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Medien und Gesellschaft

Wie Faschismus funktioniert — und was Faschismus niemals ist

Felix Schwenzel
Internetadept

Ich schreibe seit 1995 gern ins Internet.

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Felix SchwenzelDonnerstag, 31.10.2019

Auf Twitter machte vor ein paar Tagen ein Video und dieser Text über Alice Weidels Ausraster auf einer AFD-Veranstaltung die Runde. Während einer Rede dachte Weidel einer ihrer Zuhörer hätte eine kritische Geste gemacht, isolierte ihn verbal und mit dem Zeigefinger — und veranlasste den Saalschutz den Mann in ihrem Namen rauszuschmeissen: „Ich schmeiss sie raus! […] Wir sind die Demokraten! Ich lass mir sowas von ihnen nicht gefallen! Hauen sie ab!“

Später stellt sich raus, das war alles ein Missverständnis, der Mann war eigentlich ein AFD Sympatisant.

Die Schlussfolgerung des Texts von Thomas Laschyk lautet:

An diesem kleinen Beispiel kann man exzellent erkennen, wie Faschismus funktioniert. Man kann es gut erkennen, weil es diesmal nicht um einen politischen Gegner ging, nicht um einen Migranten oder jemanden, den man dafür halten könnte. EinE FührerIn wie Frau Weidel zeigt auf einen Menschen, macht ihn zum “Mann mit Pferdeschwanz” und gibt ihn der eigenen Anhängerschaft zum Abschuss frei. Dabei spielt keine Rolle, was er getan hat oder wer er ist. Ohne zu Zögern fangen die Anhänger an, ihn zu hassen. Grundlos. Nur, weil Frau Weidel das so wollte.
Sie hinterfragen nicht, ob Frau Weidel richtig lag oder nicht, sie fangen sogleich an, verbal auf ihn einzutreten, wie man erschreckend in den Kommentarspalten sehen kann. Er, eigentlich AfD-Sympathisant, ist plötzlich grundlos zum Hassobjekt geworden. Man findet plötzlich Dinge an ihm, die ihn “anders” machen – man sucht Gründe, ihn zu hassen, wie den Pferdeschwanz. Die AfD instrumentalisiert einen Fall völlig grundlos, um ihre politischen Gegner anzugreifen. Doch was in Wahrheit enthüllt wurde: Wie die Methode der Spaltung und des Hasses in der AfD funktioniert. Völlig grundlos zum Ziel gemacht zu werden, ist die Methode der AfD.

Ich habe mir vor ein paar Tagen folgenden Gedanken zu diesem Text notiert:

Ja, man kann hier gut sehen, wie Faschismus funktioniert, man kann das immer wieder bei der AFD sehen, bei Donald Trump und unzähligen Anderen.

Vereinfachen statt Differenzieren, Spalten statt nach Gemeinsamkeiten zu suchen, Hass und Angst verbreiten statt Gelassenheit zu üben, Ausgrenzen statt anderen fair, offfen und gerecht zu begegnen. Überall Feinde sehen und das an Äusserlichkeiten festmachen, statt hinter Fassaden zu schauen oder sich mit Anderen auseinander zu setzen, Anderssein, anders aussehen stigmatisieren, statt sich selbst in Anderen zu erkennen, paranoid und hysterisch auf (vermeintliche) Angriffe reagieren, statt gelassen mit Kritik umgehen. Das sieht man bei Trump, Erdoğan, Weidel und unzähligen anderen selbstverliebten, autoritären Polit-Clowns, immer wieder.

Wo mir das nie auffiel: bei Obama oder Merkel — oder damals™ bei Norbert Blüm. Helmut Kohl rastete gelegentlich aus, Helmut Schmidt wirkte auch selbstverliebt, aber wenigstens auf eine staatsmännische Art.

Und dann habe ich Barak Obama gesehen, wie er ein beeindruckendes Plädoyer hielt, für mehr Ambiguität, weniger Selbstgerechtigkeit und weniger Steinewerfen und Gerölllawinen lostreten in sozialen Netzwerken. 

