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Kurator'in für: Technologie und Gesellschaft
Das ehemalige Team der WIRED Germany hat mit 1E9 einen inoffiziellen Nachfolger gestartet. Auch bei 1E9 geht es um einen optimistischen, aber dennoch kritischen Blick auf Zukunftstechnologien und ihren Einfluss auf unser Leben: von KI über Blockchain bis zum autonomen Fahren oder Biotechnologie. Garniert wird das mit SciFi und Popkultur.
Neben den Journalistinnen und Journalisten, die für 1E9 arbeiten, kommen auch viele engagierte und fachkundige Mitglieder der 1E9-Community zu Wort. Denn 1E9 soll die interdisziplinäre Debatte über Technologie voranbringen.
Das, was wir heute als künstliche Intelligenz bezeichnen, könnte seinen größten Nutzen im Bereich Gesundheit erzielen. Laufend werden neue Fortschritte und Entwicklungen bekanntgegeben, hier nur ein paar Beispiele:
Vor einem Jahr kündigte das britische Start-up Exscientia an, erstmals ein von einer KI entwickeltes Medikament an Menschen testen zu wollen. Im vergangenen Oktober entschied die US-Regierung, den Einsatz von zwei KI-Systemen zur frühzeitigen Erkennung von Schlaganfällen und zur Diagnose von Augenschäden durch Diabetes zu bezahlen, die bereits von der Aufsichtsbehörde FDA zugelassen wurden. Und das deutsche Start-up Ada Health erweiterte seinen KI-gestützten Gesundheits-Chatbot nach Beginn der Coronakrise schnell um Unterstützung bei der Identifizierung einer COVID-19-Erkrankung.
Auch der Aktivist Bart de Witte, der früher bei IBM für den Bereich digitale Gesundheit verantwortlich war, sieht das Potenzial der Technologie. Bestenfalls könnte KI-Software aus seiner Sicht dazu führen, Fachwissen, das sich sonst nur durch jahrelanges Studieren und Praktizieren erwerben lässt, weltweit verfügbar zu machen – auch in Ländern ohne gut finanzierte Gesundheitssysteme.
Doch Bart de Witte fürchtet, dass sich am Ende die Machtstrukturen im Gesundheitssektor durchsetzen, die wir im Internet erleben: große Konzerne beherrschen den Markt, behalten ihr Wissen für sich – und sorgen dafür, dass nur die Menschen, die genug zahlen, Zugang zu lebensrettender Technologie haben. Der Grund für diese Sorge: Bei KI geht es genau wie im Internet um Daten.
Die Fortschritte, die KI im Gesundheitswesen bringt, basieren vor allem auf maschinellem Lernen. Simpel erklärt, lernen Algorithmen dabei, Muster und Logiken zu erkennen, zum Beispiel auf Röntgenbildern, in Messungen von Hirnströmen oder in genetischen Informationen. Damit die Systeme brauchbare Ergebnisse liefern, müssen sie allerdings trainiert werden. Und dafür braucht es Trainingsdaten – je mehr, desto besser, könnte man vereinfacht sagen.
Google, Apple, Amazon und andere Tech-Konzerne drängen in den Billionenmarkt Gesundheit und nutzen dabei ihre Datenkompetenz – und sichern sich Berge an Nutzerdaten. Dabei können sie durchaus Forschungserfolge vorweisen, insbesondere Google. Doch die wissenschaftlichen Artikel, die die Tech-Unternehmen dazu veröffentlichen, stoßen in der Wissenschaftscommunity zunehmend auf Kritik. Auch Bart de Witte wirft den Konzernen vor, wissenschaftliche Standards wie Überprüfbarkeit und Reproduzierbarkeit zu untergraben.
„Das hat für mich mehr mit Marketing als mit Wissenschaft zu tun.“ Was er damit meint, verdeutlicht die Debatte über eine Studie von Google Health, die Anfang 2020 im Fachmagazin Nature veröffentlicht wurde, in der es um KI ging, die Brustkrebs genauer erkennen konnte als Menschen. Aus Sicht einiger Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler hielt Google zu viele Informationen über den Programmcode des Algorithmus, die verwendeten Daten und die Methodik zurück, um die Ergebnisse reproduzieren zu können. 31 von ihnen kritisierten dies in einem offenen Brief, der wiederum in Nature veröffentlicht wurde.
„Wir brauchen einen Paradigmenwechsel“, fordert Bart de Witte. „Es darf nicht passieren, dass die Firmen, die die meisten Daten besitzen, am Ende eine künstliche Knappheit auf dem lebensrettenden Wissen aufbauen, über das sie verfügen, um daraus ein hochprofitables Geschäft zu machen.“
Damit Wissenschaft und andere Unternehmen ebenfalls KI-Systeme entwickeln können, hat Bart de Witte daher eine gemeinnützige Initiative gestartet: HIPPO AI. Ihr Ziel ist es, offene Datensätze aufzubauen, die von allen genutzt werden können – unter vergleichbaren Bedingungen wie die aus dem Foto-, Video- und Audiobereich bekannte Creative Commons Lizenz. Wer die Daten nutzt, muss am Ende auch die damit entwickelten Algorithmen offenlegen. Damit das Projekt ein Erfolg wird, braucht HIPPO AI allerdings Unterstützung.
„Wir sehen uns selbst als eine Data Liberation Machine“, sagt der Gründer von HIPPO AI. „Wir bekommen Spenden – sowohl Geld als auch Datenspenden – und erstellen damit anonymisierte Datensätze unter einem neuen Lizenzmodell.“
Eine erste Kampagne zur Sammlung von Datensätzen zur Brustkrebserkennung läuft bereits. Ziel sei, das ganze System "zu hacken", damit KI nicht zu einer neuen Form der Zwei-Klassen-Medizin führt.
Quelle: Wolfgang Kerler Bild: Vertigo3d 1e9.community
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