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Quelle: Line Hoven "Dorophagie - Zwanghaftes Verspeisen von Geschenken", aus: "Schmythologie"
Jochen Schmidt zählte 1999 zu den Mitbegründern der Berliner Lesebühne "Chaussee der Enthusiasten", bei der er bis 2017 wöchentlich auftrat und neue Texte las. Er veröffentlichte Erzählungen ("Triumphgemüse", "Seine großen Erfolge", "Meine wichtigsten Körperfunktionen", "Weltall. Erde. Mensch", "Der Wächter von Pankow"), Romane ("Müller haut uns raus", "Schneckenmühle", "Zuckersand"), Reiseliteratur ("Gebrauchsanweisung für die Bretagne", "Gebrauchsanweisung für Rumänien", "Gebrauchsanweisung für Ostdeutschland"), eine "Gebrauchsanweisung fürs Laufen" und "Schmidt liest Proust", das Tagebuch eines Lektürejahrs. Mit der Künstlerin Line Hoven arbeitete er für "Dudenbrooks", "Schmythologie" und "Paargespräche" zusammen. Gemeinsam mit David Wagner schrieb er die deutsch-deutsche Kindheitserkundung "Drüben und drüben". Zuletzt erschien der Roman "Ein Auftrag für Otto Kwant".
Alle zwei Jahre vergibt die Hans-Meid-Stiftung den mit 15000 Euro dotierten Hans-Meid-Preis für Buchillustration, in diesem Jahr hat die Jury sich für die Künstlerin Line Hoven entschieden und ich hatte gestern die Ehre, bei der Preisverleihung in der Lübecker Kunsthalle St.Annen die Laudatio zu halten. Ich war sehr aufgeregt, weil ich mich so für Line Hoven gefreut habe und weil ich noch nie eine Laudatio gehalten hatte und nicht wußte, ob es peinlicher ist, bei so einer Veranstaltung overdressed oder underdressed zu erscheinen. Ich habe das große Glück, daß sich Line Hovens und meine Werkbiographie inzwischen schon an mehreren Stellen überschneiden, begonnen hat es mit "Dudenbrooks", einer wöchentlichen Serie in der FAZ, die dann 2011 als Buch erschienen ist. Es waren kurze Texte zu nach einem Zählprinzip zufällig aus dem Duden ausgewählten Wörtern, die Line Hoven mit ihren Bildern zum Leben erweckt hat. Ihre Technik ist anspruchsvoll in der Beschränkung und erfordert wahre Meisterschaft, denn sie schabt ihre Bilder mit spitzen Werkzeugen auf kohlenstoffbeschichtetem Spezialkarton. Wenn ein Bild viel Weiß enthält, bedeutet das, daß sie viel schaben mußte, ganz anders als beim Skizzieren auf weißem Papier. Von Anfang an haben mich ihre Bildideen überrascht, denn sie illustrierte keineswegs nur den Text, sondern sie kommentierte ihn oder erzählte ganz eigene Geschichten. Nicht jeden konnte unsere Zusammenarbeit überzeugen, ein User schrieb auf Amazon:
"Sogar für Nonsens zu unbefriedigend. Was als Idee witzig klingt ist in der Umsetzung sperrig, sinnlos und lässt selbst den geneigten Leser ratlos zurück. Die Bilder sind morbide, durchgängig deprimierend, die Kurztexte in unmotivierter Reimform wahllos bis beliebig. Dagegen hilft weder die ebenso unbegründete Referenz auf Thomas Mann, noch die positive Presseschau."
