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Sachbuchautor über Romane in Berlin. Letzte Veröffentlichung: "Mein Leben als Tennisroman" (Blumenbar). Kolumne "Bad Reading" im Freitag (das meinungsmedium).
Never explain, never complain – Jahreswechsel ist die Zeit für ein wenig Royal Self-Treatment. Aber nach nur drei Folgen autobiographischem Frauenjahr vielleicht auch die Gelegenheit für eine kleine Rückschau im strengen Geiste der stalinistischen Selbstkritik:
Folge 0 fühlte sich vom reinen Schreibfeeling her an wie ein wilder Straßenköter, der drei prominent plakatierten Trucks hinterherkläfft, die an der Autobahn längst an ihm vorbeigedonnert sind.
Folge 1 wie ein narrativer Nervenzusammenbruch gemeinsam mit der besten Lieblingsautorin.
Folge 2 wie ein etwas zu netter Nachmittag im Borchardt-Feuilleton der Berliner Zeitungs- und Literaturkrise.
Geschenkt. Out with the new, In with the old:
Denn auf Einladung von Goethe durfte ich aus dem deutschen Walser-Winter nach „Amerika“ (Kafka VS. Trump) fliehen, wo ich mich aktuell (also live) auf O’hau, Hawaii, befinde. Inmitten einer leichten Tropendepression (die Schwüle, das Hotelambiente, kaum Alkohol in den am Pool servierten Drinks – kennt man ja alles) recherchiere ich hier als eine Art belletristischer Privatdetektiv im Auftrag von Robin Masters den internationalen Verflechtungen zwischen Obama und der Literatur hinterher. Der Blick fällt auf dschungelhaft bewaldete Hügelketten, Palmen am Strand und die Weite des Ozeans bis nach Asien, wie man sich hier überhaupt überwiegend unter Japanern bewegt, die das Thema noch weniger interessiert. Es gibt auf ganz O’ahu genau einen Barnes & Noble im riesigen Ala Moana Shopping Center, wo ich vergeblich nach David Foster Wallace‘ „String-Theory“ fragte. So fehlt auch (oder selbst) mir zum Lesen gerad ein bisschen die Kraft. Jeden Morgen gibt es die New York Times mit einem Tag Verspätung vom Festland, und ich schaffe vielleicht gerade noch ein bisschen an der guten alten Druckerschwärze zu riechen und mir die Fotos anzugucken. Besonders die beiden neuesten American Psycho-Fälle halten das Land in Atem:
Esteban Santiago, ein sechsundzwanzigjähriger Irakveteran aus Alaska, hatte sich selbst beim FBI angezeigt. Die CIA würde seine Gedanken kontrollieren und ihn zwingen, sich im Internet IS-Videos anzugucken. Man ließ ihn wieder gehen und wenige Wochen später flog er mit einer Handfeuerwaffe als einzigem Gepäckstück (ging immerhin nicht als Handgepäck durch) von Anchorage nach Fort Lauderdale und knallte dort direkt am Gepäckband fünf Leute per Kopfschuss ab, verwundete acht weitere, entsicherte dann die Waffe, weil seine Magazine leer waren und legte sich auf den Boden, um sich widerstandslos festnehmen zu lassen.
Dylann Roof, der in einer Kapelle in Charleston neun Afroamerikaner während einer Bibelstunde erschoss, verteidigt sich selbst vor Gericht. Er sei nicht geisteskrank, und er habe nicht eine Träne für seine unschuldigen Opfer vergossen. Aber sehr wohl ein paar Tränen über die Zustände in Amerika, wo weiße Kids wie er in der Unterdrückung durch niedere Rassen leben müssten. Und vielleicht auch eine kleine Träne. aus Selbstmitleid, dass ihn diese Zustände in seine Tat getrieben hätten. Für sich selbst fordere er natürlich die Todesstrafe. In seinem Tagebuch schrieb Roof vor der Tat ein paar Gedanken auf, unter anderem zum Thema Psychoanalyse. Zu ihr stehe er in moralischer Opposition. Eine jüdische Wissenschaft, die nichts tue, als Krankheiten zu erfinden und den Leuten Probleme anzudichten, obwohl sie gar nichts haben.
