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Anne Hahn, in Magdeburg geboren, lebt seit 1990 in Berlin. Studium der Kunstgeschichte/Geschichte in Berlin und Florenz. Seit 1999 Porträts, Reportagen und Rezensionen in verschiedenen Medien. Buchveröffentlichungen u.a.: "Satan, kannst du mir nochmal verzeihn - Otze Ehrlich, Schleimkeim und der ganze Rest" (mit Frank Willmann) Ventil Verlag 2008, "Pogo im Bratwurstland: Punk in Thüringen" LzfpB, 2009, „DreiTagebuch“ Roman, „Gegenüber von China“ Roman, beide Ventil Verlag, 2014, "Das Herz des Aals", Roman, Ventil Verlag 2017, "Mitten drin - Fußballfans in Deutschland" BfpB, 2018, "Vereint im Stolz - Fußball, Nation und Identität im postjugoslawischen Raum", BfpB 2021
„Ich hatte wenige Erinnerungen an meine Mutter. Im Grunde kannte ich sie nur von Fotos, die mein Vater in einem kleinen Kasten aufbewahrt. Schwarzweißbilder waren es, mit dickem weißen Rand. Meine Mutter beim Tanz. Meine Mutter mit geflochtenen Zöpfen. Meine Mutter barfüßig…“
Dieses Buch nimmt vom ersten Satz an gefangen. Trägt den Leser auf sanften Wellen hinein in ein Drama, dem er nicht entkommen kann. Die Kinder Kata und Isti leben im Westen Ungarns, das dennoch Osten ist und lange bleiben wird. Die Mutter geht, der Vater versteinert. Bleibt zurück mit den Kindern und den Fotografien.
„Meine Mutter hat sich damals nicht von uns verabschiedet. Sie war zum Bahnhof gelaufen, wie an vielen anderen Tagen auch. Sie war in einen Zug gestiegen, Richtung Westen, Richtung Wien. Wie selten Züge von unserem Bahnhof aus in Richtung Wien fuhren, das wußte ich. Meine Mutter muß lange gewartet haben. Sie hatte genügend Zeit, es sich anders zu überlegen. Um zurückzukommen. Und uns Auf Wiedersehen zu sagen. Um uns noch einmal anzuschauen.“
Aus Sicht des Kindes erfahren wir in komprimierten Abschnitten von einem Leben nach der Katastrophe. Dass die Katastrophe das ganze Land, die ganze östliche Hemisphäre betraf, erschließt sich erst nach und nach. Schleichend werden wir eingeweiht, in die Zerschlagung des Aufstandes in Ungarn von 1956, Agonie und Angst. Die Motive der Mutter bleiben nebulös, in Andeutungen gefangen und doch kristallklar in ihrer Konsequenz:
„Meine Mutter hat meinem Vater nie widersprochen. Sie hat ihn verlassen.“
Zsuzsa Bánk legt in ihrem Debüt 2002 eine Familiengeschichte vor, die nicht ihre ist, aber dennoch autobiografische Elemente enthält. Als Kind besuchte die 1965 in Frankfurt am Main geborene Autorin des Öfteren Ungarn und die dort lebenden Verwandten. Sie erlebte den Stillstand, das Warten, die Melancholie. Und kehrte zurück in den Westen, das gelobte Land. Die feine Stimmung, die Kinder spüren, überträgt sich in das Debüt, in eine Sprache, die in zarten Nuancen das Schlimmste schildert:
„Als man sich […] erzählte, meine Mutter sei mit einer Freundin in den Zug gestiegen, ohne Koffer, ohne Tasche, ohne Abschied, als man sich auch erzählte, ich säße jetzt im November, draußen im Regen, und keiner hindere mich daran – erst da verkaufte mein Vater Haus und Hof.“
Auf knapp dreihundert Seiten und in zwölf Jahren ziehen Kálmán und seine Kinder umher, kriechen bei Verwandten unter, leben in der Stadt, auf dem Land, an einem Fluss und am Plattensee. Wir hören die Stimmen verschiedener Handelnder, auch der Mutter Katalin, die ihren Weg in den Westen nimmt und nicht anzukommen scheint. In Ungarn bleibt das Wasser bestimmendes Thema, anfangs das Fehlende, dann das befreiende. Zunächst ist der Vater Kálmán der Schwimmer, der sich entfernt, wenn auch nur im Wasser und für bestimmte Zeit. Später ist es Isti, der Sohn und Bruder, welcher wegschwimmt, den Fischen lauscht und beängstigend lange im Plattensee bleibt. Die Kinder verbringen einen beinahe glücklichen Sommer am See, erleben die erste Liebe ihrer Freundin Virág, liegen auf Sandbänken und unter Rebstöcken und sehen zu, wenn der See am Abend seine Farbe verliert.
