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Die wesentliche Funktion des Gedächtnisses ist das Vergessen, heißt es bei Heinz von Foerster. Vergessen ist eine produktive Leistung. Es filtert das bisschen heraus, was man häufiger benötigt, und setzt Kapazitäten frei, damit Neues aufgenommen werden kann.
In allem Vergessen liegt aber auch ein Stückchen Wehmut. Meist trifft sie uns unverhofft, wenn wir ein Wählscheibentelefon oder ein Klapphandy in einem Film sehen, eine 7″-Single in die Hand nehmen oder plötzlich auf einer Website landen, die in der Steinzeit der elektronischen Welt stecken geblieben ist. Wir werden kurz gepikst, ein kleiner Stich, und wir spüren, dass die Entwicklungsgeschichte der Menschheit auch in unserer eigenen Biographie anwesend ist. Wie es einmal war, als solche Artefakte noch ganz neu waren oder bloß selbstverständlich, ist oft nur eine vage Erinnerung.
Alltagseindrücke sind besonders flüchtig und ihnen ist schwer nachzugehen, denn das Banale wird erst in der Zukunft zum Ereignis. Gut, manchmal kann man in den Tagebüchern berühmter und weniger berühmter Schriftsteller nachsehen. „Die geilen Stellen im Tagebuch sind die der Alltäglichkeit!”, insistierte Rainald Goetz einmal, und er hat ja selbst in Abfall für alle ein Jahr lang versucht, das intellektuelle Erleben der ganzen Gegenwart aufzuschreiben. Aber wer will schon garantieren, dass sich in jeder Generation irgendjemand gleichermaßen für Pentameter, Pornos und Pascal interessiert?
Da hilft es nur, sich ein Teilinteresse herauszugreifen und anhand dessen mit dem Aufschreiben zu beginnen. Das Techniktagebuch ist ein Blog, der sich zur Aufgabe gemacht hat, möglichst ausführlich zu dokumentieren, wie sich das unmittelbare Erleben von Alltagstechnik anfühlt. Das ist etwas Ephemeres, in der Geschichte der Alltagstechnik ist der Wandel schließlich am schnellsten zu spüren und man kann sich sicher sein, dass der momentane Technikhorizont schon in wenigen Jahren ein ganz anderer sein wird. Deshalb sammelt der Blog, als offenes Kollektiv, die Eindrücke von möglichst vielen Autorinnen und Autoren, und das, wie für ein Tagebuch üblich, mit einer gewissen Formoffenheit: Klassische Berichte stehen neben kurzen reflektierenden Essays, eher szenischen Erzählungen, historischen Dokumenten, kleinen Vignetten, Chatlogs, Listen, Fotos oder auch Traumtexten. Solange es funktioniert, ist das Mittel nicht so wichtig. Das Techniktagebuch ist der Versuch, subjektive Erfahrung unter dem Gesichtspunkt der Ewigkeit festzuhalten. Nur dass unter Ewigkeit heutzutage nicht mehr unbedingt „für wenn wir tot sind” zu verstehen ist, sondern nur für „in 20 Jahren”.
So wehmütig man die Vergangenheit betrachten kann, so skurril kann sie einem auch erscheinen. Was vor ein paar Jahren noch die Zukunft zu versprechen schien, ist heute manchmal einfach nur belustigend. Lange war die Videotelefonie ein Symbol für all das technische Wunderwerk, das da einmal kommen wird, aber kaum war sie da, hat sie ihre Faszination schon verloren und schließlich eine Nischenfunktion eingenommen. Es gibt Erwartungen an die Zukunft, die, auch wenn sie eintreffen, sich nicht auf die Art erfüllen, wie man es sich vorgestellt hat.
