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Literatur

Postwachstumsgesellschaft

Thomas Durgeloh Oliva

Community piqer für: Literatenfunk, Volk und Wirtschaft, Zukunft und Arbeit, Wissenschaft und Forschung, Europa

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Thomas Durgeloh OlivaDonnerstag, 07.09.2017

Der von Irmi Seidl und Angelika Zahrnt herausgegebene Band „Postwachstumsgesellschaft. Konzepte für die Zukunft“ ist im deutschsprachigen Raum dem reformorientierten Ansatz auf ökologisch-liberaler Basis zuzurechnen. „Trotz zahlreicher wachstumskritischer Stimmen halten Politik, Wirtschaft und Gesellschaft an ihrer Wachstumsorientierung fest. Mit Verweis auf Wirtschaftswachstum und Arbeitsplätze wird die Umwelt hintenangestellt.“ Dieser Befund leitet das Buch ein (S. 9). Irmi Seidl, Vertreterin einer Ökologischen Ökonomie, sowie Angelika Zahrnt, bekannt als langjährige Vorsitzende des BUND, haben Experten aus unterschiedlichen Disziplinen gewonnen, das Thema „Wirtschaftswachstum“ kritisch zu beleuchten. Die versammelten Beiträge loten Möglichkeiten aus, wie in unterschiedlichen Subbereichen wie Arbeitsmarkt, Gesundheitswesen, demografischer Wandel u. a. m. Veränderungen angestoßen werden können, um konstruktive Wege in eine Postwachstumsgesellschaft zu finden.

Im „hölzernen Zeitalter“, als das Holz der nahezu alleinige Brennstoff und der wichtigste Bau- und Werkstoff war, verstanden sich die „Grenzen des Wachstums“ von selbst, so der Umwelthistoriker Joachim Radkau (S. 38). Die Schönheit der alten Städte sei der „Orientierung auf qualitatives Wachstum“ entsprungen, die „Hässlichkeit der neuen Industriestädte dem ungehemmten quantitativen Wachstum“ (S.39). Radkau erinnert daran, dass das Wirtschaftswachstum die Kluft zwischen Arm und Reich – und auch die „Kluft zwischen den Gesetzen der Wirtschaft und denen der Lebensweisheit“ (S. 43) vergrößert hat (so ist der Abstand zwischen den reichsten und den ärmsten Ländern seit Beginn der Industrialisierung von 5 zu 1 auf 400 zu 1 gestiegen). Skeptisch beurteilt der Historiker auch den Optimismus bezüglich einer zunehmenden „Entmaterialisierung der Wirtschaft“, da Effizienzgewinne bisher immer durch Mengeneffekte aufgesogen wurden.

Gefordert sei die Politik, die Weichen für Begrenzung zu setzen. Radkau hofft dabei nicht allein auf globale Umweltpolitik, sondern insbesondere auch auf lokale Initiativen, so genannte „Pionierregionen“. Denn: „Nicht abstrakte Beschlüsse, sondern anschauliche Modellregionen machen Neues attraktiv und vertrauenerweckend.“ (S. 47)

Der Schweizer Soziologe Francois Höpfinger setzt in seiner Analyse über die Alterssicherungssysteme auf ein „produktives Alter“: eine reduzierte Arbeitszeit („Halbtagsstelle als Norm für Mann und Frau“, S. 61) würde ergänzt durch eine Verlängerung der Erwerbsdauer, aber auch durch Ausweitung von Eigenarbeit. Die Konzentration der Wirtschaft auf „hochproduktive Hochlohnarbeit“ würde die Finanzierung der Rentensysteme auch bei abnehmender Erwerbsarbeit lösen, so der Experte. Voraussetzung seien entsprechende Qualifizierungen: „In einer gering oder nicht mehr wachsenden Gesellschaft basiert, vereinfacht formuliert, der sozialpolitische Generationen- und Rentenvertrag der Zukunft verstärkt auf lebenslanger Bildung.“ (S. 56)

