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Pop und Kultur

Wie aus einem harmlosen Song verstörende Zeitkritik wird

Martin Böttcher
Journalist, Sammler
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Martin BöttcherSonntag, 08.03.2020

Vor rund neun Jahren wurde mein Bild vom Theater radikal verändert. Theater, so muss man das wohl sagen, hatte mich bis dahin gar nicht interessiert, dann geriet ich in das frei zugängliche Totaltheater von Vegard Vinge und Ida Müller, die in Berlin-Mitte für einige Wochen lang, 24 Stunden am Tag, ihre Version des Ibsen-Dramas "Die Wildente" aufführten. Es ist wirklich nicht so einfach zu beschreiben, was da passierte, aber die Kombination aus Schauspielern mit unwirklichen Masken, verstörenden Sounds, Wortfetzen mit verfremdeten Stimmen, Szenen, in denen literweise Kunstblut fließt, dazu das Auswälzen von Szenen über lange Zeiträume und vieles mehr, packte mich. Seitdem interessiert mich das Theater im Allgemeinen auch nicht mehr als vorher, aber ich versuche alles, was Vegard Vinge und Ida Müller machen, zu sehen (und zum Teil auch schriftlich und bildlich festzuhalten). Ich habe 12 Stunden lange Inszenierungen der beiden gesehen, manchmal mehrere Tage hintereinander. Ich bin nach Norwegen gefahren, um meine Sehnsucht nach Vinge-Müller-Material zu stillen. Und es hat mich sogar bis nach Berlin-Reinickendorf gebracht.

In letzter Zeit ist es stiller um die beiden geworden, aber der Kollege Ulrich Seidler, der auch eine Art Vinge-Müller-Obsession zu haben scheint, hat für die Berliner Zeitung etwas Neues ausgegraben: Der Musiker Magne Furuholmen, Mitbegründer der norwegischen Band a-ha, hatte vor einem halben Jahr ein Video zu seinem Song "This Is Now America" veröffentlicht. Ein schöner Song, aber ein relativ harmloses Video, bei dem die Lyrics in Papierbuchstaben widergespiegelt werden. Jetzt gibt es ein zweites Video zum selben Song - und dieses Video wurde von Vegard Vinge und Ida Müller gestaltet. Aus dem wirklich nicht besonders krassen Song wird mit Hilfe der Bilder auf einmal ein böser Kommentar zu unserer Zeit, ein Kommentar zu US-Präsident Trumps zynischer Politik. Die Mittel sind die gleichen wie in den Theateraufführungen, gemalte Settings plus Menschen in Masken, die rätselhafte und verstörende Dinge tun. Vinge und Müller haben sich da auch selbst recycelt. Ein ziemlich guter Einstieg in die Welt der beiden - und gute Gelegenheit, sich noch einmal über die Kraft von Bildern klarzuwerden.

Wie aus einem harmlosen Song verstörende Zeitkritik wird

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