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Literatur

RESSENTIMENTS

RESSENTIMENTS

SABINE SCHOLL
Autorin
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SABINE SCHOLLMittwoch, 07.04.2021

Die Volksabstimmung zum Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich bildet den historisch verbürgten Rahmen von Thomas Arzts Roman Die Gegenstimme. Das demokratisch anmutende Verfahren am 10. April 1938 zur Legitimierung der nationalsozialistischen Übernahme war bloße Farce, da es kaum jemand wagte, dagegen zu stimmen. Der Großonkel des aus einer oberösterreichischen Kleinstadt stammenden Autors war einer von ihnen. Arzt, bislang vor allem als Dramatiker hervorgetreten, entscheidet sich auch im Roman für ein vielstimmiges Verfahren, indem er typische Vertreter des ländlichen Raums, wie Bürgermeister, Gendarm, Wirt, Schuster, Förster etc. samt Ehefrauen und Kindern vorstellt. Es ist der Außenseiter Karl, Geschichtsstudent und Sohn eines Schusters, der sich gegen die Allgemeinheit stellt. Schwankend in ihrer Zustimmung zeigen sich zudem der zurückgebliebene Gemeindehelfer Sepp und der katholische Abt des Klosters. Karl hat in Innsbruck gelernt, die Verhaltensweisen anderer Studenten zu imitieren, um dazuzugehören. In der Auseinandersetzung mit der emanzipierten Städterin Erika erwacht sein kritischer Geist. Den Impuls zum Widerstand erhält er aus Diskussionen mit ihr. Überhaupt sind die Frauenfiguren im Roman komplex gezeichnet, neben Erika etwa die eigenständige Gattin des Arztes. Sogar Karls Feindin, die parteikonforme Bürgermeistertochter Cilli, bekämpft vor allem ihre eigenen Widersprüche, wenn sie sich gegen ihn wendet. Ressentiments der Landbewohner gegenüber Karl bilden die Spannungselemente einer sich innerhalb von 24 Stunden entfaltenden Handlung bis zum dramatischen Showdown im Wald.

Arzts Erzählduktus erinnert an die Form eines Drehbuchs. In kurzen Einheiten, mit zahlreichen Auslassungen, wird das Geschehen mittels Fragen vorangetrieben. Auffällig sind die verschiedenen Sprachebenen, die der Autor ineinander schichtet. Neben Einschüben, Kursivsetzungen, Dialektausdrücken, die einzelnen Figuren zugeschrieben werden, mischt sich auch der Erzähler ein. Er interpretiert, blickt voraus, urteilt, folgt der Notwendigkeit, geistige Haltungen nicht nur an den handelnden Figuren zu zeigen, sondern auch Erklärungen beizufügen. Dieser Eingriff ist manchmal so stark, dass den Figuren heutige Begrifflichkeiten in den Mund gelegt werden, wie etwa, „Vergewisserung der Gegenwart“, „Beziehung“ (zwischen Eheleuten), oder „systemkonform“. Auch dass der verrückte Sepp einen Satz, wie „Die Reflexe meiner Muskulatur sind unergründlich“ formuliert, klingt relativ unwahrscheinlich. Die Sprachebenen kreuzen sich symptomatisch in einer Schlüsselszene, wo der Anti-Held Karl in der Wahlkabine steht und vor Aufregung Wasser lässt. Arzt beschreibt dies als „tropfen“, „rinnen“, „brunzen“, „schiffen“, „besudeln“, setzt beschreibende neben dialektale und eher hochsprachliche Ausdrücke. Der Autor hat sich so für eine, aus verschiedenen Elementen gefügte Kunstsprache entschieden, die Lesenden zu Anfang in extremer Verdichtung begegnet, welche sich im Laufe der Lektüre einigermaßen lockert. So setzen Kapitel meist mit einem vorangestellten Verb ein und werden dialektale Sprechweisen durch Auslassungen markiert, z. B. „Kuchl“ statt „Küche“, „konnt“ statt „konnte“. Auffällig ist der häufige Verzicht auf das Verb zum Schluss von Aussagen. Ob dies Anzeichen von gedankenlosen Sprechern, regionalsprachliche Eigenheit oder Handlungsunfähigkeit der Figuren anzeigen soll, bleibt offen.

Der Einsatz von regionalen Sprechweisen in literarischen Werken ist in der Tat meist mit Schwierigkeiten verbunden. Einerseits stehen sie für den Anschein des Authentischen. Doch setzte man sie unverändert ein, ginge einem größeren Leserkreis die Verständlichkeit verloren. Wird aber Dialekt bloß angedeutet, bildet diese Künstlichkeit eine Hürde. Zugegebenermaßen stellt sie für mich als Leserin ein Problem vor allem deshalb dar, weil ich aus derselben Gegend stamme und ich einiges nachvollziehen kann, anderes wiederum nicht. Dazu wirkt Dialekt bis heute als Standesmerkmal, das nicht nur anzeigt, woher jemand stammt, sondern auch aus welcher Gesellschaftsschicht, ob gebildet und damit fähig, in Umgangs- und Hochsprache zu wechseln, oder eher nicht. Daher wirken in diesem Roman die aufgebotenen Sprachebenen am besten zusammen, sobald Angehörige einer etwas höheren Klasse, etwa der Abt, die Arzt- oder die Bürgermeistergattin vorgestellt werden. Der Bildungsgrad dieser Figuren entspricht am ehesten der Sprache, die durch den Erzähler bzw. den Autor repräsentiert wird.

Das Verdienst von Arzt ist es, Lokalgeschichte literarisch zu erforschen und Ereignisse aufzudecken, die vergegenwärtigen, welche Atmosphäre zu Beginn des Nazi-Regimes herrschte, und dass es möglich war, Ablehnung zu artikulieren. Das ist spannend, wichtig und für die meisten sicher gut lesbar. Nicht jeder kommt aus so einem Kaff wie ich.

Thomas Arzt, Die Gegenstimme, Residenz-Verlag Wien 2021

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