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Literatur

"Katie" von Christine Wunnicke, eine Geistergeschichte des Wissenschaftsgeistes

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"Katie" von Christine Wunnicke, eine Geistergeschichte des Wissenschaftsgeistes

Saša Stanišić
Mit slow erhitzten antiquarischen Stühlen jonglieren
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Saša StanišićMontag, 28.08.2017

Ich glaube an die Existenz von übersinnlichen und überrationalen Dingen nicht, ich glaube nicht an Gott, Götter, Magie, Flüche, Telepathie, Hellseherei, Voodoo, Ikea, Zahlensymbolik, ich glaube nicht an Lothar Matthäus, Globuli, Tarot, Nierenbohnen, Satan, Kräfte ätherischer Öle, C.G.Jung, das Vorhandensein einer Seele, ich glaube nicht an die Kommentarspalten von Online-Medien, ich glaube nicht an die Kabbala, nicht an die universale Lebensenergie, nicht an diese plastischen Tischeckkondome, die Kinder vor Kopfnuss gegen Tisch schützen sollen, ich glaube nicht, dass uns denkende Außerirdische schon mal besucht haben, lasse mich aber gern davon überzeugen, ich glaube nicht an Channeling, an neoschamanistische Praktiken, an Tee gegen die Blasenentzündung, an die journalistischen Absichten des Focus oder daran, dass Menschen gleichzeitig an zwei Orten sein können, 

aber seit ich "Katie" von Christine Wunnicke gelesen habe, möchte ich gern an Geister glauben. 

Was für ein feines Buch das nämlich ist! Stilistisch und sprachlich von Wunnicke meisterhaft ausgearbeitet, ohne viel mehr zu erwirken als einen etwas antiquierteren Ton anzuschlagen und jede Menge fantastischen Wissenschaftsvokabularhumbug einzusetzen, der wahrscheinlich gar kein Humbug ist, sondern mir schlicht unbekannt. 

Hinzu kommen schräge Anekdoten zu manischen Naturforschern, schräge Experimente zu manischen Phänomenen, und das alles auch als eine Studie der Zeit (um 1870) angelegt, fiktionale Betrachtung der damaligen wissenschaftlichen und paranormalen Strömungen, der Sehnsucht nach gleichzeitiger Erdung angesichts des kaum noch greifbaren Fortschritts und der völligen Ausflipperei in der Suche nach der Normabweichung (und deren Beweis). 

Es treten prominente Wissenschaftler auf (Crookes, Röntgen, Darwin), prominente Pseudo-Wissenchaftler und, nun ja eben – Geister und ihre prominent gewordenen Medien, so wie die im Zentrum des Erzählten stehende Florence Cook und "ihr" Geist Katie, eine aufmüpfige Piratenbraut, sexy, derb und melancholisch, wer würde sich in sie nicht verlieben? 

Florence möchte berühmt werden, und da YouTube noch nicht erfunden ist, geht sie den Weg der Geisterbeschwörung, um das zu erreichen. Im Grunde ist sie also eine talentierte (biegsame) Entfesslungskünstlerin mit mädchenhaftem Charme und Vorliebe für alles Ungesunde (Spiegel, Bücher, Zigeuner, Buttertoast). Und obwohl man ja eigentlich weiß, dass sie eine Schwindlerin sein muss, die ihre geistergeile Kundschaft betört und im trüben Licht in die Illusion entführt, deren Mitte sie selbst ist, tappt man (ich) als Leser auch irgendwann in die Falle, sich zu fragen: "Und was, wenn sie das doch drauf hat? Was, wenn meine Skepsis gegenüber Geistern unfair war, Geistern gegenüber?" 

Denn so, wie Wunnicke die Séancen schreibt, bleibt am Ende immer eine Spur Möglichkeit zwischen den Zeilen, Zeuge geworden zu sein einer Unmöglichkeit. Oder wie Florence selbst es formuliert: 

"Meine Seele weiß nicht, ob mein Körper sie betrügt."

"Katie" ist ein humorvolles Buch, ein Buch über die Dämmerung des Spiritismus, das Dämmern gelangweilter Ehefrauen von Wissenschaftlern, ein Buch, in dem alle ein wenig überreizt sind, alle im Wunsch nach einem Mehr für sich gefangen, alle ein wenig abergläubisch, exzentrisch und verwirrt.

Ich glaube nicht an Geister. Aber – um mal einen rauszuhauen – ich glaube, dass gute Literatur sie wecken kann. 

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Kommentare 1
  1. Georg Wallwitz
    Georg Wallwitz · vor 7 Jahren

    Kann nur zustimmen: Ein wunderbares Buch!

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