Surreale Stories vom Boulevard der superreal zerschossenen Alpträume sind das, die es einem dann schwer machen, sich mit tatsächlicher Fiktion zu beschäftigen. Zum Beispiel mit Lauren Groffs psychologischem Ehe-Thriller „Fates and Furies“, der im letzten Herbst auf deutsch als „Licht und Zorn“ bei Hanser Berlin erschien. So war denn auch Groffs erste Reaktion, als sie erfuhr, dass sie einen Lieblingsroman von Barack Obama geschrieben hatte, die Verwunderung darüber, dass der Präsident überhaupt Zeit zum Lesen von Fiktion hat (auf dem Rückflug von einer Konferenz in Korea). Und jetzt ist also die Vorstellung in der Welt, wie der Führer des mächtigsten Landes hoch über dem Planeten in der Air Force One sitzt, um gebannt die beiden Geschichten von Lotto und Mathilde zu lesen: „Licht“ und „Zorn“.
„Licht“ heißt der erste Teil von Lauren Groffs daraufhin zum New York Times-Bestseller reüssierenden Roman. In ihm geht es um den eigentlich Lancelot heißenden Lotto, der seine Liebe zu Mathilde schon in jungen Jahren mit einer harmonischen Ehe vergoldet, um so mit ihrer Hilfe vom Frauenschwarm und talentlosen Schauspieler zum erfolgreich ernst genommenen US-Star-Dramatiker aufzusteigen. „Zorn“ heißt der zweite Teil, in dem Lotto schon tot ist und Mathilde jetzt verzweifelt und böse auf ihr Leben zurückblickt, von dessen dunklen Schattenseiten der Dramatiker-Gatte natürlich nichts wusste. Mathilde war eigentlich Französin („Aurelie“ oder – wie die amerikanischen Mitschülerinnen später hänselten: „Orally“) und schubste als kleines Kind ihren noch kleineren Bruder von der Treppe. Sofort tot, woraufhin sie von ihren Eltern verlassen wurde und bei der (immer noch: französischen) Großmutter im Schrank aufwachsen musste, weil die eine (Pariser!) Prostituierte war, deren Freier von der Enkelin nichts mitbekommen sollten, die daraufhin von einem ominösen Onkel irgendwie mittellos nach Amerika verschifft wurde, um sich dort nicht nur eine neue Identität zuzulegen, sondern sich auch von einem reichen New Yorker Galeristen als Sex-Sklavin halten zu lassen und das College bezahlt zu bekommen, wo sie dann – einmal kurz durchatmen – erstmal endlich Lotto heiratet und dem dann strahlend aus dem Hintergrund die ganze Karriere managt, indem sie zum Beispiel heimlich nachts seine Stücke umschreibt, von denen er glaubt, er hätte sie genialisch im Vollrausch selber verfasst und mehr verrate ich jetzt nicht.
Denn – mit Thomas Magnum zu sprechen – zumindest dieser Teil des Falls ist schon geklärt, bevor wir überhaupt aufgehört haben, zu Ende zu lesen: „Licht und Zorn“ ist gehobene Trivialliteratur, mit ein paar, dann gleich immer noch schmerzhafteren Ausreißern ins Belletristische, vor allem auf der schwer creative-writing-geschulten Ebene des Plots (jede Menge Sex und Schicksal) und der Metaphern („die Augenbrauen des Dekans waren Raupen, die über Nacht Apfelbäume kahlfressen“). Eher weniger in der Figurenführung. Das vielgepriesene weiblich Böse ist hier nur noch eine Kategorie von Stephen King. Dazu kommen die altbekannten Probleme der personalen Erzählführung – zumal wenn man es mit einer Autorin zu tun hat, die zu ihren Figuren spricht wie mit Tieren, konsequent immerhin bis zu den Spitznamen: „Lotto“, „Chollie“, „Land“ (für Roland!). Oder grüßt da von fern Beckett rüber (den die Autorin in den Danksagungen als „reinsten Freund“ auflistet)?
