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Literatur

Richard Ford, die Paris Bar und der Hadada-Award

Andreas Merkel

Sachbuchautor über Romane in Berlin. Letzte Veröffentlichung: "Mein Leben als Tennisroman" (Blumenbar). Kolumne "Bad Reading" im Freitag (das meinungsmedium).

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Andreas MerkelDienstag, 21.01.2020

Tell a dream, lose a reader ... Da ich gerade selbst an was Prosaischem sitze, das in der Paris Bar anfängt und man ja gerade am Anfang immer in alle Richtungen ermitteln soll, fiel mir ein, dass mein alter Lieblingsautor Richard Ford auch mal was darüber geschrieben hatte.

Wenig später wusste ich auch wieder wo und hatte das Buch in den Händen: "Eine Vielzahl von Sünden", 2002 auf der Lesung im Tränenpalast mit Widmung ("For Andreas. With the pleasure of the meeting. And with my gratitude - Richard Ford 20 September 2002"), ein Band mit Erzählungen übers Fremdgehen, den ich damals, glaube ich, ganz okay fand, obwohl ich (bilde ich mir zumindest heute ein) schon damals eine gewisse Erschöpfung spürte:

Ford hatte 1996 mit "Independence Day" sein opus magnum vorgelegt, ca. alle amerikanischen Preise abgesahnt, als gefeierter Autor endlos und weltweit auf Lese- und Stipendien-Tour rumgereicht, sich dabei gottweißwie gefühlt (gelangweilt, leer, ausgebrannt, berühmt) und gottweißwie abgelenkt (Sport, Luxushotels, gutes Essen, Groupies), um dann geschlagene sechs Jahre später mit ein paar Stories zurückzukehren, die "Privacy", "Quality Time" oder "Calling" heißen.

Die, die ich meinte, war "Gute Zeiten" (wie Frank Heibert "Quality Time" meinte übersetzen zu müssen). Die Passage mit der Paris Bar war nicht lang und ging so:

Jim wanderte in die Menge, die jetzt rascher in den Bankettsaal strömte. Genau in diesem Augenblick roch Wales eine Zigarre, voll und dicht und durchdringend. Er musste an die Paris Bar in Berlin denken. Etwas an dem Rauch und diesem Bernstein-Messing-Arkadenlicht war fast so wie dort. Eines Abends war er mal mit einer Freundin hingegangen, auf einen Drink und um Kondome zu kaufen. Beim Gang aufs Herrenklo hatte er festgestellt, dass der Kondomautomat neben den Urinalen stand, die unablässig benutzt wurden. Und irgendwie – wahrscheinlich aus Nervosität, aus Vorfreude – irgendwie hatte er sein Fünfmarkstück fallen lassen. Und weil er damals tatsächlich getrunken hatte und die Kondome kaufen wollte, unbedingt kaufen wollte, war er neben einem gerade pinkelnden Mann in die Hocke gegangen und hatte die störrische Münze von den Fliesen zwischen den Füßen des breitbeinig dastehenden Fremden aufgeklaubt. Der Mann lächelte ihn unbekümmert an, als würde so etwas ständig passieren. „Offenbar habe ich heute die Fallsucht“, sagte Wales auf Englisch und befingerte die harte Silbermünze, die kein bisschen feucht geworden war. Und dann fing er an zu lachen, sich laut auszuschütten vor Lachen. Auf der gesamten Herrentoilette konnte unmöglich jemand das englische Wort für „Fallsucht“ kennen. Das war urkomisch. Ein typisches Sprachproblem.

„Viel Glück, mein Freund“, sagte der Mann auf Deutsch, zog seinen Reißverschluss hoch und schaute sich zufrieden um.

„Ja, ja. Der beste Glück. Natürlich“, erwiderte Wales und warf die Münze in den Automaten.

„Jetzt werden es alle erfahren“, sagte seine Freundin, als sie aus dem Lokal in die warme Sommernacht auf der Kantstraße traten. Sie lachte darüber. Sie kannte alle Leute dort.

„Das juckt doch bestimmt keinen“, sagte Wales.

„Nee, natürlich nicht. Kein Stück. Das ist alles vollkommen albern.“<<

(Anmerkung: Die Dialog-Stellen auf Deutsch sind kursiv gedruckt und man denkt natürlich sofort darüber nach, was "Fallsucht" auf Englisch heißt, aber das Internet bietet nur "falling sickness" oder "epilepsy an - "nur", weil man sich sofort fragt, warum die Begriffe keiner aufm Klo in der Paris Bar draufgehabt haben sollte.)

