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Medien und Gesellschaft

DLF-Gespräch: Betreibt der ÖRR mit dem Gendern eine Umerziehung?

Dirk Liesemer
Autor und Journalist
Zum Kurator'innen-Profil
Dirk LiesemerMontag, 15.08.2022

Vergangene Woche hat Heike Schmoll in der FAZ einen sehr direkten Leitartikel über unser aller Lieblingsthema verfasst: das Gendern. Bildungsredakteurin Schmoll kritisierte darin die öffentlich-rechtlichen Sender, also auch den DLF. Diese verstießen mit dem zunehmenden Gendern gegen die geltenden Sprachnormen, missachteten den Medienstaatsvertrag, ja sie betrieben eine "öffentlich-rechtlich Umerziehung". Ich hatte an dieser Stelle auf ihren Text hingewiesen.

Für ihren Text gab es mehrere Gründe: zum einen der aktuelle Aufruf "Linguistik vs. Gendern", dem sich bislang 267 Sprachwissenschaftler angeschlossen haben, darunter Professoren für Germanistik, Linguistik und auch Psycholinguistik; zum anderen gibt es Umfragen, denen zufolge eine große Mehrheit gegen das Gendern ist; zum dritten – aber das ist meine Spekulation – wird man in der FAZ nicht gerade erfreut gewesen sein, dass just zuvor in der FAZ ein genderdeutschfreundliches Interview gedruckt wurde.

Der Deutschlandfunk nutzt die Debatte zu einem ausführlichen Streitgespräch. Eingeladen sind die Kritikerin Heike Schmoll und als Genderbefürworterin die Linguistin Carolin Müller-Spitzer, die gleich einmal einen Generationenkonflikt aufmacht. Die Kritiker des Genderns, meint Müller-Spitzer, die eben jenen Aufruf unterzeichnet haben, seien über 80 Jahre alt, hochverdient, aber old school.

Nee, stimmt so nicht. Den Aufruf haben auch deutlich Jüngere unterzeichnet: etwa Katerina Stathi, Professorin an der Abteilung Sprachwissenschaft in Münster, Jahrgang 1971; oder Joachim Grzega, Professor für Sprachwissenschaft an der Uni Eichstätt, ebenfalls Jahrgang 1971 – nicht unterschrieben hat die Sprachwissenschaftlerin Ewa Trutkowski, die aber ebenfalls einer jüngeren Generation angehört; von ihr findet sich hier ein sehenswertes Gespräch mit Kulturzeit.

Es ist eine lebendige Kontroverse mit vielen Einordnungen, weshalb ich sie denn auch empfehle. Schmoll argumentiert etwa, dass das generische Maskulinum geschlechterneutral sei, Stichwort Oberbegriffe. Sympathisch klingt Müller-Spitzers Vorschlag, jeden so reden zu lassen wie er möchte, was auch an den Universitäten gelten solle. Allerdings wenden sich Medien immer an eine größere Öffentlichkeit, wo es gilt, möglichst viele mitzunehmen.

Mehrmals werden auch Hörer eingespielt, zwei kritisieren, man müsse alle Geschlechter mit Sonderzeichen sichtbar machen, worauf ebenfalls eingegangen wird. Ich musste dabei an eine Aussage von Helmut Weiß, Professor für Sprachgeschichte denken, den ich hier vor Kurzem interviewt hatte:

Übersehen wird zudem, dass das grammatische Geschlecht im Plural ohnehin neutralisiert ist – aufgrund des einheitlichen Artikels „die“: die Männer, die Frauen, die Kinder. Im Althochdeutschen war das noch anders: Damals wurde auch im Plural unterschieden, ehe eine Abschleifung einsetzte.

Ich war erst etwas verdutzt, aber was will man mehr als eine solche ausgleichende Gerechtigkeit?

All dies kann nur ein Anfang sein. Dass etwa Sandra Schulz vom Deutschlandfunk gar nicht wahrnimmt, wie sehr in ihrem Sender gegendert wird, habe ich doch überrascht vernommen. Für die Wirtschaftsnachrichten trifft dies mehr oder weniger noch zu, aber die Kultursendungen erfordern einigen Langmut.

DLF-Gespräch: Betreibt der ÖRR mit dem Gendern eine Umerziehung?

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Kommentare 4
  1. Susanne Franzmeyer
    Susanne Franzmeyer · vor mehr als 2 Jahre

    Das mit dem "über 80" mag ja falsch gewesen sein. Es mag auch richtig sein, mit "deutlich Jüngere" Ü50-jährige zu meinen. Aber was ist mit den U50-jährigen? Wenn der Rundfunk sich verjüngen will und auch eine jüngere Hörerschaft ansprechen will, finde ich es nicht verkehrt, wenn sich auch die Sprache etwas anpasst. Aber klar - im Grunde gibt es deutlich brennendere Themen, weshalb die ganze Diskussion darum schon wirklich etwas zu viel des Guten ist.

    1. Dirk Liesemer
      Dirk Liesemer · vor mehr als 2 Jahre

      Also ich finde die Debatten anregend, und ich denke mittlerweile recht viel über Sprache nach, auch in dem gepiqten Gespräch habe ich neue Dinge erfahren; und ja, sehe ich ebenfalls so, dass sich Sprache an die junge Generation anpassen muss, aber selbst bei den U30 will eine große Mehrheit nichts vom konsequenten Gendern wissen. Und natürlich gibt es andere wichtige Themen, dafür haben wir ja die Medien-Piqer, weshalb ich mich hier im Communitybereich denn auch nicht an eine Chronistenpflicht gebunden fühle.

    2. Cornelia Gliem
      Cornelia Gliem · vor 2 Jahren · bearbeitet vor 2 Jahren

      @Dirk Liesemer Vielleicht wollen u30 kein "konsequentes Gendern", aber ein Gendern sehr wohl.
      Mein 15jähriger Neffe etwa ist regelrecht empört wenn jemand das Gendergerechte Sprechen ablehnt (nicht wenn jemand nicht "richtig" gendert, nein. er weiß dass das nicht so einfach ist und die meisten Menschen es nicht bewusst abwertend oder 'ungerecht' tun. nein - das Ablehnen ärgert ihn, so wie uns ü50 zb vulgäre sprache).

      und der oft so aggressive Ton gegen das Gendern als wäre das der Untergang des Abendlandes ist sehr nervig und vielsagend. Die "anderen wichtigen Themen" inkl. das "Haben wir nichts wichtigeres zu tun" gelten nämlich auch für die Gegner des Genderns...

  2. Kommentar entfernt
    Kommentar entfernt · vor mehr als 2 Jahre

    Dieser Kommentar wurde gelöscht.

    1. Dirk Liesemer
      Dirk Liesemer · vor mehr als 2 Jahre

      Frag doch beim DLF nach, die haben dazu heute eine mehr als einstündige Sendung gemacht.

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