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Zeit und Geschichte

Unpiq: Das Erbrecht ist nicht Ursache der Ungleichheit

Achim Engelberg
schreibt, kuratiert, gibt heraus
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Achim EngelbergMittwoch, 16.08.2023

Lange überlegte ich, ob ich diesen Artikel nochmal als Unpiq bringen sollte. Immerhin ist er von der Kollegin Antje Schrupp empfohlen und von einigen negativ kommentiert worden.

Allerdings gibt Stefan Gosepath in seinem taz-Interview gerade eine für einen Unpiq ausgezeichnete charakteristische geschichtlich-ökonomische Fehleinschätzung: 

Er will das Erben generell abschaffen.

(Diskutabel ist eine höhere Erbschaftssteuer in der Bundesrepublik wie in anderen reichen Ländern, die genutzt werden kann, um erbenlosen Menschen einen besseren Start zu ermöglichen.)

Die Ideen von Stefan Gosepath sind in ihrer scheinbaren Radikalität nicht neu, sondern so verstaubt, dass sie schon Marx im vorvorherigen Jahrhundert widerlegte. Hier Marx zum Erbrecht:

Wie jede andere bürgerliche Gesetzgebung sind die Erbschaftsgesetze nicht die Ursache, sondern die Wirkung, die juristische Folge der bestehenden ökonomischen Organisation der Gesellschaft, die auf das Privateigentum an den Mitteln der Produktion begründet ist, d. h. Land, Rohmaterial, Maschinen usw.

Auf dieselbe Weise war das Recht der Erbschaft auf Sklaven nicht die Ursache der Sklaverei, sondern im Gegenteil, die Sklaverei war die Ursache der Erbschaft von Sklaven.

...

Die Aufhebung des Erbschaftsrechts als den Ausgangspunkt der sozialen Revolution zu proklamieren, würde nur die Arbeiterklasse von dem wahren Punkt der Aufmerksamkeit für die heutige Gesellschaft ablenken.

Mit der Abschaffung des Erbrecht kann man eine Gesellschaft nicht gerechter, demokratischer und weniger anfällig für Rechtsextreme machen

Ähnlich sahen es viele. Ein Beispiel aus dem vergangenen Jahrhundert, das erst in den letzten Jahren ein großes Publikum erreichte: Adorno sah in einem Vortrag ASPEKTE DES NEUEN RECHTSRADIKALISMUS im Jahr 1967 die Ursachen in den extremen Vermögen, die andere Schichten der Bevölkerung verarmen lassen.

Als der Beitrag im Jahr 2019 als Buch erschien, wurde das Werk ein halbes Jahrhundert nach Adornos Tod ein später Bestseller. In diesem heißt es über die immer noch bestehenden faschistische Gefahren:

Dabei denke ich in erster Linie an die nach wie vor herrschende Konzentrationstendenz des Kapitals, die man zwar durch alle möglichen statistischen Künste aus der Welt rechnen kann, an der aber im Ernst kaum ein Zweifel ist. Diese Konzentrationstendenz bedeutet nach wie vor auf der anderen Seite die Möglichkeit der permanenten Deklassierung von Schichten, die ihrem subjetiven Klassenbewusstsein nach durchaus bürgerlich waren, die ihre Privilegien, ihren sozialen Status festhalten möchten und womöglich ihn stärken.

Kurzum: Ohne extreme Ungleichheit kein Faschismus! Und das Kapital ist für Marx und Adorno oder andere ein gesellschaftliches Verhältnis.

Wer aber in einer immer noch in einer in Klassen und Schichten zerklüfteten Gesellschaft, das Erben abschafft, stößt im Kampf für eine bürgerliche Demokratie und gegen Rechtsextremismus gerade bürgerliche Kreise vor den Kopf.

Und das war für die Linke schon immer fatal. 

Erschwerend kommt hinzu: Heute kann man nicht mehr so sicher wie Marx sein, dass ein Übergang zu einer klassenlosen Gesellschaft möglich ist.

Deshalb gefährdet nicht der mittelständische Unternehmer an sich die Demokratie, obwohl es im Einzelnen Faschisten unter ihnen gibt, sondern diejenigen, die aufgrund gesellschaftlicher Möglichkeiten extreme Vermögen angehäuft haben, die heute größer sind als zu Zeiten des Kommunistischen Manifests.

Während in Deutschland die Partei mit dem anmaßenden Namen DIE LINKE an der Fünf-Prozent-Hürde kratzt, feiert ausgerechnet die Kommunistische Partei Österreich Erfolge wie seit Langem nicht.