Ich bin mir nach ein bisschen Nachdenken und Obamas Worten nicht mehr ganz sicher, ob Weidels Ausraster ein Paradebeispiel für die Funktionsweise von Faschismus ist. Ich halte den Text und die Einschätzung von Thomas Laschyk für lesenswert (weshalb ich ihn piqe) — und ich halte Weidel ganz klar für eine hohle und giftige Nuss, aber diesen Vorfall als eine Essenz des Faschismus auszurufen, ist mir dann doch einen Ticken zu undifferenziert und erreicht womöglich nichts anderes, als ohnehin offene Türen einrennen (preaching to the choir).

Wo ich mir aber ziemlich sicher bin: Mehr Gelassenheit täte uns allen gut, denn Faschismus ist eines ganz sicher nie: gelassen.

Wie Faschismus funktioniert — und was Faschismus niemals ist

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Kommentare 5
  1. Achim Engelberg
    Achim Engelberg · vor 5 Jahren

    Ergänzend sei auf diesen Artikel zu den erstmals edierten Vorträgen von Adorno hingewiesen: https://taz.de/!5635338/

    Darin heißt es:
    Adorno sah die Gefahr nicht von außen kommen. Das „Potential des Rechtsradikalismus“ liege darin, „daß die gesellschaftlichen Voraussetzungen des Faschismus nach wie vor fortbestehen“. Dafür sei zum einen „die nach wie vor herrschende Konzentrationstendenz des Kapitals“ verantwortlich, sagte er 1967 in Wien. Zum andern, das hatte er 1960 in Ingelheim ausgeführt, der „aggressive Nationalismus“. Und vor allem die psychische Disposition des „autoritätsgebunden Charakters“, die es ermöglicht, dass „Menschen sich für irrationale Ziele einspannen lassen, die sie selbst zerstören“.

    Es sind nicht nur autoritäre Gesellschaften, die autoritäre Charaktere hervorbringen. Auch in den liberalen westlichen Demokratien sei „die Einrichtung unserer ökonomischen Verhältnisse autoritär“. So ließen sich Selbstbestimmung und Freiheit seelisch und gesellschaftlich nicht verwirklichen.

    Adornos ­Sozialpsychologie des autoritären Charakters dürfte ein Grund des analytischen Vorsprungs sein, den die kritische Theorie bis heute vor der Systemtheorie hat. Deren Vertreter konnten nach den jüngsten Wahlerfolgen der AfD in Sachsen und Brandenburg zwar darauf hinweisen, dass die Partei keine praktikablen Alternativen zur herkömmlichen Politik anbietet, dass sie nicht einmal ein politisches Programm hat. Aber sie konnten nicht erklären, wieso die Leute die Partei dennoch wählen.

  2. Charles McSimilian
    Charles McSimilian · vor 5 Jahren

    Aber könnte diese Weidel-(Re)Aktion und die Aktion der Umstehenden nicht - auch - aus einer Nervosität heraus begründet sein, die selbst eine Folge des Umgangs "der anderen" mit Ihnen - Ausgrenzung und Verteufelung - ist?

    1. Ruprecht Polenz
      Ruprecht Polenz · vor 5 Jahren

      Aber sicher. Faschisten fühlen sich immer verfolgt. Selbst wenn sie an der Macht sind.

  3. Ruprecht Polenz
    Ruprecht Polenz · vor 5 Jahren

    Der Beitrag beschreibt eine FOLGE faschistischen Denkens. Er erhebt nicht den Anspruch, Faschismus zu definieren. „Saalschutz“ war für Faschisten immer wichtig.

    1. Felix Schwenzel
      Felix Schwenzel · vor 5 Jahren

      ja, absolut. ich wollte das auch nicht insinuieren, dass der text faschismus definiere, auch wenns im letzten absatz in die richtung ging. hab versucht das im letzten absatz etwas abzuschwächen und habe oben die „saaldiener“ zu „saalschutz“ korrigiert, passt viel besser.

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