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Literatur

Eine Art Wegwerfgottheit – über den neuen Roman von Emma Braslavsky

Anne Hahn
Autorin und Subkulturforscherin
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Anne HahnSamstag, 14.09.2019

Sie war kein empfindungsloser Synthetikschrott, ihr Lexikon war zwar gebraucht, aber dafür differenziert und ausdrucksstark. Sie war eine Art Wegwerfgottheit, im Einsatz gegen die Auswirkungen menschlicher Unzulänglichkeit. Sie war das ungewollte Kind von Gewerkschaften und Jobcentern. Sie war der Verstandesersatz in Zeiten zunehmender menschlicher Geistes- und Gefühlslosigkeit.

Auf Seite 39 des just erschienenen Romans Die Nacht war bleich, die Lichter blinkten von Emma Braslavsky läuft ein weiblicher Roboter mit Boots durch Berlin Kreuzberg. In der nahen Zukunft, die zunächst gar nicht so verschieden von unserer Gegenwart wirkt. In ähnlich herbstnebelgrauen Straßen mit Spätis, Kneipen und Krähen, die Dönerreste aufpicken, schnurren jedoch Postzusteller-Drohnen herum - und es gibt Recheneinheiten. Jeder zweite Mensch ist gar kein Mensch. Wer es sich leisten kann, bestellt eine auf ihn zugeschnittene Partner-Recheneinheit, eher häuslich orientiert, oder sexy, immer devot. Stets verfügbar und auf die eigenen Bedürfnisse optimierbar.

Berlin war längst keine Stadt der Singles und Ausreißer mehr, hier fand man mit der neuen Liebe zu seinem wahren Selbst und zeigte die Originalität seines Wesens durch die Wahl seines Partners. Allein ging abends niemand mehr auf die Straße.

Wer es sich nicht leisten kann, wartet darauf, eine "Ex" zu finden, einen ausgedienten, weggejagten oder verlassenen Roboter. Emma Braslavsky führt ihren Roman mit dem melancholischen Versagertypen Lennard ein, welcher mit der sanften und kochfreudigen "Ex"-Recheneinheit Beata zusammenlebt. Wenn wir Roberta, die Recheneinheit des zweiten Kapitels, kennenlernen - hat sich Lennard gerade zugedrogt im Tegeler See ertränkt. Roberta wird erstellt, um die steigende Suizid-Rate der Stadt zu ergründen, knapp fünfzig Menschen bringen sich in Berlin täglich um. Die Stadt ist mit den Beerdigungskosten überlastet und fügt dem "Suizid-Dezernat" die Recheneinheit Roberta hinzu - ihr erster Fall ist Lennards Selbstmord. "Sie war herzlos und hochempfindlich, aber frei, die erste Ermittlerin dieser Art."

Atemlos jagt uns Emma Braslavsky durch diesen Krimi-Science-Fiction-Babylon-Berlin-Roman, nur verlangsamt in reflektierenden Monologen eines nachdenklichen Roboters, den sein Spiegelbild wundert. Was düster anmutet, enthält heiter lakonische Passagen, wärmt das Herz durch die zunehmende Menschlichkeit Robertas. Einmal dem Plott erlegen, schwimmt der Leser mit unserer coolen Ermittlerin durch die wenigen Tage, welche das Buch auf 269 Seiten umfasst. Ärgert sich mit ihr über spottende Kollegen, dreiste Anmache und Ersatzteiljäger. Freundet sich mit Beata und Goran an, kriecht immer tiefer in das Leben Lennards, seine Notizen, Bilder, Gedanken, Fingerabdrücke, Erinnerungen, Stimme... Hier wird es unheimlich.

Als ich letzten Mittwoch den Film "Play" sah, erwischte mich die Szene (ab 1:17), in der Jennifer ihrer Spielfigur begegnet - eine Siebzehnjährige (übrigens wunderbar dargestellt von Emma Bading) verliert sich in der Welt des Virtual Reality Game "Avalonia" - ebenso eiskalt. Kunst kann dieses Erschrecken vermitteln, das kribbelnde Entsetzen über das Verwischen der Grenzen zwischen Realität und Fiktion.

Emma Braslavsky ist mit ihrem schmalen Roman ein kluger, pointierter Blick auf die nahe Zukunft gelungen, der beunruhigt und zugleich besänftigt - ein feines Meisterwerk! Nicht zuletzt das genial komponierte Finale (das Ende ist leider unwiderruflich - ich hätte mir eine prompte Serien-Verfilmung mit Roberta als Kommissarin gewünscht!) zeugt von der Detailkenntnis und Rechercheleistung seiner Autorin.

Eine Art Wegwerfgottheit – über den neuen Roman von Emma Braslavsky

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Kommentare 2
  1. Cornelia Gliem
    Cornelia Gliem · vor 5 Jahren

    klingt herrlich.

    1. Anne Hahn
      Anne Hahn · vor 5 Jahren

      danke, ist es auch.

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