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Literatur

SOMMERFRISCHE UND ABWEGE

Quelle: privat

SOMMERFRISCHE UND ABWEGE

SABINE SCHOLL
Autorin
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SABINE SCHOLLDonnerstag, 15.11.2018

Auch Ferienorte haben eine Vergangenheit

Weil ich Genaueres über die jüdische Sommerfrische im Salzkammergut und deren unrühmliches Ende wissen wollte, las ich kürzlich den Sammelband „Der Geschmack der Vergänglichkeit“. Die bürgerliche jüdische Gesellschaft des vergangenen Jahrhunderts liebte es - genauso wie die nicht-jüdischen Bürgerlichen und Adeligen - im Sommer Wien zu verlassen und stattdessen in Gästehäusern, Hotels, Villen rund um die schönen Seen und Berge zu wohnen. Ihrem Bedürfnis nach Authentizität entsprechend begannen diese Städter sogar lokale Kleidung als „typische“ Trachten zu etablieren und während der Sommermonate an ihren erholungsbedürftigen Körpern zur Schau zu stellen. Die Salzburger Festspiele, gegründet von Max Reinhardt und Hugo von Hofmannsthal, um neben künstlerischen Anliegen den während der Sommersaison meist unterbeschäftigten Schauspielern und Musikern Engagements zu verschaffen, wurden zum Treffpunkt der High Society und zogen vermehrt auch Gäste aus dem Ausland an. Es hätte alles so schön sein können, wäre da nicht das beständige Werken und Nagen der aufstrebenden antisemitischen und später offen nationalsozialistischen Bewegungen gewesen, die angetreten waren, alles zu zerstören. Diese Tendenzen begannen schleichend und ziemlich früh. So wurde der Komponist Arnold Schönberg bereits in den Zwanzigerjahren samt Familie vom Sommerdomizil am Mattsee vertrieben. Mit einem Mal bestand der Ehrgeiz einiger Gemeinden darin, um jeden Preis, „judenrein“ zu werden. Später fand man es sogar nötig, per Gesetz jüdischen Gästen das Tragen von Trachten zu verbieten.

Die verschiedenen Aufsätze von Historikern beschreiben anhand von Fallbeispielen und mit Unmengen von Dokumenten belegt, wie sich die zunehmende Feindseligkeit erst legitimierte, dann steigerte, bis sie schließlich in Vertreibungen und Enteignungen gipfelte. Auch Autor Carl Zuckmayer wurde Opfer dieser fatalen Strategien. Auch der Librettist Franz Lehars, Löhner-Beda. Und viele andere. Manche konnten fliehen, für manche endete der Konflikt tödlich.

Und als wäre das nicht gruselig genug, standen die Interessenten aus höheren Nazi-Kreisen für die begehrten Immobilien bereits Schlange, bevor die eigentlichen Besitzer noch beseitigt waren. Schloss Leopoldskron, die Residenz des schließlich nach Hollywood emigrierten Max Reinhardt, in dem private Feste, Soireen, Theaterveranstaltungen stattgefunden hatten, sollte von der dubiosen Prinzessin und Hitlerfreundin Stefanie von Hohenlohe als Salon weitergeführt werden. Um Schloss Fuschl bemühte sich Herr von Ribbentrop lange Jahre. Die Villa Roth am Grundlsee wurde von Familie Goebbels übernommen, die ihre Kinder sogar vor Ort zur Schule schickte.

In akribisch recherchierten Aufsätzen des Sammelbandes ist nachzulesen, was wir eigentlich wissen sollten, bevor wir unser Badezeug am Wolfgangsee ausbreiten oder uns darüber wundern, warum am Weg um den Altausseersee die Spaziergänger Lederhosen tragen und sich mit Wiener Akzent unterhalten. Für mich war St. Gilgen bis vor einigen Jahren bloß der Lieblingsort meiner französischen Schwiegermutter gewesen, in Fuschl hatte sich die Familie aus Anlass meiner eigenen Hochzeit versammelt. Davor, dass ich mich jahrelang jeden Sommer auf verseuchtem Gebiet bewegt hatte, hatte mich keiner gewarnt.

Nur dass Leo Perutz, der zu Vorkriegszeiten berühmte Autor, vertrieben und in Jerusalem gelandet, Jahr für Jahr nach Ischl zurückkehrte, war mir bekannt. Wenn wir Onkel Rudi - stets im Steireranzug - dort besuchten, ging ich zu Perutz Grab. Die Schwiegermutter nützte den Ausflug, um im Trachtengeschäft originale Kniestrümpfe und Janker für die Enkel in Paris zu kaufen.

Perutz ist eines Sommers in Ischl gestorben. Sein Herz setzte aus. Kein Wunder, waren doch die aus dem Land geekelten Juden nicht mehr wirklich willkommen, sondern Erinnerung an Untaten und Unzeiten, die man besser vergessen wollte. Den meisten Einheimischen und ihren Nachfahren ist das gelungen. Wer sich aber erinnern will, dem sei dieses Buch empfohlen.

Robert Kriechbaumer: Der Geschmack der Vergänglichkeit. Jüdische Sommerfrische in Salzburg. Böhlau Wien 2002

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