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Literatur

Beilagen ohne Messe

Andreas Merkel

Sachbuchautor über Romane in Berlin. Letzte Veröffentlichung: "Mein Leben als Tennisroman" (Blumenbar). Kolumne "Bad Reading" im Freitag (das meinungsmedium).

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Andreas MerkelDienstag, 23.03.2021

Letzte Woche war ich in Kalifornien und nicht in Leipzig, wo ja auch überhaupt keine Buchmesse stattfand. Eigentlich wollte ich wahnsinnig viel lesen und ein bisschen schreiben. Aber dann entdeckte ich morgens beim Brötchenholen, dass der einzige offene Laden in dem verlassenen Ostsee-Örtchen, ein Minimarkt mit Strandspielzeug und Lebensmitteln, tatsächlich über ein exquisites Angebot an überregionaler Print-Presse verfügte.

Aus lauter Freude hierüber erlitt ich einen kleinen Feuilleton-Rückfall und kaufte mir die ganze Woche Zeitungen, vor allem die Literaturbeilagen der FAS, SZ und ZEIT, die sich ohne Messe seltsam anlasslos anfühlten, dagegen aber diesmal nicht wie sonst monatelang ungelesen in der Schreibwohnung rumlagen, sondern sofort "ausgewertet" wurden (Stichwort grüne Papiertonne).

In der SZ-Beilage interessierte mich eigentlich nur die milde ausgewogene Rezension über das Tankstellenbuch von Florian Werner und die tolle Bilderserie mit Autorinnen an ihren verlassenen Lieblingsorten:  Eva Menasse im Manzini, Jakob Nolte im Kino oder Mariana Leky in der "Schankwirtschaft Seeblick", mit Blick auf den "nie dagewesenen See" im Prenzlauer Berg.

In der ZEIT-Beilage las ich den seltsam gehemmten Verriss von Moritz von Uslar über Rebekka Krichelsdorf 90er-Jahre-Berlinroman Lustprinzip (mit viel "O je, darf man das so sagen?" und "Jetzt wird's aber gemein") und freute mich über die Ottessa Moshfegh-Gewinnwarnung in der bekloppten Selbstverarschungs-Rubrik "20 Bücher zum Mitreden" ("Mit dieser Handreichung sind Sie für den intellektuellen Smalltalk gerüstet"):

Ottessa Moshfegh: Der Tod in ihren Händen - An der Börse soll man Werte früh kaufen, bevor sie unbezahlbar werden. Bei Ottessa Moshfegh, diesem Rising Star, ist jetzt der richtige Einstiegsmoment. Als ZEIT-Leser sollten Sie früh auf die künftige Nobelpreisträgerin setzen!

Die FAS hatte ich ehrlich gesagt jahrelang nicht angefasst und staunte, dass es Schmiddys TV-Kolumne immer noch gab - weil Jochen ja außer Bares für Rares und GNTM überhaupt nichts guckt. Diesmal ging es um Frisurprobleme in der Heidi-Klum-Show und Schmidts kreisrunden Haarausfall am Hinterkopf.

Am meisten gefreut habe ich mich aber über das tolle Interview mit Charlie Kaufman, in dem ich erfuhr, dass sein 800-Seiten-Filmkritiker-Roman Antkind jetzt bei Hanser auf Deutsch unter dem kongenialen Titel Ameisig erschien. Ich beschloss, mir die deutsche Fassung auf keinen Fall zu besorgen, weil ich mir schon in einem schwachen Moment vor Weihnachten tatsächlich noch die englische bei Dussmann gekauft hatte:

Ich war dort zum Lockdown-Shopping mit meinem alten Kumpel J. verabredet gewesen, der gerade nach 30 Jahren von seiner Frau verlassen worden war und jetzt für seine Kinder ein paar Buchtipps von mir brauchte. Ich empfahl ihm Ottessa Moshfegh und Leif Randt und beschenkte mich selbst mit Charlie Kaufmans Antiroman-Monster. Anschliessend tranken wir an diesem dunklen, schönen Dezember-Donnerstagabend noch illegal Plastikflaschen-Weisswein vorm geschlossenen Grill Royal. Wir guckten auf die schwarze Spree, sprachen über unser Leben und warum ich mir auch noch ausgerechnet Antkind hatte kaufen müssen. Ein Buch, das ich nie im Leben lesen würde und das jetzt als Warnung in meinem überfüllten Bücher-Regal steht, dass es Romanen vielleicht doch nicht so gut tut, wenn ihre Autoren denken, es gäbe (wie Charlie Kaufman in Opposition zum schwer finanzierbaren Film-Business gern glaubt) keine Grenzen der erzählerischen Möglichkeiten und Fantasien. Stichwort: Alles ist ein Roman. Es war das letzte Mal, das ich J. gesehen habe. Ich weiß bis heute nicht, ob seine Kinder wegen Moshfegh und Randt noch mit mir reden.

Und die buchmessenlose Buchmessenbeilage-Woche in Kalifornien endete damit, dass ich meiner Frau abends nach dem Essen die beiden Stellen aus Christian Krachts Eurotrash zu lesen gab, die mir am besten gefielen: wie sein neureicher Vater keine abgewetzten Hemdkragen oder schmutzigen Lederstiefel trug und nie pukka genug für die britische Top Society war . Und wie es Kracht und Mutter mit reverse snobbery schafften, morgens um 9 im Restaurant Forellen zu bekommen. Meine Frau fand die beiden Stellen so blasiert "von oben herab" geschrieben, dass sie Kracht (und mir!) sofort Bad Writing und eine fatale Style-Obsession vorwarf. Die ganze Woche war sehr harmonisch gewesen und plötzlich stritten wir uns so richtig - bis wir merkten, wie gut Krachts Mutter die Szene zwischen uns beiden gefallen hätte.
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