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Literatur

Stefan Heym - Ahasver

Marcus von Jordan
forum.eu cofounder
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Marcus von JordanDienstag, 11.08.2020

Nach 30 Jahren erfolgreich wieder gelesen. Ein enorm kluges und witziges Buch über Christentum, Judentum, Religion, menschlichen Abgrund und irgendwie sympathische Lächerlichkeit.

Ahasver ist nach biblischer Mythologie der jüdische Schuhmacher, der Jesus auf dem Weg nach Golgatha das Ausruhen vor seinem Hause verweigerte und deshalb verflucht wurde zu wandeln, bis Jesus zurückkehrt. Heym macht aus ihm einen der gefallenen Engel und den Wegbegleiter Lucifers. Beide baut er in zwei parallele Handlungsstränge ein. Erstens die Geschichte eines kirchlichen Karrieristen zu Zeiten Luthers, der einem gewissen Hans Leuchtentrager (lateinisch lux ferre = Licht tragen - Leuchtentrager = Lucifer) begegnet, ihm verfällt und so zu weltlichem Erfolg und seelischer Verdammnis gerät. Zweitens der Briefwechsel des Vorsitzenden des Amtes für wissenschaftlichen Atheismus in der DDR, der Korrespondenz hält mit einen gewissen Jochanaan Leuchtentrager, seinerseits Wissenschaftler in Jerusalem, der ihn anhaltend zu überzeugen sucht, dass der Ahasver real existiert.

In diesen beiden Strängen verpackt Heym eine ganze Reihe von Abrechnungen und Kompromittierungen von Kirche, Religion und Staat. Mit äußerster Härte konfrontiert er den Mitdenkenden mit der Widersprüchlichkeit von so ziemlich allem, was Menschen sich an Denksystemen so schaffen. Dabei bleibt er humorvoll und irgendwie menschenfreundlich. Und auch irgendwie respektvoll oder sogar ein wenig liebevoll gegenüber dem Menschen Christus und seiner Idee.

Heym scheint mir selber zum gefallenen Engel zu werden, zum Menschlein, das sein denken und Fühlen angesichts spiritueller Unendlichkeit zu ordnen sucht und in seiner Betrachtung abwechselnd in die Rollen Lucifers und Ahavers schlüpft und so verschiedenen möglichen Situationen und Dialogen mit Gott und Christus eine Bühne baut.

Wesentlich scheint mir die kritische Auseinandersetzung mit Luther und der Reformation. Ersterer wird sehr unerfreulich, als verfressener Eiferer und glühender Antisemit vorgestellt. Seine Reformation als Wendepunkt in der antisemitischen Geschichte Europas :

Leuchtentrager schreibt dem DDR Oberatheisten:

"Aber eine eigentliche Ahasver-Literatur, und das wissen Sie ja verehrter Kolle Beifuß, entsteht erst nach der Reformation, nämlich um die Mitte des 16. Jahrhunderts.
(...)
Gewiß, auch vor Luther gab es ein gewisses Interesse an etwaigen noch lebenden Zeugen der Leidensgeschichte des Reb Joshua alias Jesus Christus; die Kirche glaubte, ihr Zeugnis gegen Zweifler und Ketzer, und natürlich auch gegen Juden, benutzen zu können. Aber dieses Interesse war beschränkt, und solche Zeugen wurden selten, wenn überhaupt, aufgerufen, war doch zu befürchten, dass sie zu weit gehen und in ihrem religiösen Eifer die Worte und Gedanken des Gekreuzigten den Praktiken des Klerus gegenüberstellen könnten. Und keiner der mutmaßlichen Zeugen, wie auch immer ihre Namen, war zu einer Symbolfigur geworden, schon gar nicht zu einer jüdischen.

Das wurde erst Ahasver, konnte erst er werden, und zwar auch erst nach der Reformation, weil diese in den von ihr eroberten Gebieten das Geldhandelsmonopol der katholischen Kirche und ihrer großen Bankhäuser, der Fugger und Welser, vernichtete. Die Kirche hatte sich längst über das im Fünften Buch Mose (...) verfügte Verbot, des Geldverleihs gegen Zinsen hinweggesetzt; daher rüttelte Luther, indem er gegen den Ablaßhandel wetterte, zugleich an den merkantilen Strukturen seiner Zeit, und die frommen Protestanten, die zu den biblischen Geboten zurückkehrten, saßen ohne Bankiers da. Aber wie Sie wissen werden verehrter Kollege, verbietet 5. Mose, Kapitel 23, Vers 21 nur, Zins zu nehmen von deinem Bruder, dem Fremden jedoch darfst du´s wohl abknöpfen; dieser Dreh prädestinierte die einzigen, die in der Mehrheit der Bevölkerung Fremde sahen, nämlich die jüdische Minderheit, zum Geldgeschäft, und da die Juden sowieso des Rechts auf anderen Besitz oder Beruf beraubt waren, betrieben sie´s. Luther war es, der Fürst wie Bauern dem unsteten Juden zutrieb, um dann dessen Wucher um so lautstärker zu verdammen und eine Pogromhetze zu entfachen, von der noch die Nazis zehrten. Bis zur Reformation hatte der Antisemitismus eine hauptsächlich religiöse Komponente gehabt, denn hatten die Juden den Jesus nicht ans Kreuz schlagen lassen und weigerten sie sich nicht immer noch, ihn als Messias anzuerkennen? Nun aber erhielt der Antisemitismus eine unverblümt ökonomische Grundlage (...)."


Stefan Heym - Ahasver

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Kommentare 1
  1. Thomas Wahl
    Thomas Wahl · vor mehr als 4 Jahre

    Danke für die Erinnerung an ein wunderbares Buch. Werd noch mal reinschauen ....

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