Abgesehen davon, daß meine Texte nicht gereimt sind, spricht dieser User ein verständliches Unbehagen an, das tatsächlich viele bei Line Hovens Kunst empfinden, denn sie verzichtet für ihr gesamtes Werk konsequent auf Farbe, eine mutige Entscheidung, da das dem Geschmack des breiten Publikums entgegenläuft. Durchgängig deprimierend finde ich ihre Bilder deshalb aber nicht, dafür hat sie zuviel Humor und kann, wenn sie will, Kinder, Tiere oder Gestalten aus ihrem persönlichen popkulturellen Archiv mit viel Wärme wiedergeben. Auch unsere zweite Serie "Schmythologie" (wieder stammte der Titel von ihr) erschien in der FAZ, es waren kurze Texte zu schönen griechischen Begriffen, wie "Tachyphagie" (hastiges Essen), "Galaktotrophousa" (die nährende Gottesmutter) oder "Pentakosiomedimnoi" (Mitglieder der höchsten Steuerklasse in Athen). Eher zufällig erwies sich diese Serie auch als wöchentlicher Kommentar zu den Diskussionen darüber, ob Griechenland nun zur EU gehöre oder nicht. Zumindest die griechische Sprache gehört unbedingt zur EU, wie man an den ausgewählten Wörtern sieht, auf die man ungern verzichten möchte, wenn man sie einmal kennengelernt hat. Auch hier konnten wir nicht jeden Amazon-User zufriedenstellen:
"Ich habe mir das Buch Schmythologie in großer Erwartung angeschafft, ging ich doch davon aus, etwas Aufschlussreiches in Erfahrung bringen zu können. Stattdessen werden einem unbrauchbare und nie gehörte Wörter wie "Ichnogramm" (Fußabdruck) oder "Hapaxlegomenon" (nur einmal belegtes Wort in einer Sprache, einer Gattung, bei einem Autor oder einem Werk) entgegengeworfen. Die Beispiele, die zu den einzelnen Wörtern gegeben werden, lassen auch zu wünschen übrig. Man hat den Eindruck, dass Buch wurde in einem Zustand geistiger Umnachtung verfasst. Zu gerne würde ich vom Autor persönlich mein Geld zurück verlangen. Einen Stern für die Illustratorin!"
Zu ihrem Glück hat Line Hoven inzwischen auch mit anderen Autoren gearbeitet und viele eigene Projekte für Zeitschriften oder Anthologien geschabt, debütiert hatte sie ja schon 2007 mit "Liebe schaut weg", einer Graphic Novel, die in der Form eines Fotoalbums die Geschichte ihrer Familie erzählt. Für meinen Roman "Zuckersand" konnte ich Line Hoven aber wieder als Cover-Gestalterin gewinnen, sie hat dafür das Format gewechselt und ein A3-Bild geschabt, ein Dschungel voller Tiere, jeweils Vater und Sohn, von denen man nur im Original alle sieht, weil manche von der Schrift auf dem Rückcover verdeckt werden. Außerdem hat sie für jedes Kapitel eine Vignette geschabt, so daß es im Buch auch etwas anzugucken gibt (was ich als Kind schon deshalb mochte, weil man dann nicht so viel lesen mußte). Und momentan erscheint monatlich die dritte Serie "Paargespräche" in der Chrismon (ihr Titelvorschlag "Paar de deux" und meine Alternative "Das Paar in der Suppe" kamen diesmal leider nicht durch). Es sind Alltagsdialoge, die berühmte Paare wie Jean-Paul Sartre und Simone de Beauvoir, Kermit und Miss Piggy oder Tarzan und Jane führen. Weil Line Hoven erkannt zu haben meint, daß in meinen Texten immer der Mann witzig und die Frau hysterisch ist, korrigiert sie mit ihren Arbeiten dieses stereotype Geschlechterbild, bei ihr trägt Jane einen wehleidigen Tarzan auf der Schulter, Simone füßelt unter dem Küchentisch mit Jean-Paul und Eva langweilt sich im Paradies, weil Adam immer auf sein Apple-Handy starrt.
