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Literatur

Sie werden unterhalten, wenn auch auf eigene Weise.

Quelle: Cover: Unterhaltungsessays. Design: Andreas Töpfer.

Sie werden unterhalten, wenn auch auf eigene Weise.

Monika Rinck
Autorin
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Monika RinckMittwoch, 22.06.2016

Die soeben erschienenen „Unterhaltungsessays“ von Mathias Traxler sind ein ausnehmend seltsames Buch. Aber sie unterhalten, wenn auch, wie gesagt, auf eine sehr seltsame Weise. Sie sind sehr eigen, was es nicht leichter macht, über sie zu schreiben. Aber sie tun irgendwas. Überschrieben sind die einzelnen Essays zum Beispiel so: „Inszenierte Wut“. Oder: „I. Ich dachte das bleibt jetzt für immer das war der Moment wo es gelöscht wurde“. Auch: „Schau mal, ich hab was verfasst“. Und: „Sind Wörter Tiere?“ Ja, sind Wörter Tiere? Nun ja, manche vielleicht. Der letztgenannte Essay beginnt mit der Frage, welche Gedichte schon als Worte wie Musik sind. Hier verschiebt sich Inhalt, Einzelteil und Zusammenhalt, scheint es. Petrarca? „Also dass man das Gedicht lesen kann und die Musik sofort ertönt.“ Da aber legt der Verfasser eine Bruckner-CD in eine Literaturzeitschrift und nimmt sie etwas später wieder hinaus. Ist das Experiment geglückt? Weiß man nicht. Die Frage nach der Musikalität der Frage wurde oft gestellt und führte, das weiß ich aus eigener Erfahrung, immer wieder zu konkurrierenden und nicht ganz freundlichen Debatten zwischen Dichterinnen und Komponistinnen. Sowie zwischen Dichtern und Komponisten und einer Mischung von allen genannten. Hat Benveniste recht, wenn er schreibt, dass die Konversionen von Sprache in Schrift zwar möglich sei, nicht aber eine Konversion zwischen verbaler und musikalischer Komposition? Der Laut selbst hat keine Bedeutung. Der Ton ist ein bloßes Ereignis. Einen Geiger, setzt Traxler in den Text, der nach einer Symphonie von Schumann denkt, dass er nun alle Töne gespielt habe. Und dass dies dazu führen könnte, keine weiteren Töne mehr spielen zu können. Sie sind alle. Die Angst tritt hinzu, sie war vorher schon da. Eine Frage des Aufbrauchens? Und Benveniste beginnt zu bezweifeln, dass die Sprache wirklich zur Semiotik gehört. „Ist sie vielleicht nur der Interpretant aller semiotischen Systeme?“ Ja, aber was heißt hier „nur“? Wie geht es weiter bei Traxler? „So etwas vor anderen zu sagen. Dass etwas automatisch etwas anderes ist, und dann gleich vorbei. Wie gehen Sie damit um? Beim letzten Satz, wenn man ihn ausspricht, unvermittelt eine ganz andere Gesamtlage vor Augen haben, am besten eine bedrohliche. Auf die Frage, ob die Stelle ‚Nun habe ich den Faden verloren‘ so im Text schon dastand wollte ich antworten: ‚Alles, was ich gesagt habe, war ernst gemeint.‘ Also kein Trick.“ Der verlorene Faden findet sich dann etwas später im Text, nach dem Aufbau der Opernkulissen zu Mozarts Don Giovanni, worin fraglich wird, ob es allein der Gesang, die Worte des Gesangs seien, die heucheln könnten oder auch die Töne selbst. „Jetzt habe ich den Faden verloren. Das macht nichts. Ich sagte zum Tod: Hör auf, in der Sprache die Verluste festhalten zu wollen. Während der Zeit, wo wir dem Tod weggenommen werden, aus Wut. Wollte sich hinter einem Ton verstecken.“ Hier nicht, aber an anderen Stellen setzt Traxler Fehler in den Text ein, plötzliche Absätze, die den letzten Buchstaben eines Wortes zum Anfang des nächsten Absatzes machen, agrammatische Fügungen, Druckfehler, Tippfehler, aber sind es Fehler? In dem Eröffnungsessay „Inszenierte Wut“ steht die Frage, ob das Liebesbegehren in Dantes ‚Vita Nuova‘ auf Beatrice gerichtet sei, oder auf das Sprechen, auf den Lobpreis der geliebten Person. Manche Zitate beginnen und brechen ab. Dantes Hölle kocht auf. Konventionelle Verweisstrukturen scheinen fragwürdig, ein literarischer Zusammenhang soll sich auf ein einzelnes Wort richten, es beschweren? Es herausreißen? Ich weiß es nicht. Eigene und fremde Obsessionen treten zuvor, verhalten sich zueinander, werden gesagt. Sätze brechen ab. Komischerweise scheint der in einer noch zu begreifenden Absicht gesetzte Fehler sich von einem unterlaufenen Fehler unterscheiden zu lassen. Woher dieses Vertrauen? „Da wo die Gedichte sind schaue ich nie wieder hin an der Wnad.“ Vielleicht weil es einen Ernst gibt in dem Buch, der weder vor dem Alltag noch vor der Sprache als Übermittlerin unsagbarer Gewalt scheut. Ja, es handelt sich um Unterhaltungsessays. Und es selten, auf so seltsame unterhalten zu werden. Dennoch bleibt es schwierig darüber zu schreiben. Das war der erste Versuch.

Mathias Traxler: Unterhaltungsessays. Berlin 2016.

Émile Benveniste: Letzte Vorlesungen. Mit einem Vorwort von TzvetanTodorov und einem Nachwort von Julia Kristeva. Zürich-Berlin 2015.


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