Bei ihren Wahlkämpfen machen sie auf die Ursachen von extremen Vermögen aufmerksam, die nur durch den sanktionierten Raub an Gesellschaften zustande kommen können:

Beim Kopf-an-Kopf-Rennen um den reichsten Mann der Welt hat Elon Musk wieder die Nase vorne. Sein Vermögen wird auf 226,4 Mrd. Dollar geschätzt. Das zeigt, wie wenig Reichtum mit Leistung zu tun hat.

Denn würdest du seit 3.500 Jahren sechs Tage die Woche arbeiten und 100.000 pro Tag verdienen, du wärst noch immer nur halb so reich wie Elon Musk. Das Vermögen in den Händen weniger Milliardäre fließt von uns allen weg in ihre Taschen.

Wir schaffen mit unserer täglichen Arbeit den Reichtum, den wenige Menschen wie zum Beispiel Elon Musk einstreifen. Wir zahlen immer höhere Preise, die Vermögen der Superreichen wachsen in den Himmel.

Deswegen setzen wir uns für Vermögenssteuern und für die Vergesellschaftung der allgemeinen Daseinsvorsorge ein. Weil was wir alle brauchen, muss allen gehören.

Als in meiner Heimatstadt Berlin der dann später nicht umgesetzte Volksentscheid DEUTSCHES WOHNEN ENTEIGNEN erfolgreich war, gelang dies nur, weil die Wohnungsmisere bis weit ins Bürgertum reicht.

Initiativen aber, die in einer zerklüfteten Gesellschaft das Erben an sich abschaffen wollen, beschädigen den Kampf für die Erhaltung der bürgerlichen Demokratie.

Oder weiß jemand, wo Forderungen, das Erben komplett abzuschaffen, in den letzten 200 Jahren irgendwo etwas Positives bewirkten?

Unpiq: Das Erbrecht ist nicht Ursache der Ungleichheit

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Kommentare 7
  1. Cornelia Gliem
    Cornelia Gliem · vor einem Jahr

    ah ganz kann ich dem nicht zustimmen: klar, große (wirtschaftliche) Ungleichheiten stiften sozialen Unfrieden und dürften mitschuld sein am Rechtsradikalismus.
    aber wieso "Mit der Abschaffung des Erbrecht kann man eine Gesellschaft nicht gerechter" sein soll, erschließt sich mir nicht. warum sollte es nicht gerecht sein, dass alle Menschen wenigstens mit dem "gleichen" beginnen und ins Leben starten? zumindest könnte man dann - sehr bürgerlich übgrigens gesehen - alle dann noch vorhandenen Ungleichheiten auf die aktuelle individuelle eigene "Lebensleistung" schieben...
    und nur weil man mit so einer Forderung die Bürgerlichen vor den Kopf stoßen könnte (*) sie nicht zu erheben, erscheint mir nun kein sachliches Argument dagegen zu sein.
    * 1. sind ja viele Erben durchaus für eine weitaus stärkere Besteuerung von Erbe und 2. sind ja sowieso bei den meisten Vorschlägen große Freibeträge vorgesehen.

    1. Achim Engelberg
      Achim Engelberg · vor einem Jahr

      Große Veränderungen kann man demokratisch nur durchsetzen, wenn man Mehrheiten vereinen kann. Und das gelingt nicht bei der Abschaffung des Erbrechts (höhere Erbschaftssteuern sind dabei nicht gemeint, was ich ja auch schreibe).

      Und gleichzeitig kommt man nicht an die Wurzel der ökonomischen Widersprüche.

  2. Thomas Wahl
    Thomas Wahl · vor mehr als ein Jahr · bearbeitet vor mehr als ein Jahr

    Die Überschrift erscheint mir richtig …. ;-)

    Aber was die Kommunistische Partei Österreich's angeht, die hat wohl ihren Marx nicht wirklich verstanden? Und seine Beschreibung der Kapitallogik und der Funktion des Kapitalisten auch nicht. Betriebsvermögen-Vermögen sind kein Geld und schon gar kein Einkommen das in Taschen fließt. Man kann damit allerdings Einkommen generieren, das dann auch in private Taschen fließt. Das sind aber nicht die besagten 226 Mrd. mit denen Musk's (nicht geerbtes) Vermögen aktuell bewertet wird. Dieses Vermögen ist neu entstanden, wie global die meisten sehr großen Unternehmensvermögen (von Alibaba über Amazon bis Mikrosoft. Wesentlich wird dann das Einkommen aus konzentriertem Kapital wieder Investiert. Darauf basiert letztlich unser Wohlstand. Weder die Konzentration der Betriebs-Vermögen in Staatshand noch die Gleich-Verteilung an die Belegschaften oder an die Bürger haben m.W. irgendwo ähnlichen Wohlstand erzeugt.