Um Bildung geht es auch der Philosophin Christine Ax, wenn auch mit etwas anderer Gewichtung. Sie spricht von „Bildung fürs Leben“. Eine Postwachstumsgesellschaft mit einem geringeren Stellenwert materieller Güter brauche „mehr Gleichheit und mehr Wertschätzung für die Vielfalt menschlicher Fähigkeiten und Tätigkeiten“ (S. 79). Bildung habe in diesem Sinn auch zu tun mit der „Vorstellung von einem dematerialisierten Wohlstand und gutem Leben“ und müsse insbesondere Kompetenzen fördern, „die es uns erlauben, unser Leben jenseits von Konsum und Erwerbsarbeit zu gestalten und zu genießen“.

Dass eine Postwachstumsgesellschaft auch einen „bewussten Umgang mit Gesundheit, Krankheit und Tod“ erfordert, macht Hans-Peter Studer in seinem Beitrag über den „Wachstumsmotor Gesundheit“ deutlich. Gesundheitsförderliche Arbeits- und Lebensbedingungen seien dabei ebenso nötig wie eine Neuordnung des Gesundheitswesens. Anreize zur „optimalen“ statt der „maximalen“ Medizin hätten in der Schweiz, so Studer, zu Kostensenkungen um 20 bis 30 Prozent bei gleichbleibender Zufriedenheit der PatientInnen geführt. Anders ausgedrückt: „Rund ein Viertel der im konventionellen Versicherungssystem erbrachten Leistungen erweist sich schlicht als überflüssig.“ (S. 70)

„Mehr Dienste statt mehr Waren“, „Wohlstands- statt Wirtschaftswachstum durch Arbeitszeitverkürzung“ sowie „Mehr öffentliche Leistungen durch eine neue Steuerbasis“ benennt der Ökonom Norbert Reuter (in Anlehnung J. M. Keynes) als drei „Megatrends für einen Weg in die Postwachstumsgesellschaft“. Der Aufstieg „grüner Industrien“ könne das „Schrumpfen des industriellen Sektors nicht verhindern“ (S. 99), so der Experte, die Reduzierung von Arbeitszeiten sei daher auch aus ökologischer Sicht geboten. Zu nutzen wären unterschiedliche Instrumentarien von der Arbeitszeitgesetzgebung über befristete Lohnzuschüsse, Sabbaticals, Vorruhestandsregelungen und ausgeweitete Elternzeiten.

Wachstumsmotor Konsum

Die dänische Wirtschaftswissenschaftlerin Inge Röbke macht den Konsum als „Kern des Wachstumsmotors“ aus. Sie beschreibt zehn einander verstärkende Antriebskräfte von der „falschen Annahme“ billiger fossiler Energieträger und den „schiefen“ globalen Güterketten über den marktlichen Wettbewerb und Innovationsdruck bis hin zur „Verkaufsförderung“ durch Reklame, Werbefernsehen oder Ratenzahlungen. Die Autorin kritisiert die „totale Kommerzialisierung des öffentlichen Raums“ (S. 105). All dies führe schließlich zur „Gewöhnung an steigende Standards“ sowie zu „Lock-in-Effekten“, was bedeutet, dass einmal eingeführte Technologien bzw. Geräte nur schwer ein Zurück erlauben (etwa am Beispiel Auto oder Informationstechnologien). Die Schritte zum Stoppen des Wachstumsmotors müssten, so Röbke, ebenfalls vernetzt erfolgen: etwa durch Förderung von Binnenwirtschaften in Entwicklungsländern, durch Erhöhung der Ressourcenpreise („Entkräftung falscher Annahmen“), die Etablierung von Gemeinschaftsnutzungskonzepten (wie Carsharing), die Einschränkung von Werbung oder die Förderung regionaler Wirtschaftsräume. Besonders betont die alternative Ökonomin die (erneute) Verlangsamung der Arbeits- und Lebensrhythmen (die sich bei mehr Gewicht auf Ressourcenproduktivität statt Arbeitsproduktivität ergeben würde) sowie – da schließt sich der Kreis zu anderen Beiträgen – die „Umgestaltung der Investitionen und die Verlagerung von privatem zu öffentlichem Konsum“ (S. 113). Früher oder später werde es notwendig sein, ohne Wachstum klar zu kommen, da sei es „viel besser, dies durch Planung statt Katastrophen“ zu erreichen, meint Röbke in Anlehnung an ihren Kollegen Peter Victor.

