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Kurator'in für: Technologie und Gesellschaft
Das ehemalige Team der WIRED Germany hat mit 1E9 einen inoffiziellen Nachfolger gestartet. Auch bei 1E9 geht es um einen optimistischen, aber dennoch kritischen Blick auf Zukunftstechnologien und ihren Einfluss auf unser Leben: von KI über Blockchain bis zum autonomen Fahren oder Biotechnologie. Garniert wird das mit SciFi und Popkultur.
Neben den Journalistinnen und Journalisten, die für 1E9 arbeiten, kommen auch viele engagierte und fachkundige Mitglieder der 1E9-Community zu Wort. Denn 1E9 soll die interdisziplinäre Debatte über Technologie voranbringen.
Es klingt komfortabel, was die indische Gesundheits-App GOQii ihren Hunderttausenden Nutzerinnen und Nutzern bietet: Diese tragen die Fitnesstracker der Firma, fotografieren ihre Mahlzeiten, laden die Bilder mit der App hoch und machen außerdem Angaben über mögliche Gesundheitsprobleme oder Medikamente, die sie nehmen müssen. Im Gegenzug erhalten sie individuelle Ratschläge, um ihre Gesundheit zu verbessern. Und zwar nicht nur von einer Künstlichen Intelligenz in Form eines Chatbots, sondern auch von Menschen, mit denen sie chatten können.
Doch der Komfort für die User, auch Player genannt, hat einen Preis, den zum einen überqualifizierte Klickarbeiter zahlen müssen. Zum anderen die Player selbst – mit ihren Daten.
Der Artikel gibt Einblick in den Alltag einer Ernährungsberaterin für die App GOQii, die anonym bleiben will. Sie hat Ernährungswissenschaften studiert, hofft immer noch auf eine Karriere bei der Health-Tech-Firma. Doch im Text heißt sie nur Auftragnehmerin, denn eine feste Anstellung hat sie nicht. Sie wird vor allem nach Leistung bezahlt – also nach zufriedenen Kunden, die ihr Abo verlängert haben.
„Gute Fortschritte gestern. Haben Sie das tiefe Durchatmen vergessen?“ Die Auftragnehmerin schreibt einem Mann, der jeden Tag fünf Minuten tief durchatmen sollte. „Ein großer Fortschritt gestern“, sagt sie sie zu einem, der am Vortag mehr als 15.000 Schritte ging. (...) „Kommen Sie wieder ins Internet?“, fragt sie eine 42-jährige Frau, die ihre Gesundheitsstatistik nicht aktualisieren konnte, weil ihre Internetverbindung nicht funktionierte. Ein Player, der vom Plan abgewichen ist, bekommt eine ermutigende Nachricht. „Gute Fortschritte gestern!“, schreibt sie. „Hast du gestern Junkfood gegessen?“ „Ich habe kein Junkfood gegessen, sondern ein bisschen Lamm Biryani mit Zwiebeln in Quark“, antwortet der Player. „Vorgestern haben Sie Kuchen gegessen, bitte versuchen Sie, das bei einmal pro Woche zu belassen.“ „Ja, auf jeden Fall.“ „Gut“, sagt die Auftragnehmerin.
Die Arbeit, die aus dem Homeoffice stattfindet, ist eintönig. Ein großer Teil davon ist Copy and Paste. 230 Euro pro Monat kriegt die Auftragnehmerin dafür im Schnitt. Sie muss pro Tag mit über 50 Playern chatten, auf ihrem Dashboard deren Erfolge und Misserfolge verfolgen und vor allem verhindern, dass sie inaktiv werden und die App nicht mehr nutzen. Notfalls ruft sie dafür auch bei den Playern an.
Sie und die anderen Coaches trainieren außerdem Künstliche Intelligenzen, die immer größere Teile ihrer Arbeit übernehmen sollen. Denn jede Interaktion mit den Playern wird mitverfolgt und zur Entwicklung der schlauen Software verwendet.
Ein Teil des Geschäftsmodells von GOQii ist die Nutzung der Unmengen an persönlichen Daten, die über die App gesammelt werden. Sie werden weitergeleitet an Firmen wie Facebook, aber auch an eine Krankenversicherung, eine Rückversicherung und einen Pharmakonzern. Die Firma versichert zwar, dass die Player dann nicht mehr zu identifizieren seien. Doch Datenschützer bezweifeln das, auch weil das indische Datenschutzrecht schwach ist. Dass sich daran etwas ändert, gilt als wenig wahrscheinlich. Dafür sorgen die Health-Tech-Firmen, indem sie sich demonstrativ hinter die Politik des Premierministers Narendra Modi stellen.
Zum anderen profitierten sie von Modis persönlicher Agenda, zu der auch die Kampagne „Digital India“, die alle Inder online bringen soll, sowie das Bewerben von Fitness und Yoga gehören. Vor knapp einem Jahr rief er das „Fit India Movement“ aus und forderte die Menschen auf, Fitness zu einem Teil ihres Lebensstils zu machen.
Noch am selben Tag lancierte GOQii eine Fit-India-Special-Edition seines Fitness-Trackers, die vom Bollywood-Schauspieler Akshay Kumar beworben wurde, der für seine Nähe zum Modi-Regime bekannt ist. (Laut Economic Times hat er außerdem eine unbekannte Summe in GOQii investiert.) Ein paar Tage später wurde über das LinkedIn-Konto des GOQii-Gründers Vishal Gondal ein Brief von Premierminister Modi geteilt, in dem er GOQii für die Unterstützung von #FitIndia lobte.
Die dystopischen Visionen, vor denen Netzaktivistinnen und Datenschützer immer gewarnt haben – in Indien scheinen sie Realität zu werden.
Quelle: Gayathri Vaidyanathan 1e9.community
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