Und wie die Schrulligkeiten der Gegenwart beschrieben werden, wird vielleicht selbst einmal schrullig erscheinen. Das Motto des Techniktagebuchs („Ja, jetzt ist das langweilig. Aber in zwanzig Jahren!”) ist insofern einerseits ironisch und andererseits vollkommen ernst gemeint. Es wäre anmaßend, der Zukunft vorzuschreiben, was sie an unserer Gegenwart interessant finden soll. Sie wird nach ihren eigenen Maßstäben beurteilen, was sie gebrauchen kann oder auch nicht (wenn sie es denn überhaupt liest). Aber sie hat auch nicht die Wahl, was wir ihr hinterlassen. Wir wissen noch nicht, was die Zukunft von uns wissen will, und sagen kann sie es uns ja leider auch nicht.
Dass man für zukünftige Historiker schreibt, kann beim Schreiben zumindest als Vorstellung mitschwingen, denn diese Vorstellung ist wichtig für die Art, wie geschrieben wird. Auch Tagebucheinträge, die von der Vergangenheit handeln, werden stilistisch wie gegenwärtige behandelt und auf das richtige Datum rückdatiert. In der Erinnerungskultur liegt immer die Gefahr, dass sie der Nostalgie erliegt. Ein gutes Mittel dagegen liegt in der Zeitform: Weil die Einträge im Präsens geschrieben werden (eine der wenigen Regeln für Beiträge), fällt es schwerer, in einen schwärmerischen Ton zu verfallen. Das Präsens passt zur Tagebuchform, es ist aber auch ein Sentimentalitätsverhinderungsmechanismus. Die Nostalgie bringen die Leser von selbst mit, man muss sie nicht noch in Grammatik gießen.
Nun ist Archivieren schön, es macht aber viel Arbeit, trotz allem. „Der Chronist, welcher die Ereignisse hererzählt, ohne große und kleine zu unterscheiden, trägt damit der Wahrheit Rechnung, daß nichts was sich jemals ereignet hat, für die Geschichte verloren zu geben ist”, heißt es in Walter Benjamins Thesen über den Begriff der Geschichte. Die praktische Durchführung solcher chronistischer Absichten ist natürlich ein absurdes Unterfangen. In jeder Sekunde ereignet sich etwas, und man bräuchte schon wieder mindestens eine Stunde, um es angemessen zu notieren. Das geht nicht ganz ohne Megalomanie.
Auch in der Zukunft wird man das Techniktagebuch erst einmal lesen müssen, und wem das ganz gelingt, vor dem habe ich heute schon Respekt. Mittlerweile hat es über 4000 Beiträge von über 300 Autoren auf über 5000 Seiten (in der PDF-Version). Man sieht auch hier, dass mit der Entwicklung der Speichermedien dem Archivtrieb jedes einzelnen immer weniger Grenzen gesetzt sind. Aber irgendwie muss der Erinnerung, diesem unzuverlässig’ Ding, ja beigekommen werden. Und so ein Blog ist vielleicht nicht dauerhafter als Erz, aber doch haltbarer als eine Schellackplatte.
Ich habe schon immer gerne in Tagebüchern gelesen. Es ist eine lose Form, bei der man nie weiß, was einen als nächstes erwartet, Intimes oder Banales, Ausformuliertes oder Hingeschmiertes, tagelanges Nichtstun oder um sich greifende Hyperaktivität. Was mich am Techniktagebuch am meisten reizt, ist die Beobachtung des Alltags unter einem ganz bestimmten Gesichtspunkt, mit einer Sensibilisierung für ein bestimmtes Erkenntnisinteresse. In dem, was scheinbar nebensächlich ist, können wir oft am besten erblicken, wie sehr die Welt in Bewegung ist. Darum lese ich das Techniktagebuch. Und manchmal schreibe ich auch etwas hinein.
Das Techniktagebuch ist vor Kurzem drei Jahre alt geworden. Zur Feier ist ein neuer Best-of-Band als E-Book erschienen. Im Techniktagebuch schreiben, neben vielen anderen, auch mehrere Autoren von Piqd wie Kathrin Passig, die den Blog mitgegründet hat, Alexander Matzkeit, Aleks Scholz oder Jochen Schmidt (und eben ich selbst).
Quelle: techniktagebuch Bild: Techniktagebuch-C... tumblr.com
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Wirklich klasse, da kann man sich stundenlang festlesen.