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Technologie und Gesellschaft

Der diskursive Double Whammy der großen Manipulation

Michael Seemann
Kulturwissenschaftler, Autor, Internettheoretiker
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Michael SeemannDienstag, 06.08.2019

1957 fand James Vicary heraus, dass man Menschen mittels bewusst kaum wahrnehmbarer Botschaften manipulieren kann. Blendet man zum Beispiel im Kino die Botschaft „Esst mehr Popcorn“ ein, steigt nachweisbar der Popcornumsatz. Vicarys Studie zu „Sublimnal Stimuli“ wurde zum weltweiten Erfolg. Die CIA unternahm alsbald eigene Experimente und natürlich war es auch mit der Kritik nicht weit. In „Die Geheimen Verführer“ von Vance Packard, das im selben Jahr erschien, wurden Vicarys manipulative Experimente mit Abscheu und Horror beschrieben.

Die Geschichte hat nur einen Haken. Das Experiment von James Vicary war rein erlogen und „Sublimnal Stimuli“ gibt es nicht. Dennoch hält sich die Geschichte dieses "urban Myth" nachhaltig. Es ist halt eine gute Geschichte.

Ich gehöre einer kleinen, radikalen Minderheit an, die die Allmacht von Big Data, KI und Facebook leugnet. Und ja, ich glaube nicht daran, dass Cambridge Analytica mittels Big-Data-Psycho-Superwaffe Donald Trump ins weiße Haus geschossen hat. Aber ich gebe zu: Auch das ist eine gute Geschichte.

Aber es ist nicht nur die gute Geschichte, die solche Mythen so widerstandsfähig macht. Es ist die Tatsache, dass diejenigen, die angeblich vor der Manipulation warnen, auf dasselbe Konto einzahlen, wie diejenigen, die ein Interesse daran haben, als die großen Manipulatoren zu gelten. Die "Große Manipulation" ist ein diskursiver "Double Whammy".  

Vicarys Behauptungen hat niemand wirklich ernst genommen, bevor Packard in die "Geheimen Verführer" vor ihm warnte. Ähnlich ging es Alexander Nix, dem Geschäftsführer von Cambridge Analytica. Erst mit der Medienberichterstattung um die angebliche große Massenmanipulation bekam sein Schlangenöl allgemeine Glaubwürdigkeit.

Gerade wird ein weiterer Baustein der Cambridge-Anlytica-Legende durch den Blätterwald getrieben. Es ist eine Netflix-Doku, die in raunendem Ton von dem "großen Hack" berichtet und sich dabei unglaublich kritisch vorkommt.

Es ist umso erfrischender, dass es immer noch ein paar kritische Geister gibt, die sich mit diesem Quatsch auseinandersetzen. Der Text arbeitet fein heraus, wie die Dokumentation genau das tut, was sie Cambridge Analytica vorwirft: manipulieren.

Wahrscheinlich aber mit dem großen Unterschied, dass die Doku wesentlich erfolgreicher dabei ist.

Der diskursive Double Whammy der großen Manipulation

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Kommentare 4
  1. Silke Jäger
    Silke Jäger · vor mehr als 5 Jahre

    Ich gehöre ja zu der Gruppe, die sehr besorgt darüber ist, dass Werbung mittels Mikrotargeting gezielt ausgespielt wird. Dass ich zu Katzenfutterkäufen animiert werden könnte, obwohl ich keine Katze besitze, halte ich auch für Quatsch. Aber ich mag es trotzdem überhaupt nicht, dass Plattformen mir Dinge in die Timeline spülen, für die ich mich interessieren könnte. Oft treffen sie meinen Nerv – zum Glück nicht immer. Aber selbst wenn es schief geht, ist das Problem ja noch da: Dritte, die ich nicht kenne, machen irgendwas mit MEINER Timeline, weil mich die Plattform aufgrund meines Verhaltens in irgendeine Schublade steckt. Nun weiß ich das ja und lasse mich auf bestimmte Plattformen schon gar nicht mehr ein. Und auch andere Einstellungen helfen dabei, sich nicht aus Versehen selbst in was weiß ich was für Schubladen zu katapultieren. Aber früher habe ich auch Online-Quizzes gemacht. Die Altlasten schwirren also noch rum. Und ich bewege mich weiter im Netz, ohne eine Ahnung davon zu haben, welche Datenbank ich mit welchen Infos auf dem Weg so füttere. Egal, ob staatlich oder corporate.

    Ich möchte gerne ohne Paranoia haben zu müssen Online publizieren und Dienste nutzen. Und deswegen stört es mich sehr, dass die Werbeindustrie so intransparent arbeitet. Genau: Wenn sie übertreiben, würde ich gerne verstehen, an welcher Stelle. Aber das wird leider in deinem piq auch nicht klar. Ich stimme zu: Den Double Whammy machen wir uns wohl zu wenig bewusst. Das passt ja durchaus in die Konzepte der Massenpsychologie.