In Lübeck ist nun gestern nicht nur der Hans-Meid-Preis für Buchillustration vergeben worden, sondern auch eine Ausstellung ("Scratch my back") mit 160 Arbeiten von Line Hoven eröffnet worden, die dafür fachmännisch passepartouriert und gerahmt wurden. Manche Arbeiten sieht man zum ersten Mal, weil sie aus irgendwelchen Gründen nicht in den Serien erschienen sind, oder weil die Publikationsorte zu entlegen waren Die Bilder zu "Schmythologie" waren außerdem in der Zeitung immer zu einem Teil von der Schrift verdeckt. Obwohl ich viele Bilder aus dieser Ausstellung schon kenne, konnte ich mich nicht sattsehen an den vielen Details und vor allem war wieder festzustellen, wieviel es ausmacht, wenn man die Originale betrachten kann. Bei Line Hovens Arbeiten könnte man ja denken, daß sie sich verlustfrei reproduzieren lassen, da sie Schwarz-Weiß sind. Das ist aber nicht der Fall. Erst am Original erkennt man wirklich, wie filigran gearbeitet wurde, um Lichteffekte zu erzeugen oder Texturen von Tapeten, Stoffen oder Pflanzenwelten wiederzugeben. Gerade, wo viel Weiß zu sehen ist, bekommt das Bild fast eine plastische Wirkung, weil die Oberfläche des Kartons nicht mehr glatt ist. Die Vielfalt der Arbeiten ist beeindruckend, aber auch die Homogenität, etwas, was bei manchen Künstler entlarvend wirkt, wenn man ihre Bilder zusammen in einem Raum betrachtet. Dann stellt sich manchmal heraus, daß sich die Bilder entweder "beißen", oder daß sich die Motive endlos wiederholen und eine Masche zu erkennen ist. Bei Line Hoven sieht man, daß sie schon in den ersten Arbeiten einen reifen Stil entwickelt hatte, so daß von einer Phase des Experiments kaum zu sprechen ist, und daß die Bilder sich nicht die Wirkung nehmen oder sich wiederholen. Man muß wirklich jede Arbeit genau studieren und hat dabei so viel zu entdecken, daß man für den einen Raum der Ausstellung einen Nachmittag brauchen dürfte. (Die Kinder können sich in der Zeit damit beschäftigen, auf einem großen Schabkarton, der dort ausliegt, mit dem Teppichcutter selbst Bilder zu schaben. Es ist ungeheuer schwer, vor allem, wenn man Kurven schabt.)
Lübeck, wo es inzwischen nicht nur das Buddenbrook-Haus, sondern auch das Günter-Grass-Haus gibt, und außerdem eine bemerkenswerte Dichte von Geschäften für Hörgeräte, die "Hörsaal" oder "Ohrwurm" heißen (die Schaufensterdeko von "Hörsaal" war eine Spielzeugeisenbahn, die in ihren Waggons Knopf-Batterien und Hörgeräte im Kreis transportierte) liegt gar nicht weit von Hamburg entfernt. Wenn man Glück hat, erwischt man den dänischen IC3, der weiter nach Kopenhagen fährt, und der großartig designt ist. Man fühlt sich schon fast wie im Urlaub, wenn man auf einer Fahrt durch Deutschland zwischen lauter Dänen sitzt. Auch wenn der Titel von "Dudenbrooks" nach Meinung des zitierten Amazon-Users eine unbegründete Referenz auf Thomas Mann darstellt, hat sich für mich durch die gestrige Veranstaltung in Lübeck ein Kreis geschlossen. Nun hoffe ich, daß es mit unserer Zusammenarbeit weitergeht, daß "Paargespräche" zu einer Enzyklopädie des Geschlechterkampfs wird und daß die Cover der beiden Fortsetzungen von "Zuckersand", die ich hoffentlich schreiben werde, wieder von Line Hoven gestaltet werden. Aber zunächst einmal hoffe ich, daß viele Besucher den Weg in die Lübecker Ausstellung finden und gratuliere Line Hoven ganz herzlich: Schabeau! Schapplaus! Schabbadabbadu!
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