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Literatur

Moana Reading - täglich auf Rudolf Thomes Blog

Moana Reading - täglich auf Rudolf Thomes Blog

Andreas Merkel

Sachbuchautor über Romane in Berlin. Letzte Veröffentlichung: "Mein Leben als Tennisroman" (Blumenbar). Kolumne "Bad Reading" im Freitag (das meinungsmedium).

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Andreas MerkelMittwoch, 28.02.2018

Unter der Woche schaue ich immer noch täglich im Internet vorbei. Pflichtprogramm sind natürlich Piqd, Perlentaucher und Pitchfork (auch wenn die Deppen bei Perlentaucher nicht mehr auf Bad Reading verlinken), sowie die durchgeknallten Spielernoten im kicker (wunderbar, wenn sie jemandem eine 5,5 statt einer 6 geben - an dem Prozess dieser Entscheidungsfindung wäre ich gern mal beteiligt). Das dauert so fünf Minuten. Da man gerade online ist, verbringe ich anschließend gern noch weitere fünf Minuten meiner Lebenszeit auf der Suche nach etwas Persönlicherem, Tagebuchähnlichem, das mich einigermaßen für den eigenen Tag beruhigt.

Da mein Lieblingskyniker Detlef Kuhlbrodt zum Glück wieder angefangen hat, in der taz seine Berliner Szenen zu veröffentlichen, dies aber leider nicht täglich tut, gucke ich mir auch gern den Wetterbericht an - vor allem die Piktogramme für Sonne, Regen und Schnee tun mir gut, außerdem stellt sich ein seltsames Gefühl für Zeit (oder Zukunft) ein, wenn man die 16-Tage-Vorschau anklickt. Und danach lese ich am liebsten noch kurz bei dem Regisseur Rudolf Thome rein, der auf seinem wunderbaren moana-blog täglich etwas aus seinem Alltag fotografiert, filmt und kommentiert.

Thome (Jahrgang 1939) wurde von der Cahiers du Cinéma mal als "wichtigster unbekannter Regisseur Deutschlands" bezeichnet, was natürlich nicht stimmt, da er schon früh mit Filmen wie "Rote Sonne" (1970, mit Uschi Obermaier) ein Star des deutschen Autorenfilms wurde und unter zum Teil schwierigen Bedingungen (er war sich nicht zu schade, zwischendurch als Kreditsachbearbeiter für Sparkassen zu arbeiten) mittlerweile auf ein Werk zurückblickt, auf das ich hier unmöglich eingehen kann, weil ich kein Filmhistoriker bin, und über das man sich am besten bei Wikipedia einen guten Überblick verschafft, wo es schön problematisch über ihn heißt, er wäre ein "unaufdringlicher Portraitist von Liebesbeziehungen und Beziehungsproblemen des Bildungsbürgertums, die hauptsächlich an Schauplätzen in und um Berlin spielen":

Frauen nehmen in seinen Filmen souveräne und selbstbewusste Rollen ein. „Seine Frauen sind durch ihren Realitätssinn und ihr pragmatisches Handeln den Männern immer überlegen“, so Regisseur Goggo Gensch, der Thome auch deshalb als einen „Regisseur der Frauen“ bezeichnet. Ein häufig wiederkehrendes Sujet sind Science-Fiction-Motive wie Zeitreisende und der Besuch von Außerirdischen wie in Supergirl – Das Mädchen von den Sternen, Die Sonnengöttin, Der Philosoph und Tigerstreifenbaby wartet auf Tarzan. Häufig wurde Thomes Stil mit dem von Éric Rohmer verglichen, doch Thome wehrte ab, da Rohmer seine Schauspieler bereits ein halbes Jahr vor Drehbeginn mit dem Filmstoff vertraut gemacht habe.