    Wobei Adorno mit seinen allgemeinen mäandernden Begriffsagrobatiken für mich kein wirklich realistischer Denker war und ist. Dies aber nur nebenbei.

    1. Achim Engelberg
      Achim Engelberg · vor einem Jahr

      Nur kurz, weil es nicht der Kern dieses Unpiq ist. "Unser" Wohlstand entsteht wohl nicht durch Musk's Vermögen, sondern der 1971 in Südafrika geborene, heute global wie vor allem in den USA agierende Unternehmer lebt in einem ökonomischen und spekulativen Umfeld, dass die sogenannte Schere zwischen Arm und Reich extrem ausweitet(e).

      Und das führte mit dem beginnenden imperialen Zeitalter zu Faschismen - also nach Marx. Diese begleiten uns seitdem und sie werden momentan so stark, dass sogar die Demokratie in den USA gefährdet ist.

      Die grotesk großen Vermögen heutiger Milliardäre entstanden von Musk bis zu russischen Oligarchen durchweg durch gesellschaftlichen Raub.

      Das hat die erfolgreiche KPÖ erkannt und in markanten Beispielen kenntlich gemacht.

      Die dahinter liegenden Prozesse kann man mit Hilfe der im Marxschen Kapital schon gedachtem "Landnahme" denken, was auch seit der 2007/8 begonnenen Weltwirtschaftskrise geschieht. Ein frühes Beispiel: https://www.suhrkamp.d...

    2. Thomas Wahl
      Thomas Wahl · vor einem Jahr · bearbeitet vor einem Jahr

      @Achim Engelberg Ich halte das für eine ziemlich problematische Sicht. Immer wieder wird dabei der Unterschied zw. Vermögen und Einkommen sowie zw. den gesellschaftlich real arbeitenden Unternehmen und ihrer Geldbewertung völlig negiert. Genau wie der Unterschied zw. absoluter und relativer Armut. Musks Vermögen sind die real existierenden Unternehmen, die wichtige sozialökonomische Funktionen haben, wesentliche Produkte liefern, Arbeit und Lohn schaffen. Sie sind nicht geraubt sonder aufgebaut, entwickelt. Profitiert haben wir alle dabei. Und eben nicht irgendwelche geschätzten Geldwerte. Das wohl auch der Unterschied zu russischen Oligarchen.

      Wir sprechen in der westlichen Welt von relativer Armut, die für alle ein Leben in relativem Wohlstand ermöglicht. Demokratien sind immer in Gefahr. In absolut armen Ländern gibt es gar keine Demokratie. In Ländern mit siechender Wirtschaft geht sie ein. Der Faschismus entstand als "Nationalsozialismus" in Krisenzeiten, genau wie Bolschewismus oder Maoismus. Und der Versuch den Sozialismus real zu errichten führte dazu das diese ökonomische Umfeld, in dem Menschen wie Siemens, Bosch oder eben auch Musk Unternehmen gründen konnten, die Arbeit, Fortschritt und Wohlstand generierten.

      Ich will damit nicht sagen, dass man Eigentum/Vermögen nicht besser verteilen kann und muß. Aber dazu muß es erst mal entstehen. Und verteilen kann man nur einmal. Danach muß das Huhn auch weiter goldene Eier legen. Sonst ist das Vermögen zwar verteilt aber auch futsch ….

  3. Berthold Kaufmann
    Berthold Kaufmann · vor mehr als ein Jahr

    Vielen dank für die Ausführungen im Detail.... ich hatte das auch sorum in Erinnerung (:-)

  4. Nutzer gelöscht
    Nutzer gelöscht · vor mehr als ein Jahr · bearbeitet vor mehr als ein Jahr

    Das Problem des extremen Reichtums Einzelner liegt nicht primär am Raub aus unseren Taschen, sondern am Fiatgeld. Hätten wir ein wertbeständiges Geldsystem ( Gold gedeckt, BTC) kann die Arbeitsleistung des Einzelnen nicht verloren gehen. Mangels begrenzter Ressourcen von Gold und BTC ist so ein Reichtum technisch nicht möglich. Im bestehenden System machen sich dadurch Reiche immer reicher, und Staaten besorgen sich so neues Geld.

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