Mehrere Beiträge thematisieren eine „faire und effiziente Steuerpolitik“, wie es der Steuerexperte und Politikberater Lorenz Jarass ausdrückt. Die steuerschonende Gesetzgebung benachteilige in Deutschland Realinvestitionen, die Arbeitsplätze schaffen, ist Jarass überzeugt. Internationale Kapitalverwalter kaufen Unternehmen über Kredite auf, doch durch die resultierenden Schuldzinsen wird deren steuerlicher Gewinn „und somit auch die Steuerzahlung drastisch reduziert“, die Schuldzinsen werden an „Finanzinstitutionen in Niedrigsteuerländer transferiert“ (S. 158). Die Unternehmen kämen zugleich aufgrund der Zinsbelastung in Krisenzeiten unter Druck.

„Im wirtschaftlichen Ergebnis wird damit der Export von Arbeitsplätzen steuerlich begünstigt und die Schaffung von Arbeitsplätzen steuerlich diskriminiert.“ (S. 159) Gerade in einer Postwachstumsgesellschaft würde dies den Kampf um Arbeitsplätze drastisch verschärfen. Jarass fordert verbesserte Abschreibungsbedingungen, die langfristige Investitionen fördern – ein Effekt, den auch die Zunahme der Stimmrechte mit der Haltedauer von Aktien, eine Börsenumsatzsteuer sowie eine Steuer auf Veräußerungsgewinne begünstigen würde.

Der Ökonom Bernd Meyer skizziert in der Folge einmal mehr den Sinn einer aufkommensneutralen Ressourcenbesteuerung, die Reboundeffekte bei höherer Produktivität anhalten würde, ohne jedoch die (deutsche bzw. europäische) Wettbewerbsfähigkeit zu gefährden. Wirtschaftswachstum sei auf diesem Weg weiter möglich, es müssten jedoch klare „Zeitpfade“ (S. 176) für Ressourcenreduktionen politisch festgelegt werden.

Die Herausgeberinnen Irmi Seidl und Angelika Zahrnt beleuchten den Konnex von Staatsfinanzen und Wirtschaftswachstum. Historische Studien zeigten, so die beiden, dass die Hoffnung von Staaten, durch neue Schulden irgendwann aus der Schuldenspirale „herauswachsen“ zu kön- nen, trügt. Und das Setzen auf Wirtschaftswachstum blende die Kosten dieser Strategie aus: „Kosten-Wirksamkeitsanalysen zur Wachstumsförderung fehlen.“ (S. 184) Neben der Erschließung von brachliegendem Einnahmenpotenzial (etwa gleichmäßiges Besteuern von in- und ausländischen Unternehmen sowie von Vermögenszuwächsen und Finanztransaktionen) fordern Seidl und Zahrnt auch die Begrenzung der öffentlichen Verschuldung. Claudia von Braunmühl erinnert schließlich daran, dass ein weniger wachstumsabhängiger Wirtschaftspfad „Suchbewegungen“ für ein partizipatives Wirtschaften erfordert: etwa die „Relokalisierung wirtschaftlichen Handelns“, die „Umverteilung und Umstrukturierung von Arbeit einschließlich des vollen Einbezugs der Sorgearbeit“ sowie den „Umbau der Steuer- und Sozialsysteme“. (S. 191) All dies erfordere demo- kratisches Handeln und Aushandeln. 

Ein Argument, dem nur zuzustimmen ist. 

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