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Sachbuchautor über Romane in Berlin. Letzte Veröffentlichung: "Mein Leben als Tennisroman" (Blumenbar). Kolumne "Bad Reading" im Freitag (das meinungsmedium).
Wir waren stehengeblieben im Herzen der Krise der westlichen Erzählindustrie - TV-Serie versus Roman (oder TV-Serie als Roman). Mitten dort hinein hat Jane Campion die gerade auf arte (heute um 20:15) laufende zweite Staffel von "Top Of the Lake" produziert und Heike-Melba Fendel einen Roman über ihr Verhältnis zu Jane Campion im allgemeinen und "Top Of the Lake" im speziellen geschrieben.
Der Roman "Zehn Tage im Februar" (Blumenbar, 2017) kreist um ein Interview, das Fendel tatsächlich auf der Berlinale 2013 für den Tagesspiegel mit Jane Campion geführt hat, was - wie ich finde - eine super Idee für einen Roman ist, denn Heike-Melba Fendel definiert sich hier als Filmjournalistin nicht nur als Fan der feministischen Filmemacherin seit deren Erstling "Sweetie", sondern erzählt auch die Enttäuschung gleich mit, die "Top Of the Lake" (Season 1 wurde damals auf der Berlinale als special feature vorgestellt) ihr bereitet hat. Besonders missfallen hat ihr Campions Umgang mit weiblicher Sexualität:
In „Top of the Lake“ scheinen Sie Ihr bisheriges Œuvre als Manövriermasse zu benutzen. Genevieve Lemon, die in Ihrem Film „Sweetie“ die Hauptrolle spielte, verkörpert eine Art Fortsetzung dieser Figur. Elisabeth Moss’ Polizistin ist in ihrer ambivalenten Sexualität nahe an Meg Ryans Figur aus „In the Cut“. Und wie in „Das Piano“ spielt die Landschaft Neuseelands eine große Rolle.
„Das Piano“ haben wir damals im nördlichen Teil gedreht, diesmal sind wir in den Süden gegangen. Ich wollte die nahezu unmenschliche Größe und Verschlossenheit dieses Sees, der Berge und der Wildnis. Sie relativieren nicht die Zerrissenheit meiner Figuren, sie spiegeln sie vielmehr. Zu den Querverbindungen: Dieses serielle Format, das ich als eher romanhaft empfunden habe, liegt mir sehr. Auch weil es die Möglichkeit eröffnet, lose Enden weiterzuverfolgen, Figuren oder Themen aufzunehmen. Im Gewand eines Genres lässt sich viel in die Falten stecken. Sie fangen an mit einer Polizistin, die ein Rätsel zu lösen hat und dann brechen die Figur wie auch die Konventionen unter der Last der Ermittlung zusammen. Erst so fängt etwas Neues an und es werden Erfahrungen möglich, die eine transzendentale Qualität haben.
Sex, zum Beispiel? Robin, die Hauptfigur, hat ein starkes Verlangen nach leidenschaftlichem Sex. Das scheint im Widerspruch zu der kaputten Sexualität zu stehen, deren Opfer und Zeugin sie immer wieder wurde.
Man kann auf sehr viele Arten Sex haben. Mit jemandem zu schlafen, den man gerade getroffen hat, kann sehr erregend sein. Man will sich verlieren und nicht finden. Es ist etwas ganz anderes, als zum Beispiel mit seinem langjährigen Ehemann zu schlafen.
Was man meines Wissens noch in keinem Ihrer Filme zu sehen bekam. Sind Gefahr und Gefährdung konstituierend für weibliche Lust?
Nichts ist so sehr mit Hoffnung und Irrsinn verknüpft wie der Geschlechtsakt. Er soll so viele Widersprüche auflösen, zwischen den Geschlechtern, aber mehr noch vielleicht in uns selbst. Wir wollen Nähe und Anonymität. Wir wollen egoistisch und selbstbezogen sein und suchen doch Verbindung. Sehnsucht nach Hingabe trifft auf Angst vor Kontrollverlust. Sex ist immer überwältigend, neu und Anders. Ich schreibe meinen Figuren nicht vor, wie sie sich das organisieren, ich folge ihren Bedürfnissen.
Eine korpulente Heldin jenseits der 40 wirft Geld auf eine Kneipentheke, das sich derjenige nehmen darf, der bereit ist, im Hinterzimmer innerhalb von sieben Minuten mit ihr zu schlafen.
Ja, warum nicht? Es ist ihr Experiment. Nach sieben Minuten beginnt sie, das glaubt sie wenigstens, Gefühle für ihren Partner zu entwickeln. Das will sie vermeiden.
Es wurde viel gelacht in dieser Szene.
Das ist völlig in Ordnung. Es ist ja auch absurd, was wir bereit sind zu tun, wenn wir die Hemmungen fallen lassen.