    Trotzdem habe ich ein Problem mit CA und deren Arbeit bei Wahlen. CA ist ja nur ein kleiner Ausschnitt aus dem Industriezweig der Tracking- und Analysefirmen. Wie viele Firmen dieser Art gibt es? Wenn man sich mit dem gesamten Geschäftsmodell von SCL beschäftigt (der Mutter von CA), dann hat man schon eine Menge Fragen. Die Arbeit an Wahlen ist ja nur ein kleiner Ausschnitt aus dem Portfolio. Und offenbar glauben nicht nur wir Normalsterbliche an deren Künste, sondern auch Verteidigungsressorts in den USA und der EU. Klar hat es schon immer Methodengeheimhaltung bei Sicherheitsbehörden gegeben – aus nachvollziehbaren Gründen. Aber diese totalen Möglichkeiten zur Infobeschaffung sind ja neu. Und mich stört, dass was auch immer genau da passiert ohne gesellschaftlichen Diskurs und mit ziemlich wenig gesetzgeberischem Überblick – geschweige denn Kontrolle – abläuft. Ich möchte gerne Regeln für Wahlwerbung im Netz. Auch wenn es sehr schwierig wird, eine vernünftige Definition hinzukriegen und klare Grenzen zu ziehen. Einfach, damit mehr Licht in die Black Box kommt.

    Leider liegt es ja in der Natur der Sache, das niemand genau sagen kann, wie viel Anteil an einem Wahlerfolg irgendeine Wahlwerbung hatte. Deshalb greift für mich dieses Argument kein bisschen, um alles einfach so weiterlaufen zu lassen nach 2016. Ich finde die Frage viel wichtiger, ob wir wirklich Wahlwerbung wollen, die auf unsere psychologischen Profile und die gesammelten Datenpunkte zugeschnitten ist. Egal, ob sie wirkt oder Schlangenöl ist. Ich weiß, dass ich das nicht will. Und ich verstehe auch nicht, warum im Netz intransparente Wahlwerbung gemacht werden darf, wenn sie Offline verboten ist. Für diese Regelung gibt's ja schließlich auch gute Gründe.

    1. Michael Seemann
      Michael Seemann · vor mehr als 5 Jahre

      Das mit dem "nicht paranoid sein" kann man nur selbst erledigen. Mein Tipp: sich nicht kirre machen lassen von den Datenschützern da draußen.

    2. Silke Jäger
      Silke Jäger · vor mehr als 5 Jahre

      @Michael Seemann Jepp, bin am Thema nicht paranoid werden dran. Aber der Tipp mit den Datenschützern kommt etwas überraschend ;)

    3. Felix Schwenzel
      Felix Schwenzel · vor mehr als 5 Jahre

      @Michael Seemann ja und nein. kirre (machen | machen lassen) ist nie gut, fear, doubt und uncertainty ist fast immer ein zeichen für foul play. aber trotzdem möchte ich mein persönliches datenspende-verhalten — soweit mir das intellektuell und technisch möglich ist — einschränken. ein bisschen bewusstsein und hintergrundwissen schadet hier sicher nicht.

      früher™ hab ich ghostery zum blocken von fischigen scripten (und werbung) genutzt, bis mir klar wurde, dass browser-plugins sich in der regel etwas zu viele potenzielle berechtigungen nehmen und eben auch interesse am datensammeln haben. deshalb hab ich aus meinen browsern solche extensions erstmal komplett rausgeschmissen und mich auf die eingebauten (nicht ausreichenden) schutzmechanismen zurückgezogen.

      mir gefiel das konzept von pihole, einem DNS-server den man sich mit wenigen klicks auf einem raspberry (oder linux rechner oder mac) zuhause installieren kann: alle DNS-anfragen gehen über den und dort werden dann werbetracker, scripte aus grauen quellen, bitcoin-miner etc. geblockt. das overblocking kann man relativ gut über whitelisting und anpassungen der filterlisten und -regeln zentral regeln.

      seitdem pihole zuhause läuft ist das erfreulichste, dass auch die handys tracker- und verarschungs-script frei sind, ohne sich komische, intransparente blocker-apps oder fremd-vpns installieren zu müssen. plötzlich poppen die die „sie haben ein macbook gewonnen“ alerts nicht mehr bei boingboing.net auf, plötzlich sieht man wieder weissräume auf webseiten.

      ich mag die idee in gewissen rahmen meinen datenabfluss und datenspendenverhalten selbst zu regulieren. mit den richtigen tools geht das auch, allerdings gibt es zu viele tools, die unter falscher flagge segeln.

      und da wird’s knifflig: weil ich ein gewisses technisches verständnis und eine gewisse experimentierfreude habe, kann ich die „richtigen“ tools zu nutzen. wer diese zeit aber nicht investieren will, auf wen soll der hören? wie soll der sich vor schadcode und fishing-attacken, die über legitime webseiten immer wieder ausgeliefert werden, schützen? deshalb sehe ich datenschützer nach wie vor in einer wichtigen rolle, nicht wegen des kirre machens, sondern um des regulierens und auswüchse anzumahnen wegen.

      und nochwas: wenn man das filtern und lenken selbst übernimmt sieht man erstmal was da alles an daten anfällt, was man da alles rauslesen kann. hier steckt auch wieder ein enormes überwachungs- bzw. missbrauchspotenzial drin, gegenüber mitbewohnern und lebenspartnern. da kann man dann auch ohne datenschützer kirre und paranoid werden.

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