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Literatur

March Madness 3 - Fürsorge

March Madness 3 - Fürsorge

Andreas Merkel

Sachbuchautor über Romane in Berlin. Letzte Veröffentlichung: "Mein Leben als Tennisroman" (Blumenbar). Kolumne "Bad Reading" im Freitag (das meinungsmedium).

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Andreas MerkelFreitag, 24.03.2017

Kurzer Zwischenbericht aus der Realzeit Freitag (also heute): Stahlblauer Himmel, Sonne, endlich Frühling. Morgens erzählt im sogenannten Radio für Erwachsene (taz: „Radio Arschloch“) die Kinderstimme der Kunstkritikerin von der Leipziger Buchmesse. Ja, das sei diesmal sehr ernsthaft hier, wegen der politischen Lage, aber sie freue sich auf die Cosplay-Kids am Nachmittag. Im aktuellen ZEIT-Mann-Magazin mach ich erst mal alle Parfumproben auf, damit das Heft auch genauso riecht, wie es sich liest. Dann zieh ich mir von Uslars gesamten Artikel über Männercreme rein und überlege kurz, ob ich gestern zu hart mit dem kosmetischen Scheck war. Der Typ ist ja nun mal, was er ist, und ich gratuliere jedem, der auf seine Show abfährt, um sich ein bisschen Buch-Smalltalk-Wissen draufzuschaffen. Der gezielte Fehlpass galt natürlich dem „System“ dahinter, das man so sowieso nie trifft: den ganzen Redakteuren, Intendanten, die ihm diesen (ja irgendwie doch) kostbaren Sendeplatz verschafft haben. Verschenkt.

Heute mach ich lieber einen Tag Pause von der Pause des autobiographischen Jahrs mit Frauen. Denn als Frau hat mich sofort Anke Stellings neuer Roman „Fürsorge“ (Verbrecher Verlag) angesprochen. Eine Inzest-Story: eine Mutter verliebt sich in ihren 16jährigen Sohn, der bei seiner Großmutter aufgewachsen ist. Das war mal was Anderes als die dauerfamiliären Prenzlauer Berg-Verhältnisse in ihren buchpreis-nominierten „Bodentiefen Fenstern“ (super Titel und guter Grundansatz, so schonungslos über das eigene Milieu der Gemeinschaftsbau-Projekte zu schreiben, dessen furchtbare Enge sich beim Lesen aber sofort als zu trostlos gedoppelt erwies).

Fürsorge“ ist nun anders konzipiert, kämpft aber mit ähnlichen Problemen der Engführung bei der Lektüre: im Auftrag der Regisseurin Isabelle Stever, nach einer Idee der Schauspielerin Franziska Petri (wie uns eine Vorbemerkung informiert) erzählt Anke Stelling vermittels einer hochschwangeren, ziemlich allwissenden Ich-Erzählerin („Gesche“: Mehrfachmutter, Nachbarin) als Distanz-Element die krasse Story der klappentextschönen Nadja. Nadja ist erfolgreiche Tänzerin und Ballettlehrerin. Nadja ist folglich komplett körperfixiert, egoistisch und einsam, weil sie zu ihrem Freund Daniel mit dem großen Schwanz logischerweise keine richtige Beziehung aufbauen kann, so dass sie sich in ihren früh weggegebenen Sohn Mario als ihr eigenes körperfixiertes usw. Ebenbild verliebt. Nadja ist aber leider auch als Roman-Protagonistin zu glatt als psychologisch-sozialkritische Fallstudie angelegt. Zu durchschaubar der Trick mit dem Erzählskandal bzw. der Spekulation auf das Empörungspotential der Story: sofort Alarm, sollte sich tatsächlich jemand (oder auch niemand) darüber aufregen.

Schade. Ich bin dann lieber noch René Pollesch auf Twitter gefolgt („... einer Romanbesprechung kann ich nur folgen, bis die ersten Namen der Hauptfiguren auftauchen, dann denk ich sofort an Hape Kerkeling“) und auf dem Rad raus in die Sonne. Kurz hinter Berlin kalt angeweht von der March Madness, ein paar romantische Hunde kläfften mich an wie Gedichte von Roberto Bolaño, aber davon (Cliffhanger, ich weiß) erzähl ich

morgen mehr.

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