Abgesehen davon dachte ich wieder, was ich oft beim Wiederlesen von alten Helden denke (und es ist ein Gedanke, der sich gefährlich nah am eigenen Schreiben und Leben bewegt): Ist das wirklich gut? Oder: welchen Illusionen von "gut" bin ich damals bloß aufgesessen.

Ich versuchte dem nachzugehen, in dem ich mir noch mal den alten Beef zwischen Richard Ford und Colson Whitehead per google vergegenwärtigen wollte (Stichwort in alle Richtungen ermitteln): sofort wurde mir die Meldung angeboten, dass Richard Ford in diesem Frühjahr der Hadada-Award bekommen soll. Den what?! Was wie ein dadaistischer Hoax klang, entpuppte sich ein paar Klicks weiter als seriöser Literaturpreis der Literaturzeitschrift Paris Review (deren Wappentier offenbar der hadada ist, auf Deutsch Hagedasch, aus der Familie der Ibisse), der Ford von Bruce Springsteen persönlich übergeben werden soll.

Was dann wiederum in den USA sofort zu einer Debatte führte, die weniger um Fords literarisches Werk als um seine moralische Integrität kreist: Ist jemand, der keine Kritik aushält, wirklich preiswürdig? Das wurde vor allem an zwei Vorfällen festgemacht:

Als die Autorin Alice Hoffman in der New York Times mal einen halbwitzigen Verriss über "Independence Day" veröffentlichte, ging Ford mit einem Buch von Hoffman in den Garten, schoss mit seiner Flinte drauf und schickte der Autorin ihr "getötetes" Buch mit der Post.

Und als der Autor Colson Whitehead mal ebenfalls in der New York Times ebenfalls einen halbwitzigen Verriss über - siehe oben! - "Eine Vielzahl von Sünden" veröffentlichte (der allein schon von der Dämlichkeit des Titels profitierte), spuckte Ford ihm Jahre später auf einer Party ins Gesicht, mit den Worten: "You spit on my book, I spit on you. Grow up, kid" (sic! - und was Colson Whitehead, als ich ihn noch mal Jahre später bei einem Interview darauf ansprach, nur mit einem Seufzer kommentierte: "... he's just an old Southerner who doesn't like to be talked back by a Negro.") 

Was das ganze dann noch mal so richtig verschlimmerte, war ein Esquire-Essay von Richard Ford, in dem er sich 2017 reichlich wirr und pseudomarkig eben nicht entschuldigt, sondern sich - unter der Vorgabe, keine Kritiken zu lesen - an den Namen jedes einzelnen Kritikers erinnerte, der jemals was Abwertendes oder Lobendes über ihn geschrieben hat. Literaturkritik sei nun mal "perilous business" und er selbst nun mal irgendeine unselige Mischung aus Macho und Memme, aber jeder, der das anders sehe - und sich die Butter durch Verrisse (von zumal Kollegen, also Konkurrenten) vom Brot nehmen lasse - ein Idiot.

Dazu jetzt dann die übliche Mischung aus berechtigter Empörung und teilweise Verständnis.

Das Ganze erinnert sehr entfernt an die Handke-Nobelpreis-Debatte (mit dem Unterschied, dass im deutschen Feuilleton noch nichts darüber kam) und geht mir nach und nah: Autoren (oder Menschen), die ich liebte, zeigen in hysterischen PC-Zeiten Nerven, schreiben Scheiße und "haben", again, "für immer versagt".

Richard Ford, die Paris Bar und der Hadada-Award

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Kommentare 3
  1. Maximilian Rosch
    Maximilian Rosch · vor fast 5 Jahre · bearbeitet vor fast 5 Jahre

    Toller piq, danke!

    Ich finde hier ist die aktuelle Kritikfähigkeit im Netz exemplarisch auf den Punkt gebracht: "Als die Autorin Alice Hoffman in der New York Times mal einen halbwitzigen Verriss über "Independence Day" veröffentlichte, ging Ford mit einem Buch von Hoffman in den Garten, schoss mit seiner Flinte drauf und schickte der Autorin ihr "getötetes" Buch mit der Post."

  2. Yvonne Franke
    Yvonne Franke · vor fast 5 Jahre

    Wenn du mal ein Buch über Ford schreibst, sag mir bitte Bescheid, Andreas. Ich kaufe das sofort.

    1. Andreas Merkel
      Andreas Merkel · vor fast 5 Jahre

      Vielen Dank, geht klar.

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