahles)? 
  • Darauf schwört auch der Chef der Bundesverbände der Arbeitgeber, Steffen Kampeter, ein: Leistung müsse sich wieder lohnen. Erst in der Schule, dann am Arbeitsmarkt. Ansonsten schrumpfe unser Wohlstand. Zudem: 
Eine gute Work-Life-Balance sei „auch mit 39 Stunden Arbeit in der Woche“ möglich, meint Arbeitgebervertreter Kampeter. 
  • Die Soziologin Karin Jurczyk ist davon nicht überzeugt. Sie fordert ein Optionszeitenmodell, das der Care-Arbeit mehr Raum für alle bereitstellt. Denn zu viele Menschen erkranken und sind erschöpft im bisherigen Arbeitszeitmodell.
Es führe kein Weg daran vorbei, Erwerbsbiografien neu zu denken.
  • Müssen wir also "weg von der arbeitszentrierten Gesellschaft", so auch der Philosoph Michael Cholbi, dessen Sichtweise ich hier zentral vorstelle:

Zwar sei der Prozess, dass Menschen von Robotern und künstlicher Intelligenz ersetzt werden, doch deutlich langsamer als vor einigen Jahren vermutet. Zudem habe die Pandemie aufgezeigt, wie viel Arbeit in der Pflege für eine alternde Bevölkerung erforderlich sei. Jedoch sei langfristig weiterhin davon auszugehen, dass viele Berufe aussterben. Und Menschen sollten jetzt bereits lernen, 

Dinge außerhalb Ihrer Arbeit zu finden, für die sie Leidenschaft entwickeln können.

Denn:

Zufriedenheit auch über andere Wege als den Job zu erlangen, kann man lernen. Die Politik kann das ermöglichen, indem sie den Bürger:innen erstens eine finanzielle Grundsicherung ermöglicht und ihnen zweitens Zeit verschafft, andere Leidenschaften zu entwickeln.

Dieser Prozess könne auch seitens der Bevölkerung entstehen, wie man bereits an den verfestigten Forderungen nach mehr Homeoffice, 4-Tage-Arbeitswoche, New Work usw. sähe.

Das ist eine Art kultureller Pushback gegen die arbeitszentrierte Gesellschaft.

Ja, und damit sind wir mitten im Kulturkampf zwischen den Vertreter:innen der alten Industriegesellschaft (BA-Vorstand, BDA etc.) und der Zivilgesellschaft, die mehr Vielfalt wünscht. Oder wie Cholbi es ausdrückt:

Wir sollten unterschiedliche Beziehungen zur Arbeit ermöglichen, die nebeneinander existieren dürfen. Wer zufrieden ist, indem er oder sie tagtäglich am Strand entlangspaziert und Muscheln sammelt, soll genau die gleiche gesellschaftliche Akzeptanz erfahren wie Workaholics.

Aber die Arbeitsplätze und unser Wohlstand, hört man es bereits aus der alten Welt summen. Wo soll denn all das erwirtschaftete Geld (und die Tantiemen) herkommen? 

Vielleicht einfach, indem wir wirklich fortschrittliche Wertschöpfungsketten entwickeln, die nachhaltig und effizient sind – und allen Bürger:innen einen "Mehrwert" bringen? Klar, dafür braucht es auch Menschen, die Bock darauf haben, die Gesellschaft im Interesse aller mitzugestalten. Nur lamentieren ist dann auch zu wenig ...

Wie viel Kulturkampf um die Zukunft der Arbeit darf's denn sein?

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Kommentare 5
  1. Cornelia Gliem
    Cornelia Gliem · vor fast 2 Jahre

    Unser derzeitiges Arbeitsmodell (welches unsere GesamtGesellschaft totalitär dominiert) ist noch gar nicht alt: zwei Jahrhunderte wenn man es sehr großzügig definitiert, eng gefasst seit Ford 1920igern.

  2. Thomas Wahl
    Thomas Wahl · vor fast 2 Jahre · bearbeitet vor fast 2 Jahre

    "Vielleicht einfach, indem wir wirklich fortschrittliche Wertschöpfungsketten entwickeln, die nachhaltig und effizient sind - und allen Bürger:innen einen "Mehrwert" bringen?"

    Bin ich dafür. Wie sehen die aber aus? So wie in China, das uns weitgehend mit technischen Produkten versorgt? Die Frage ist doch nicht wo das Geld herkommt sondern wer die Produkte liefert.

  3. Markus Habermann
    Markus Habermann · vor fast 2 Jahre

    Es gibt auch Leute die arbeitsunfähig krank sind, das sollte man bei sowas nie vergessen.

  4. Theresa Bäuerlein
    Theresa Bäuerlein · vor fast 2 Jahre · bearbeitet vor fast 2 Jahre

    Ich bin bisher noch gar nicht darauf gekommen, dass dieser Streit ums Arbeiten ja auch ein Kulturk(r)ampf ist, aber es stimmt natürlich. Neulich hat meine Kollegin einen Artikel darübergeschrieben, warum sie mit Mitte zwanzig nicht mehr arbeiten will, und es kamen wirklich sehr viele Zuschriften von Menschen, die einfach nur sauer waren, dass sich da jemand auf die faule Haut legen will "auf Kosten der anderen". Viele vermuteten, sie sei eine Erbin. Ist diese Missgunst deutsch oder ist das überall so?

    1. Anja C. Wagner
      Anja C. Wagner · vor fast 2 Jahre

      Den Kulturkrampf (schön!) zwischen alter und neuer Welt sehen wir ja nahezu überall. Die Macht der fossilen Weltwirtschaft ist ungemein kraftvoll. In D schlägt sie sich in Form der Autowirtschaft etc. nieder, die als Rückgrat der Deutschland AG hier viele Fäden zieht. So hat man sich im 20. Jahrhundert eingerichtet - und sämtliche sozio-kulturellen Prozesse darauf ausgerichtet. Da werden andere, quer laufende Sichtweisen konsequent wie böswillig torpediert. Aber typisch deutsch ist der Kampf gegen die Erwerbsarbeit-Faulheit nicht, denke ich. In Amiland ist er ja noch ausgeprägter. Vielleicht besteht ein enger Zusammenhang zur protestantischen Ethik? Das würde einiges erklären ...

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