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Fundstücke

Braucht es Urvertrauen in die Digitalisierung?

Anja C. Wagner
Bildungsquerulantin
Zum Kurator'innen-Profil
Anja C. WagnerSonntag, 12.09.2021

Wie können wir weiterhin das digitalste Land der Erde bleiben, so lautete die zentrale Frage einer Edtech-Konferenz – und nein, es handelt sich nicht um eine Veranstaltung in Deutschland. 

Dänemark wurde 2020 von der E-Government-Studie der UNO zum zweiten Mal zum digitalsten Staat weltweit ernannt – und (auch) im EU-Index für die digitale Wirtschaft und Gesellschaft (DESI) von 2020 gehört es zur absoluten digitalen Spitzengruppe. Netzabdeckung und digitale Kompetenz in der Bevölkerung, in den Unternehmen und der Verwaltung sind am Puls der Zeit.

Und ich sollte also im Einführungsvortrag einige bildungspolitische Ideen zuliefern, was zunächst bedeutete, den Vorsprung Dänemarks empathisch zu verinnerlichen. Nicht nur, was die digitale Verwaltung anbelangt, sondern gleichzeitig mit Blick auf die digitale Bildung und digitale Gesundheit. Warum klappt dies dort so gut, fragten wir uns die letzten Wochen – und recherchierten.

Sehr schnell wurde deutlich: Was Dänemark von Deutschland primär unterscheidet, ist ihr Urvertrauen in ihr System als solches. Ein Beispiel? Ich fragte nach den genauen Koordinaten – Uhrzeit, Ort etc., um die Reise zu planen. Die Antwort: Der Vortrag startet unmittelbar nach dem Beginn um 9h und man hätte nachgeschaut, um 7h würde ja ein Flieger von Berlin starten. Dann ins Taxi und ich wäre passgenau vor Ort. Ich: Okaayy ^^ (In Deutschland fragt man mitunter bei Veranstaltungsbeginn um 12 Uhr, ob eine Anreise am Vorabend möglich wäre, nur um sicherzugehen.)

Wie erlangt man solch ein Vertrauen, frage ich mich seither?! 

Ich kam zu dem Schluss: Durch solide Arbeit und konsequente Verfolgung ambitionierter Meilensteine, die sie sich setzen und in gemeinsamer Kraftanstrengung erreichen. Eine Art Moonshot-Thinking-Programm seitens des Staates, wie es Mariana Mazzucato immer wieder anmahnt (ich hatte hier dazu gepiqd). Dänemark scheint es seit geraumer Zeit zu praktizieren und mit ordentlich Pragmatismus (Public-Private) zu verfolgen.  

Der Start ihrer digitalen Timeline:

  • 2001: Digital Signature
  • 2004: "Easy Account"
  • 2007: Digital ID
  • 2007: Citizen.dk
  • 2011: Digital Post
  • usw.

Dänemarks Schulen sind seit geraumer Zeit digitale Spitzenreiter mit flächendeckend sehr guter WLAN-Abdeckung, breitester Versorgung mit digitalen Endgeräten und kontinuierlichem Einsatz digitaler Lehr- und Lernmethoden. Der Switch in den Distanzunterricht im Frühjahr 2020 stellte kein Problem dar – mit anderen Worten: Man war gut vorbereitet!

Vergleichbar auch der Gesundheitssektor während der Pandemie: Aufgrund ihrer digitalen Gesundheitsakte konnten sie sofort vulnerable Gruppen per Datenauswertung identifizieren und kontaktieren. Das macht sie schnell im Vergleich zu unserer manuellen Nachverfolgung per Fax. 

Dieses gläserne Verfahren baut auf Vertrauen – und schafft ebensolches, wenn es dazu führt, dass die Corona-Politik transparent und offen kommuniziert und mit nachvollziehbaren Schritten umgesetzt wird. Das führte letztlich dazu, dass Dänemark eine Impfquote von > 90 % bei den > 50-Jährigen aufweist und darauf aufbauend seit letztem Freitag das Pandemieende lebt. Alle Vorsichtsmaßnahmen wie Abstandhalten und Maskenpflicht sind aufgehoben, das Leben aus der Pre-Covid-Zeit ist zurück, basierend auf einem wissenschaftlich basierten, politisch konsequent verfolgten Anspruch, das Vertrauen der Bevölkerung zu gewinnen und aufrechtzuerhalten. (In diesem Twitter-Thread mit Studie gut nachlesbar!)

Vom "langen Marsch des Urvertrauens" spricht der kluge Alexander Kluge im verlinkten, sehr lesenswerten (!) Interview.

Was ist Vertrauen?
Vertrauen ist das Kapital, das ich von meiner Schwester, von meinen Eltern, meinen Freunden, meiner Frau und meinen Kindern erhalte. Was man Sozialkapital nennen könnte, ist ein ständiger Zustrom von verflüssigtem Gefühl. Es ist kein statischer Besitz, sondern wird permanent neu hergestellt, geschenkt, weitergegeben, geprüft, fortgesetzt. (...) Es ist verblüffend, wie Neugeborene sofort Vertrauen zeigen: Die Welt wird es gut mit mir meinen. Ohne dieses Vertrauen würden sie die Mutterbrust nicht finden und müssten verhungern.

Was Kluge nicht anführt, ist das Vertrauen in den Staat und die kollektive Kraft der Anstrengung. Dänemark, so wie einige andere nordische Länder auch, hat die Digitalisierung als Mittel eines modernen Sozialkapitals aufzubauen verstanden. Nicht als Mittel zum Zweck (Industrie 4.0), sondern als atmungsaktive Umgebung, um das Leben sinnvoller zu gestalten. Ich denke, wir könnten einiges lernen. 

Braucht es Urvertrauen in die Digitalisierung?

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Kommentare 2
  1. Cornelia Gliem
    Cornelia Gliem · vor 3 Jahren

    Optimismus. realistischer Optimismus. Dazu gehört auch, dass man uns mehr zutraut: zb Politiker den Wähler°innen, dass sie auch unangenehmes verstehen wenn ernstgenommen und klare Pläne.

  2. Silvio Andrae
    Silvio Andrae · vor 3 Jahren

    Vielen Dank. Ich möchte gern auf Niklas Luhmann verweisen, der zwischen Vertrauen und Konfidenz unterschieden hat. Vertrauen ist immer “grundlos”, Konfidenz hingegen geht auf Erfahrung und Evidenz zurück. Vertrauen können wir nur in andere Personen haben, Konfidenz können wir dagegen in alles Mögliche haben. Wenn es also um digitale Technologien geht, empfiehlt sich eher der Begriff "Konfidenz", wobei es zwischen sozialem Vertrauen und Konfidenz gewisse Abhängigkeiten gibt.

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