Ich habe Zsuzsa Bánk durch ihren zweiten Roman „Die hellen Tage“ kennengelernt. Knapp doppelt so umfangreich erzählte Bánk in diesem Buch ebenfalls eine Kindheitsgeschichte, diesmal in Süddeutschland, ähnlich zauberhaft, von Trennung und Schmerz gezeichnet. Deshalb freute es mich, dieses Büchlein mit seinem leeren Boot auf dem unglaublich stillen Plattensee aus einer Büchertasche zu ziehen, im Herbst letzten Jahres. Dass mich dieses Buch so melancholisch stimmen würde, ahnte ich nicht. Im Herbst davor hatte ich den Balaton besucht, wie wir ihn in der DDR nannten, zum zweiten Mal. Nach dreißig Jahren. Es sah dort fast genauso aus wie früher, in einigen Geschäften hatte niemand die Auslagen gewechselt, oder Staub gewischt. Alte Werbung blähte sich vergilbt auf, die Friseurscheren rosteten friedlich. Um 18 Uhr herrschte Totenstille in den Gässchen, die Hotels am See blieben leer, Scheiben zerschlagen, das Wasser ruhig wie ein Grab. Das fiel mir ein, als ich las, wie Isti hinausschwimmt, den Wellen lauscht, den Wolken folgt. Und mir fiel ein, wie ich als Kind gehört hatte, wenn einer rübergegangen war. Das Flüstern der Erwachsenen, die Lücke in der Klasse, in den Familien. Wie beim Abendbrot in Magdeburg erzählt wurde, dass es ihnen nicht gut ging dort, den Ausgereisten. Sie kaum Freunde fänden, keine große Wohnung, schwer Arbeit. Warum dann das alles, dachte ich damals und verstand nicht.
"Der Schwimmer" ist eine Ballade von starken Frauen, eine immer neue Variation vom Gleichgewicht zwischen Warten und Handeln. Der Roman muss konsequenterweise tragisch enden, wenn wir alle Stimmen gehört haben, die eine zerschlagene Auflehnung verblasst und die neue herangereift ist - der Prager Frühling. Dieses Debüt hat zu Recht wichtige Preise gewonnen! Zsuzsa Bánk schenkt uns weiterhin große Literatur.
Eine meiner Lieblingsfiguren im "Schwimmer" ist Virág und ihr Leuchten:
"Virág sah aus wie jemand aus einer dieser Zeitschriften, die Erzi gelesen hatte. Vor einem Skoda hätte sie stehen, lächeln und auf ihn zeigen können. Sie hatte hellblondes Haar, das unter ihrem weißen Kopftuch hervorschaute, und blaue Augen, die grün wurden, sobald sie sich dem See näherte. Ihr Kopftuch hatte sie nicht unter dem Kinn zusammen gebunden, wie alle es taten, sondern im Nacken, und die Bluse über dem Bauch hatte sie so geknotet, daß wir einen Streifen ihrer Haut sehen konnten. An ihren braunen Füßen trug sie Badeschuhe aus rotem Gummi, mit denen sie durchs Wasser waten, durch den Schlamm laufen und die sie mit dem Gartenschlauch abbrausen konnte. Ich glaube nicht, daß ich zuvor jemanden gesehen hatte, der so gehen konnte wie Virág, und ich fragte mich, warum es bei ihr wie ein Tanzen aussah."
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