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Pop und Kultur

Ambient Musik hilft, die Zeit aufzulösen. Und mehr.

Dorothea Tachler
Musikerin

Spielt und singt in Bands und macht Musik für Filme.
Ihre eigenen Bands heissen My Favourite Things und Hunki Dori.
Sammelt und verteilt Lieder und Artikel in München, Berlin und New York.

Zum Kurator'innen-Profil
Dorothea TachlerMontag, 18.04.2022

Die Kunst- und Musikkritikerin Isabelia Herrera der NY Times setzt sich in diesem Artikel mit Ambient Musik auseinander. Für einige vielleicht bekannt als Hintergrundmusik oder Musik als Tapete. Doch Herrera findet, dass mehr dahinter steckt. Sie selbst suchte nach Ambient Musik, um Playlisten zu erstellen, nachdem sie erfuhr, dass ihre Mutter einen Schlaganfall hatte. Ihr erstes Gefühl war aber nicht Verzweiflung, sondern ein Impuls, Probleme lösen zu wollen. Und der Schlaganfall war nicht das einzige Problem – das Auto der Mutter hatte einen Totalschaden erlitten, außerdem war da die bevorstehende Präsidentschaftswahl in den USA und die Pandemie. Obendrein steckte die Journalistin mitten im Endzug ihres Master-Abschlusses und als immigrierte Familie aus der Dominikanischen Republik hatten sie in den USA nicht wirklich Hilfe oder ein Netzwerk. So erstellte sie Playlisten mit Ambient Musik, um sich nicht nur zu beruhigen, sondern auch um klarer denken zu können. Und fand heraus, dass dieses musikalische Genre in den letzten Jahren zum Balsam für den Planeten wurde, der mit dem Massensterben, politischer Instabilität und Angst vor dem Klimawandel irgendwie klarkommen musste. Doch merkte sie, dass diese Musik nicht ihr Gehirn einlullt, wie z. B. die Musikkritikerin Liz Pelly schreibt, oder nur ein Akt der Selbstfürsorge ist, sondern dass das Anhören ihr eine Art von Kontrollabgabe ermöglichte. Die Musik zwang sie dazu, alles zu verlangsamen und sich wirklich mit der Situation auseinanderzusetzen, mit der sie konfrontiert war, z. B. als sie ihre Mutter vom Krankenhaus zurück in deren Wohnung brachte. Als Klangmaterial listet sie Alessandro Cortinis "Iniziare" und beschreibt, was in ihr vorgeht, wenn sie diese Musik hört. Keine Fahrstuhlmusik, sondern eine Reise nach innen. Die Zeit löst sich auf und somit auch das pressierende Gefühl der Notsituation. Der Körper entspannt sich und der Geist bekommt die Gelegenheit, alles zu verarbeiten, ohne dabei alles zu bewerten. Der britische Musiker und Kritiker David Toop, der "Ocean of Sound" schrieb, sagte, dass dies in den '70er Jahren, zu den Anfängen der Ambient Musik, auch so als Programm gedacht war – dies aber leider in den letzten Jahren etwas verlorengegangen ist. Er meint, die Musik soll nicht dazu da sein, dass sich jemand zurückzieht, sondern im Gegenteil alles mit einbezieht. In der heutigen Multi-Milliarden Euro schweren Wellnessindustrie gibt es natürlich unzählige Apps und Playlisten, die Ambient als Hintergrundsmusik verwenden, statt ihr Potenzial zu feiern: nämlich die Kapazität, Grenzen aufzuweichen und Vorstellungen von Sound, Politik, Zeit und Raum. Herrera spricht auch über Pauline Oliveros, die Erfinderin des "Deep Listening", Jefre Cantu-Ledesma und Laraajis "Being Here". Und wie ihr dieses Stück half, sich nicht eben abzulenken von den Schwierigkeiten ihres Lebens, sondern diese mit dem Gefühl der aufgelösten Zeit zu betrachten – oft reagiert man impulsiv, aus Panik, statt sich diesem Zeitdruck zu entziehen und sich mit den Dingen von dieser Warte aus auseinanderzusetzen. Und Ambient Musik kann dabei helfen.

Ambient Musik hilft, die Zeit aufzulösen. Und mehr.

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Kommentare 2
  1. Daniel S
    Daniel S · vor mehr als 2 Jahre

    Danke für diesen wundervollen piq!

    1. Maximilian Rosch
      Maximilian Rosch · vor mehr als 2 Jahre

      Dem kann ich mich nur anschließen. Grandios!

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