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Pop und Kultur

Musik zum Runterkommen (part VII)

Jan Paersch
Autor für taz, NDR, DLF, Jazz Thing und andere
Zum Kurator'innen-Profil
Jan PaerschDienstag, 28.02.2023

Die Geschichte von Lonnie Holley ist so unglaublich, dass sie am Ende vielleicht doch stimmt. Zumindest in einem poetischen Paralleluniversum. Als siebtes von 27 Kindern im Jahr 1950 geboren, wurde der Junge aus Birmingham, Alabama angeblich im Alter von vier Jahren in einem Bordell an einen Schmuggler verkauft – für einen Liter Whiskey. Er arbeitete früh in verschiedensten Jobs, sammelte Müll, pflückte Baumwolle, hob Gräber aus.

Als nach dem Tod seiner Nichten kein Geld für Grabsteine vorhanden war, stellte Holley diese selbst aus einer Art Sandstein her. Es war der Beginn einer Künstlerkarriere, die seine Werke bis ins Weiße Haus trug. Singen/sprechsingen tut er erst seit zehn Jahren, auf dem demnächst erscheinenden Album hat er dabei Unterstützung von Justin Vernon aka Bon Iver oder von der Spoken-Word-Aktivistin Moor Mother, die auf dem westafrikanisch-hypnotischen "I am Part of the Wonder" gastiert.

Der schönste Song von "Oh Me Oh My" ist der Titelsong, unten gepiqt. Da sind kaum mehr als ein paar hingetupfte Klaviertöne, dazu singt Holley über seine Grandma. Das erinnert natürlich an Bill Withers, aber Holleys typisches Jazz-Ambient-Blues-Funk-Gemisch ist sehr viel reduzierter. Großartig ist aber vor allem, was Gast Michael Stipe hier macht: der REM-Sänger bekommt genau drei Wörter. Er wiederholt sie immer wieder mantraartig im Hintergrund, wie ein "Lament" auf einer Beerdigung in den Südstaaten. Lange nicht mehr etwas so Beruhigendes gehört.

Zweiter Tipp: Das überraschende, traurige neue Interview mit Keith Jarrett habe ich zum Anlass genommen, ein oft übersehenes Solo-Album auszugraben. "Creation" ist ungewöhnlich, auch im Werk des Über-Pianisten Jarrett, weil er hier mit Mitschnitten verschiedener Live-Auftritte ein fiktives neues Konzert geschaffen hat. Darauf: Keine Bach-Fugen, keine donnernden 20-Minuten-Improvisationen, kein entspanntes Standards-Duett. Einfach schlichte Melodien, die Kritiker mit klassischen Etüden verglichen haben. Kein gemütliches Teatime-Album, aber ein tiefes, nachdenkliches.

Bonus-Tipp, wo wir schon beim Klavier sind: Brad Mehldaus Beatles-Interpretationen kann man immer wieder hören, auch zum Tee.

Musik zum Runterkommen (part VII)

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Kommentare 6
  1. Jan Paersch
    Jan Paersch · vor fast 2 Jahre

    In diesem Video kommt auch endlich Lonnie selbst vor:
    https://www.youtube.co...

  2. Ruediger Reinhardt
    Ruediger Reinhardt · vor fast 2 Jahre

    Spotify Playlist habe ich nicht - aber eine von Deezer:

    https://www.deezer.com...

  3. Michael Eisner
    Michael Eisner · vor fast 2 Jahre

    Hallo Jan,
    eine Spotify-Playlist wäre super!
    Danke,
    Michael

    1. Jan Paersch
      Jan Paersch · vor fast 2 Jahre

      Gern, aber wozu genau? ich habe schon dutzende Playlists auf spotify erstellt, am ehesten in eine "Runterkommen"-Richtung gehen die beiden:
      https://open.spotify.c...
      https://open.spotify.c...

  4. Theresa Bäuerlein
    Theresa Bäuerlein · vor fast 2 Jahre · bearbeitet vor fast 2 Jahre

    Der Bonus Tipp ist ja *unglaublich* toll! Vielen Dank für diese großartigen Empfehlungen. Wo findest du diese Dinge?

    1. Jan Paersch
      Jan Paersch · vor fast 2 Jahre

      Well, it's my job. Da nich' für, wie man hier oben sagt.
      Mehldau ist allerdings nicht schwer zu finden, dem kann man aufgrund Major-Label und sonstiger Prominenz kaum aus dem Weg gehen. Und Lonnie - ja, für solche Künstler lohnt ein gutes Promotion-Netzwerk.

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