Goggo Gensch und der Regisseur der Frauen, oh Mann. Meine erste Filmbegegnung mit Rudolf Thome handelt dagegen von seinem wunderbaren "Das rote Zimmer" (2010, mit Katharina Lorenz), in dem es natürlich auch um Frauen, aber unter anderem ebenso um Angeln, Schreiben und Kussforschung geht. Den Film sah ich vor genau sieben Jahren eher zufällig (ich fürchte, aufgrund einer Kritik in der SZ) in Berlins ältester Kino-Kneipe, dem Tilsiter (wohin wir früher immer nach dem Tischtennis gingen, bis meinen Mitspielern aus irgendwelchen Gründen das Bier und der ganze Laden nicht mehr schmeckte, was jetzt immer wieder zu Streit nach dem Sport führt, weil ich gern mal wieder hingehen würde, aber es auf Dauer psychisch nicht durchhalte, mich gegen drei Gegenmeinungen durchzusetzen).

Seitdem interessiere ich mich jedenfalls für Thomes Online-Blog, der vordergründig von seinem Leben auf einem brandenburgischen Bauernhof handelt und den Radtouren, die er täglich bei jedem Wetter unternimmt und mit einem Foto dokumentiert, das mich ähnlich begeistert wie die Piktogramme im Wetterbericht. Untergründig kriegt man aber jede Menge mit. So liest Thoma jede Menge (von Murakami über Oskar Roehler bis Ferrante), läßt uns daran teilhaben, wie er per Fernseher die großen weltpolitischen Ereignisse (Trump, SPD, Tatort aus Köln) verfolgt und ist zum Beispiel auf eine mich sofort begeisternde Weise Fan des genauso großartigen, ganz ähnlich und doch vollkommen anders arbeitenden südkoreanischen Regisseurs Hong Sang Soo, den ich sofort auch in mein Herz geschlossen habe (auch wenn ich, glaube ich, keinen ganzen Film durchhalten würde). Wie es generell bemerkenswert ist, wie schnell einem ein fremder Mensch scheinbar vertraut wird, wenn er einem mit sympathischer Offenheit gegenübertritt. 

So ging es mir unweigerlich nah, als ich nach einer etwas längeren Abwesenheit auf seinem Blog bemerkte: Moment, wo ist eigentlich seine ägyptische Freundin hin, über die er immer nur als "meine ägyptische Freundin" vielleicht ein bisschen stolz schrieb? Und war dann traurig, als ich in älteren Posts nur aus ein paar allerdiskretesten Andeutungen Thomes schließen musste, dass die beiden sich getrennt haben müssen (es ist die hohe Kunst von Thomes Blog, dass man sich dabei - anders als beispielsweise ab und zu bei Knausgård - nicht eine Sekunde voyeuristisch fühlt).

Und so freue ich mich gerade umso mehr mit ihm gemeinsam an dem schönen Erfolg, den seine Tochter, die Regisseurin Joya Thome, mit ihrem Kinderfilm "Die Königin von Niendorf" hat. Und muss ein bisschen grinsen über die jugendliche Gereiztheit, die Thome sich bewahrt hat, wenn jemand ihn oder seine Tochter kritisiert.

Am Ende möchte ich noch darauf hinweisen, dass die Schauspielerin und Regisseurin Serpil Turhan den schönen Portraitfilm "Überall Blumen" über Thome gedreht hat (die beiden kennen sich von zahlreichen Dreharbeiten), den die Öffentlich-Rechtlichen hoffentlich bald mal im Fernsehen bringen, wenn sie schon Peter Handkes "Bin im Wald. Kann sein, dass ich mich verspäte" dauernd zeigen (den Thome übrigens ähnlich, aber nicht so ganz so gut wie seinen findet).

Und dass etwas an der tapfer melancholischen Art wie Thome seine Radtouren bei Wind und Wetter durchzieht, mich an meinen unvergessenen Philosophielehrer Otto Carstens erinnert, der am Tag seiner sogenannten Pensionierung (in Wirklichkeit wechselte er nur die Lehrfächer von Latein und Philosophie zu Qi Gong) erstmal hundert Kilometer an die Nordseeküste radelte, sich dort ins einsame Watt stellte und sagte: "So, Otto, und jetzt bist du allein!"



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