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Kurator'in für: Technologie und Gesellschaft
Das ehemalige Team der WIRED Germany hat mit 1E9 einen inoffiziellen Nachfolger gestartet. Auch bei 1E9 geht es um einen optimistischen, aber dennoch kritischen Blick auf Zukunftstechnologien und ihren Einfluss auf unser Leben: von KI über Blockchain bis zum autonomen Fahren oder Biotechnologie. Garniert wird das mit SciFi und Popkultur.
Neben den Journalistinnen und Journalisten, die für 1E9 arbeiten, kommen auch viele engagierte und fachkundige Mitglieder der 1E9-Community zu Wort. Denn 1E9 soll die interdisziplinäre Debatte über Technologie voranbringen.
Wären seine waghalsigen Pläne aufgegangen, wäre Lutz Kayser der Elon Musk der 1970er Jahre geworden. Er gründete damals die westdeutsche Orbital Transport und Raketen Aktiengesellschaft, kurz: OTRAG. Deren Ziel war es, wie Jahrzehnte später das von SpaceX und Elon Musk, Flüge ins All günstiger zu machen.
Finanziert wurde das Unterfangen zu einem großen Teil von deutschen Zahnärzten, die ein Steuersparmodell ausnutzten. Und auch auf die Unterstützung von Diktatoren stütze sich Kayser. Zunächst mit beachtlichem Erfolg.
Zaire im Jahr 1977. Ein Mann steht auf einem entlegenen Felsplateau im afrikanischen Buschland. Sein Blick schweift über den weiten Dschungel der heutigen Demokratischen Republik Kongo. Zusammen mit einer Gruppe eigenwilliger Ingenieure hat er die Firma OTRAG gegründet, ein Raketen-Start-up aus Westdeutschland, das von dem Diktator Mobutu Sese Seko unterstützt wird. Nach Monaten harter Arbeit soll hier die erste privat entwickelte Trägerrakete getestet werden – ein neun Meter hoher Moloch, der aus der Ferne an ein Bündel von Aluminiumstiften mit Raketenspitze erinnert. Der Countdown verläuft ohne Probleme. Mit einem röhrenden Fauchen hebt sich die Rakete nach dem Start von der Rampe und steigt zwölf Kilometer in die Höhe, bevor sie zurück zur Erde taumelt. Das ganze Plateau bricht in Jubel aus.
Moritz Müller-Freitag erzählt die Geschichte der OTRAG, angefangen von den ersten Versuchen mit günstigen Raketenantrieben bis zum fertigen Konzept der modularen Bündelraketen. Indem sie auf möglichst viele Standardbauteile und auch auf günstigeren Treibstoff setzten, sollten sie Raketenstarts bezahlbar machen.
Die Idee war so einfach wie revolutionär: Kayser plante die Bündelung vieler einfacher Tank- und Triebwerksmodule zu einer Bündelrakete. Das kleinste Raketenmodul sollte aus vier verbundenen Tankeinheiten und vier Triebwerken bestehen. Größere und damit leistungsfähigere Trägerraketen wurden ermöglicht, in dem größere Mengen an Tank- und Triebwerksmodulen zusammengebaut werden. Die größte Konfiguration, die sich Kayser auf dem Papier ausmalte, hätte bis zu 600 Triebwerksmodule umfasst! Und das war nicht die einzige Besonderheit: Statt die Stufen übereinander zu stapeln, sollten sie ineinander geschachtelt und nach dem Ausbrennen wie Zwiebelschichten abgeworfen werden. Diese Anordnung machte die Rakete nicht gerade zu einem schönen Vehikel – gerne wurde das eigenartige Design mit einem Bund Spargel verglichen. Doch Ästhetik war nicht das Ziel, die Devise lautete: „low cost statt high tech“.
Nach ersten erfolgreichen Tests musste die OTRAG Rückschläge verkraften. Die spekulative Technologie war noch nicht ganz ausgereift. Außerdem versiegte ihre Finanzierungsquelle. Und die USA, die Sowjetunion, aber auch Frankreich begannen, das kommerzielle Projekt einer deutschen Firma immer skeptischer zu beobachten – und übten politischen Druck aus.
1987 wurde die OTRAG abgewickelt. Ihre Geschichte lieferte aber den spannenden Stoff für den Dokumentarfilm Fly Rocket Fly. Und für diesen Artikel.
Lutz Kayser erkannte als Erster das Potenzial der privaten Raumfahrt – lange bevor die Welle ihren Scheitelpunkt erreicht hatte. Er hatte die richtige Idee zum falschen Zeitpunkt. Weitaus beunruhigender war jedoch seine Skrupellosigkeit, sich mit afrikanischen Diktatoren einzulassen und in ein politisches Minenfeld zu spazieren. Kaysers eigenwillige Naivität wirkt auf Außenstehende verblüffend; in der Start-up-Welt ist sie tatsächlich nicht so ungewöhnlich. Elon Musk ist der beste Beweis dafür, dass erfolgreiche Unternehmer nicht immer rationale Entscheidungen treffen: Kein klar denkender Mensch würde sein gesamtes Vermögen in zwei Firmen investieren, um parallel die Raumfahrt- und die Automobilindustrie zu revolutionieren. Marc Porat, der ehemalige CEO von General Magic, kommentiert dieses Verhalten wie folgt: „Eine Firma zu gründen erfordert einen enormen Antrieb. Und dieser Antrieb wurzelt teilweise in einer selektive Wahrnehmung und der unterdrückten Selbstbeobachtung.“ Doch auch hier gibt es Grenzen: Start-up scheitern zwangsläufig, wenn Irrationalität und Naivität mit einem völligen Mangel an Urteilsvermögen zusammenkommen.
Quelle: Moritz Müller-Freitag Bild: OTRAG 1e9.community
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