Im Roman erzählt Fendel dazu sehr schön und böse das Making Of dieses Interviews (indem die Ich-Erzählerin sich vorstellt, wie Jane Campion mit ihrem blöden Ex an dem Skript gearbeitet hat und welche Sorte von Alters-Sex sie wohl noch haben mag). Und sie erzählt, wie die Regisseurin sie nach dem Ende des offiziellen Termins noch einlädt, off-record weiter ein wenig die Fronten zu klären – und sich tatsächlich an ein anderes, Jahre zurückliegendes Interview in Cannes zu erinnern scheint, in dem Campion die Journalistin damit verblüffte, dass sie ihr auf den Kopf zusagte, dass sie eben keine Journalistin sei, sondern etwas anderes aus ihrem Leben machen müsse (wie selber Filme drehen oder wenigstens eine Schauspieler-Agentur gründen):
„Hören Sie, Ihnen gefällt >Top of the Lake< nicht. Sie finden es komplett doof, stimmt’s?“
Ich zögere kurz, bevor ich stumm nicke.
„Mich würde interessieren, warum.“
Ich bin es von Berufs wegen gewohnt, Kritik so geschickt zu dosieren, bis sie ermutigend wirkt. Das mache ich bei allen, nur bei dem Mann verzichte ich darauf. Und jetzt bei Jane.
Zögernd zuerst, dann mit immer festerer Stimme spreche ich über Tui, Elisabeth und Holly. Und über Meg und >In the Cut<, der auf so viel interessantere Weise missraten war, als es diese Serie ist. Über Sex, den man sehr wohl ernst nehmen muss, und Sweetie, die sie als Schauspielerin wie als Figur verraten hat. Über die falschen Konsequenzen, die sie aus dem kommerziellen Misserfolg ihrer Filme gezogen hat. Über ihre Kapitulation vor der Konvention.
Ich rede und rede, belege das Gesagte ausführlich und schaue sie kaum an.
Ich bin fertig. Stille.
Ich weiß nicht, was sie denkt, ich weiß nicht mehr, wer sie ist. Aber wem sonst hätte ich ehrlich sagen sollen, was ich von ihrer Arbeit halte, wenn nicht ihr?
Jane nickt ausdruckslos und atmet tief ein, bevor sie mir antwortet.
„Ich stimme ganz und gar nicht mit Ihnen überein. Sie glauben, mich zu kennen, und Sie glauben, das gibt Ihnen das Recht, etwas von mir sehen zu wollen, das Ihren Erwartungen entspricht.“
Ihre Worte tun mir nicht weh. Es tut mir nie weh, wenn Menschen etwas sagen, was sie wirklich meinen.
„Hören Sie: Ich mag diese Serie wirklich sehr. Wirklich. Es hat mir Spaß gemacht, sie zu schreiben, und es hat mir Spaß gemacht, sie zu inszenieren. Ich konnte vieles ausprobieren und hatte alle Freiheit der Welt. Ich werde eine Fortsetzung drehen, und ich werde auch meine Kinoarbeit nicht aufgeben.“
Jane schaut mich an und wirft den Kopf in den Nacken.
„Es würde mich freuen, wenn mein nächster Film Ihnen wieder gefallen würde. Ich teile Ihre Meinung über >Top of the Lake< überhaupt nicht, aber wenigstens wissen Sie, wovon Sie reden.“
Ich schüttle abwehrend den Kopf.
An dieser Stelle im Roman brechen Beziehung und Zwiegespräch mit Jane Campion leider ab, gern hätte man noch mehr über den Clash des Kinos (oder der Serie oder eines Lebens, in dem Menschen aus Kinofilmen und Serien die bedeutendste Rolle spielen) mit der Welt des autobiographischen Romans gelesen.
Bedauerlicherweise hat Heike-Melba Fendel für ihren Roman aber eine komplett absurde Ehe-Handlung dazuerfunden, in der die Ich-Erzählerin angeblich in einer Tempelhofer Eigentumshaus-Hölle mit einem nur als „der Mann“ titulierten emotional minderbemittelten Chef-Besorger und Sofa-Ausbeuler zusammenleben soll. Das glaubt man leider keine Sekunde. „Der Mann“ ist nicht mal mehr „Top Of the Lake“, wird auch nicht von David Dencik gespielt, sondern erinnert eher an Gender-Comedy von Gaby Köster oder so.
Und dennoch hätte ich gern gewusst, wie Heike-Melba Fendel die zweite Staffel von „Top Of the Lake“ findet. Ich hatte sie sogar spontan angemailt, um sie für eine Extrafolge „Bad Reading“ zu interviewen. Blöde Idee, natürlich kam nie eine Antwort.
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Ha, sehe gerade erst, dass wir über das gleiche Buch gepiqt haben. Ich frag Heike-Melba Fendel mal, wie sie die zweite Staffel findet, wenn ich sie das nächste Mal spreche, dann schreib ich Dir.