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Kurator'in für: Volk und Wirtschaft Medien und Gesellschaft Technologie und Gesellschaft Fundstücke
Leitet das Digital-Team im Wirtschaftsressort der Süddeutschen Zeitung, was nicht heißt, dass er nur Nerd-Kram piqt. Studierte in Erlangen und Portland Politikwissenschaft und Amerikanistik, schrieb in Nürnberg, Berlin, New York und München. Interessiert an allem Politischen. Am Absurden sowieso. Süchtig nach Longreads.
Die Versprechen der Krypto-Gläubigen sind elektrisierend: Was, wenn wir gesellschaftliche Institutionen – der Begriff klingt ja schon so schwerfällig – durch Technologie ersetzen könnten? Statt sich auf Bafin oder EZB zu verlassen, liefe dann alles über die Blockchain, Vertrauen wird elektronisch hergestellt und garantiert, keiner wäre mehr von Bürokratiemonstern oder der Willkür von Beamten abhängig. Alles läuft über Apps.
Kaum jemand propagiert eine neue, völlig dezentralisierte Kryptowelt wie Balaji Srinivasan, der Gründer, Investor und ehemaliger Chief Technical Officer von Coinbase. Er stilisiert sich als unorthodoxer Freidenker, klingt dabei aber verdächtig nach radikalem Pro-Business-Libertären, wie es viele im Silicon Valley gibt. Man muss nur genau hinhören.
Ich habe sein Gespräch mit dem Autor, Neurowissenschaftler und Profi-Atheisten Sam Harris in dessen Podcast gepiqd, weil ich finde, dass es die Krypto-Prediger demaskiert (das komplette Gespräch dauert 5 Stunden, ist aber nur für zahlenden Podcast-Abonnenten, alle anderen hören nur den ersten Teil). Srinivasan ist intelligent, aber das äußert sich praktisch ausschließlich in seinem flüssigen, kaum enden wollenden Strom aus Buzzzwords und abgefahrenen Metaphern für die Gebrechlichkeit des alten Systems und die fast schon magischen Fähigkeiten von Krypto-Technik (die freilich bislang alle noch auf sich warten lassen, sieht man von Ausnahmen wie Bitcoin ab).
Sam Harris nimmt eine Position ein, die viele Deutsche teilen dürften: Er hat hohes Vertrauen in die Institutionen der westlichen Demokratie - er will sie nur besser machen. Wirecard & Co. haben ja gezeigt, dass etwa die Aufsicht auch ein Jahrzehnt nach der Finanzkrise nicht wirklich funktioniert.
Wenn Harris kritisch nachhakt, relativiert Srinavasan auch sehr schnell: Nein, nein, man braucht ja irgendwie doch jemanden, der am Flughafen Taschen nach Bomben kontrolliert, das geht natürlich nicht alles mit Krypto.
Balaji Srinivasans einzige wirklich konkrete Idee macht Harris umgehend zunichte: Barcodes auf Medikamenten mit dem Handy zu scannen und alle crowdgesourcten Nebenwirkungen zu sehen, die jemand mit ähnlichen Genen wie man selbst jemals hatte und damit die Pharmaaufsicht überflüssig machen. Harris verweist darauf, dass man dazu erst mal das gesamte Erbgut aller Bürger erfassen müsste – sicher keine Welt, in der libertäre Dezentralisierungsfans leben wollen.
Einigen könne sich beide nur auf ihre übertriebene Angst vor der vermeintlich gefährlichen "Wokeness", die überall Einzug hält, aber das ist ein anderes Thema. Eine lohnenswerte Auseinandersetzung mit dem lautstarken Ruf nach einer neuen Dezentralisierung der Welt, der immer lauter wird und mit dem man sich auseinandersetzen muss (wie das schon Ijoma Mangold hier getan hat). Gut, dass Harris den Krypto-Visionen aufgeschlossen gegenübersteht, sie aber kritisch abklopft.
Quelle: Sam Harris EN samharris.org
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Der kritische und ausgewogene Blick von Sam Harris ist wohltuend.
Für mich steht der Begriff "Krypto" stellvertretend für den Übergang in neues Internet-Zeitalter. Eine Antwort auf das bisher zentralisierte Internet ist eine dezentrale Form; muss geradezu dezentral organisiert sein. Auch wenn durch das zentralisierte Internet Milliarden von Menschen Zugang zu erstaunlichen Technologien bekamen, von denen auch viele frei nutzbar waren, so hatte das auch seine Schattenseiten (z.B. Monopolisierung, Gewinnabschöpfung, Datenvereinnahmung, ...). Die zentralen Internet-Dienste werden in den kommenden Jahren wahrscheinlich fast vollständig eine neue Architektur erfahren. Dies wird durch Kryptonetzwerke geschehen. Sie verwenden mehrere Mechanismen, um sicherzustellen, dass sie neutral bleiben, während sie wachsen. Und sie verhindern das Lockvogeltaktieren von zentralisierten Plattformen. Dies muss nicht der einzige Entwicklungspfad sein. Das bestehende zentralisierte Internet wird aber immer weniger global, weniger interoperabel und weniger offen sein. Die Strategien einzelner Länder hin zur Datenlokalisierung sind jedenfalls auch keine Lösung.