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Literatur

Fernweh nach einer anderen Moshfegh

Andreas Merkel

Sachbuchautor über Romane in Berlin. Letzte Veröffentlichung: "Mein Leben als Tennisroman" (Blumenbar). Kolumne "Bad Reading" im Freitag (das meinungsmedium).

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Andreas MerkelFreitag, 14.02.2020

Valentinstag der Literatur: Was ist, wenn all die Bücher, die man im Laufe eines Lese-Lebens mal so sehr mochte, irgendwann nur noch vergilbte Liebesbriefe sind, auf deren Gefühle Adressaten und Absender sich längst keinen Reim mehr machen können (oder – für nach 1990 Geborene bitte metaphorisch nachdigitalisieren! – sich einst viel zu viel eingebildet haben)?

So geht es mir gerade ein wenig mit Ottessa Moshfeghs "Homesick For Another World", das drei Jahre lang das Lieblingsbuch meiner allerersten Bad-Reading-Kolumne gewesen ist (s. unten), weil die Storys so schön und böse den amerikanischen Oxycontin Blues singen – und jetzt endlich auf Deutsch erschienen sind. Mit "Heimweh nach einer anderen Welt" (Liebeskind, Übersetzung von Anke Caroline Burger) ist die 1981 in Boston geborene Moshfegh nun auch im deutschen Feuilleton als neuer Superstar angekommen, nachdem sich zuletzt sogar Kinogeher Leif Randt als Leser ihres letzten Romans "Mein Jahr der Ruhe und Entspannung" geoutet hatte.

Das freut mich sehr für meine Lieblingsautorin Ottessa, die ich persönlich leider noch nicht kennengelernt habe (einmal in Berlin knapp verpasst) und auf deren Wall-Street-Journal-Story übers Gin-Trinken ich mal einen kalten Westküsten-Winter lang draußen beim Rauchen auf dem Gartenstuhl rumsaß (unwissend, weil ich erst hinterher beim Wegwerfen der Zeitung sah, dass da was von Moshfegh drin war).

Das Problem mit Moshfeghs Outsider-Protagonisten ist jetzt beim Wiederlesen, dass der Sound weg ist. Denn auf Deutsch wird aus ihrer schlanken, eleganten Null-Bock-Lakonie etwas, das sich wie schlechter Herrndorf liest: Sozialrebellentum um den etwas zu kokett in Kauf genommenen Preis der eigenen Abgefucktheit (wenn Sie wissen, was ich meine: ab und zu würde man sich mehr erwachsene Verstrickungen wünschen). Ich kritisiere ungern Übersetzer (wie Frank Heibert bei Richard Ford oder Eike Schönfeld bei Salinger), weil es eine harte, undankbare Aufgabe ist. Aber auch Anke Caroline Burger leidet unter der Angewohnheit, allzu rechtschaffen und glatt alles lückenlos deutsch einzubügeln – nicht selten auf Kosten von wichtigen Details und Geistesblitzen des Amerikanischen, die sich zugegebenermaßen 1:1 schwer rüberretten lassen.

So zum Beispiel allein schon in der Story "Slumming" (von Burger mit "Ich mische mich unters gemeine Volk" eingedeutscht): Die Ich-Erzählerin kauft sich ein Sommerhaus in einer runtergekommenen Kleinstadt, wo sie asoziale Ferien vom eigenen asozialen Ich als Loser-Lehrerin verbringt, Drogen bei den Zombies vom Busbahnhof kauft und was mit dem Literaturposer Clark anfängt, der an einem kleinen Provinzcollege Internet unterrichtet, aber die Lage nicht checkt. Original: "Clark never got that about the zombies – their supernatural wonder. He was too concerned with his own intelligence to see the bigger picture." Übersetzung: "Clark hat das an den Zombies nie verstanden – ihre wundersame, übernatürliche Kraft. Er war viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt, um das große Ganze zu sehen." – Und was mit der so schön hinterfragten "intelligence"?

Oder: Eine hochschwangere Teenagerin bietet ihre Putzkraft in einem Flyer an. Im Original:

She handed me one of the flyers. It was a hazy photocopy of a handwritten ad that included her name and phone number and a long list of services she provided. "I do laundry. I sweep and mop. I straighten up. I dust. I vacuum", I read aloud. She'd drawn stars around the page, a smiley face at the bottom, at the end of a line that read, "Ask about babysitting."

In der Übersetzung:

Sie händigte mir einen aus. Es war eine unscharfe Fotokopie einer langen, handgeschriebenen Liste der von ihr angebotenen Dienste, zusammen mit ihrem Namen und ihrer Telefonnummer. "Ich wasche ihre Wäsche. Ich fege und putze. Ich räume auf. Ich wische Staub. Ich staubsauge", las ich laut vor. Den Rand der Seite hatte sie mit gemalten Sternchen verziert, darunter ein Smiley, am Ende eine Zeile: "Babysitten auf Anfrage möglich."

– Die Punchline mit dem Smiley vergurkt.

Man stolpert eben gerade nicht über solche Stellen, sondern liest drüber hinweg und fragt sich irgendwann nur, warum alles plötzlich so langweilig ist. Und kommt sich aus lauter Liebe zum Buch – ausgerechnet am Valentinstag – wie ein detailversessener Sprachbulle vor: too concerned with his own German to get the bigger American picture.

Im April erscheint bereits der neue Roman von Ottessa Moshfegh im Original: "Death At Her Hands".


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