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Pop und Kultur

Vergangenheitsbewältigung mit Richard Wagner

Martin Böttcher
Journalist, Sammler
Zum Kurator'innen-Profil
Martin BöttcherDonnerstag, 08.08.2019

Die Hochkultur tickt aus, es ist schließlich wieder Richard-Wagner-Zeit in Bayreuth. Und wie so oft, wenn etwas als das Non-Plus-Ultra gilt, als kultureller und gesellschaftlicher Höhepunkt, dann kann man das Ganze auch komplett anders betrachten. Leo Fischer jedenfalls spricht mir aus der Seele, wenn er sich wundert, was da in Bayreuth eigentlich passiert, woher die Bewunderung für den Antisemiten Wagner kommt und wer damit alles kein Problem hat. Für alle, die Fischer nicht kennen sollten (nebenbei bemerkt: man sollte aber!): Leo Fischer war früher mal Chefredakteur bei Titanic und gruselt sich laut Eigenbeschreibung "täglich vor seinen Mitmenschen und schreibt das dann auf." In diesem gepiqten Fall hat er das für die Jungle World getan, unter anderem mit folgenden Worten:

Die Tatsache, dass selbst die Kanzlerin antanzt, wenn der x-te Aufguss des dumpfen Gefiedels durchs nordbayerische Nitschewo röhrt, ist für den Experten ein weiterer Hinweis auf die besondere Qualität der Musik

Polemisch, ja, aber eigentlich die einzig halbwegs erträglich Form, mit der man sich dieser Heldenverehrung in Bayreuth nähern kann. Hört mir auf mit Wagner!

Vergangenheitsbewältigung mit Richard Wagner

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Kommentare 1
  1. Achim Engelberg
    Achim Engelberg · vor mehr als 5 Jahre

    Ich weiß nicht, was wahr und was erfunden ist an dieser Anekdote, die Marcel Reich-Ranicki erzählt, aber sie beschreibt gut die Ambivalenzen im Umgang mit Richard Wagner:

    "Lange dauerte es nicht, und Eisler begann über Wagner zu reden, genauer gesagt: zu schimpfen. Es war ungeheuerlich: Er nannte ihn einen kompletten Scharlatan, einen Kitschier der schlimmsten Art, einen geschmacklosen Wichtigtuer. Ich dachte nicht daran, diese flammenden Beschimpfungen ernst zu nehmen. Sie amüsierten mich. Überdies war mir klar: Wer sich mit so viel Leidenschaft gegen einen Komponisten der Vergangenheit auflehnt, der verrät sich. Er verdankt ihm wohl viel, ihn verbindet mit dem Attackierten zumindest Haßliebe.

    Ich ließ also Eisler reden, ich widersprach ihm überhaupt nicht. Wozu auch? Ohnehin war ich sicher, daß ich diesen heiteren Dialog leicht gewinnen würde. Denn ich hatte einen Namen in Reserve, der, meinte ich, wie ein Joker im Kartenspiel alles entscheiden würde. Ich brauchte von diesem Joker nur Gebrauch zu machen, und Eisler, ein glänzender Musiker, würde sofort kapitulieren.

    Schließlich kam der Augenblick, wo mir seine Schimpftiraden reichten. Ich sagte: „Ja, ja, Herr Eisler, was Sie so erzählen, mag ja richtig sein. Ich bin schon einverstanden, aber dieser furchtbare Wagner, er hat doch“, jetzt kam ich mit meinem Joker, „er hat doch den ,Tristan‘ geschrieben.“

    Eisler verstummte. Es wurde still im Zimmer, ganz still.

    Dann sagte er sehr leise: „Das ist etwas ganz anderes. Das ist Musik.“ Vier Jahre später, 1962 – ich war längst in Deutschland –, las ich in den Zeitungen, Eisler sei gestorben. Und ich las, daß er, der große Musiker, der Jude Hanns Eisler, sich auf seinem Totenbett die Partitur von „Tristan und Isolde“ habe geben lassen."

    https://literaturkriti...

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