Genau mit diesem Befund wird es für uns dann aber doch kurz noch mal – mit piqd zu sprechen – relevant: Was um Himmels Willen hat Obama in diesem Roman gelesen? Dass sich der mächtigste Mann der westlichen Welt zum Abschalten auch mal Schund reinzieht: vollkommen okay, immerhin kein Fernsehen. Aber dass der US-Präsident kaum aus Korea zuhause und also zurück in Washington sich dann tatsächlich noch mal ins Oval Office setzt, um der durchaus sympathischen Autorin (Jahrgang 1978, aus Gainesville, Florida, Hillary-Unterstützerin) handgeschrieben „a note“ zukommen zu lassen – … also einen kurzen Notizzettel? einen längeren Brief?!? –, den die listige Autorin selbst völlig zurecht noch niemals jemandem gezeigt hat … Wir stehen literaturkritisch vor einem kompletten Rätsel von fast schon bolañoesken Ausmaßen.
Was zum Teufel könnte in so einer „note“ zu so einem Pseudo-Thriller stehen? Dass sich ihm in dieser Mischung aus „Gone Girl“. „Garp“ und „Shades of Grey“ tatsächlich sein Innerstes offenbart hat? Hat er sich im schlacksigen Glückskind Lotto wiederentdeckt? Oder Michelle in der schicksalsschwangeren Ermöglicherin Mathilde?
Hier muss mit nüchterner Erzählstimme aus dem Off konstatiert werden, dass es mit herkömmlicher Hermeneutik nicht weitergeht. Und wir es stattdessen einfach mit umstrittenem amerikanischen method writing versucht haben. Schonungsloser Anverwandlung von und mit Obama, der bis eben noch mit uns auf seiner Heimatinsel im Urlaub weilte. Typischer Tagesablauf: Frühmorgens Training im Semper Fit Gym mit den Marines auf der Militärbasis. Danach ein Shave Ice. Tagsüber viel Strand oder anderweitig Sport mit alten Freunden aus Punahou-Schultagen. Abends frühes Dinner bei Alan Wong’s oder anderen Food-Hotspots hier. Nachts vier bis fünf Stunden allein für sich, in denen O. exakt sieben leicht gesalzene Mandeln zu sich nimmt (Quelle New York Times, meistgelesene Artikel 2016) und mailt, liest, schreibt oder fernsieht…
Mit anderen Worten: wir haben, auf Kosten von Goethe, nichts unversucht gelassen, alles gegeben. Ergebnis: Schlafmangel, Airconditioned Nightmares (Themen: Amerika, die Zukunft), eine leichte, aber nicht allzu klare (und dann immer gleich wieder psychogrammatisch voll verstörende) Ahnung davon, was unser Idol gerne liest. Und dass es vielleicht tatsächlich an der Zeit ist, Goodbye zu sagen.
Wir verabschieden uns aus Hawaii als lausige Privatdetektive aus dem Totalschaden, der Rührung und dem Nerv, die entstehen, wenn Politik frontal auf Literatur trifft (angeblich gehörte ja auch mal F. Illies zum „Think Tank“ von Angela Merkel…). Aber auch gerührt davon, dass Obama Literatur offenbar am Herzen gelegen hat. Davon zeugte ja auch schon sein Gespräch mit der christlichen Autorin Marilynne Robinson („Gilead“), mit der er sich für die New York Times mal zwei Stunden Zeit in einer Bibliothek im Mittleren Westen genommen hatte.
Uns bleibt (fast) nur diese seltsam verinnerlichte, onkelironisch beruhigende Stimme aus dem Off. Thomas Magnum, der uns am Ende des Tages mit irgendeiner Richard Ford-Weisheit tröstete, wenn wieder mal ein Fall in die Hose ging –
… mit der Hoffnung darauf, dass Trump irgendwann auch mal einen Roman liest und mit ein paar Max-Frisch-Fragen an sich selbst erschrocken aus seinem Leben aufwacht. Wann kommt noch mal der neue Walser auf englisch raus?
Nächste Folge nächste Woche: Alles andere, in besser!
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