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Literatur

Ein Wimpernschlag –  die Cornelia Schleime Ausstellung in der Berlinischen Galerie

Quelle: titelgebendes Gemälde der Ausstellung, Ausschnitt, Foto: Anne Hahn

Ein Wimpernschlag – die Cornelia Schleime Ausstellung in der Berlinischen Galerie

Anne Hahn
Autorin und Subkulturforscherin
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Anne HahnSamstag, 17.12.2016

Zuerst begegnete Cornelia Schleime mir als Musikerin. Die legendäre Scheibe „DDR von Unten“ wurde 1982 in Westberlin gepresst, auf der A-Seite die Art-Punkband „Zwitschermaschine“ mit Cornelia Schleime, Ralf Kerbach und Sascha Anderson – auf der B-Seite meine Heros: „Schleimkeim“ alias Saukerle. Kaum jemand unter uns hörte sich die A-Seite an.

Im Herbst 1997 stieß ich im Deutschen Historischen Museum wieder auf Cornelia Schleime. In der Ausstellung boheme und diktatur in der ddr waren unter dem Titel „Bis auf weitere gute Zusammenarbeit“ die großformatigen Abzüge ihrer eigenen Stasiakte zu sehen, konterkariert mit inszenierten Fotografien der Künstlerin. In einem schwarzen Kleid mit weißem Häkelkragen sitzt Schleime zum Beispiel an einem alten Holztisch, darauf thront ein fetter roter Kater, zu ihren Füßen liegt ein Hund. Sie trägt ein Kopftuch mit Aufsatz, einer Krone ähnlich. Über dem Foto ist der Schriftkopf der Polizeidirektion Berlin Mitte zu lesen, die Stempel der BSTU und unten die schreibmaschinengeschriebenen Sätze: „Die Wohnung ist notdürftig mit alten Möbelstücken, was modern wirken soll, eingerichtet. Ihre äußere Erscheinung ist mit der Ausstattung der Wohnung in Abstimmung gebracht worden und ,soll' ebenfalls sehr modern aussehen.“

Diese direkte Auseinandersetzung mit der Überwachung durch Polizei, Staatssicherheit und engste Freunde imponierte mir mächtig. Wer war, wer ist Cornelia Schleime? Und warum schreibe ich im Literaturkanal über sie?

1953 in Ostberlin geboren, überschreitet Cornelia Schleime seit fast vierzig Jahren Gattungsgrenzen, sie schrieb Gedichte und Songtexte, drehte Filme, baute Installationen und fotografierte, musizierte und sang, inszenierte Performances, malt. Eine Lehre als Friseurin, die Ausbildung als Pferdepflegerin und ein abgebrochenes Studium der Maskenbildnerei ergänzen sich mit ihrem Kunststudium in Dresden. Ein Jahr nach dem Studienabschluss führen ihr erweiterter Kunstbegriff und ihre freien wie unkontrollierbaren Auftritte (z.B. mit der Art-Punkband „Zwitschermaschine“) zu einem faktischen Ausstellungsverbot. Sie zieht zurück nach Ostberlin, dreht Super-8-Filme und kann 1984 nach mehreren Ausreiseanträgen in den Westen übersiedeln. Unter Verlust beinah ihres gesamten Werkes. Sie fängt neu an, malt und reist. Schreibt bis heute illustrierte Reise-Tagebücher. Zurzeit ist ihre erste institutionelle Einzelausstellung in Berlin zu sehen, anlässlich der Verleihung des Hannah Höch Preises an die Künstlerin.

2008 erscheint ihr erster Roman „Weit fort“, eine Liebesgeschichte auf 111 Seiten, die zudem unverblümt freilegt, was der Künstlerin widerfuhr, sie prägte.

„Hier hatte es vielleicht begonnen, dass sie Malerin wurde. Vollkommen abgeschirmt verbrachte sie im Alter von sechs Jahren einige Monate in einem Glaskasten. Eine Infektionskrankheit. Die Hygieneverhältnisse im Krankenhaus ließen damals, Ende der fünfziger Jahre, nicht zu, dass die Eltern das Kind besuchen konnten. Ihr Zimmerchen war acht Quadratmeter groß, und drei Wände bestanden aus Glas. Sie starrte unentwegt auf die einzige, schlecht verputzte Wand. Und an den Stellen, an denen Unebenheiten zu erkennen waren, versuchte sie Gesichter und Figuren hineinzusehen...“

Das Vertrauen zu den Eltern, die ihr gesagt hatten, sie wäre nur kurz im Krankenhaus, ging ihr damals verloren. Viel später im Leben, Anfang der Achtziger Jahre, fasst sie Vertrauen zu einem Dichter, der in einem Antiquariat arbeitet. In Dresden. „Dresden saugt alles in sich hinein. Und was im Krieg verloren ging, wird zu einem Tentakel. Er greift in das Bewusstsein, um wenigstens dort wiederaufzuerstehen. Überall gibt es spirituelle Zirkel und Parapsychologen. Tal der Ahnungslosen. Dresden liegt einfach nur zu tief. Das ist der Grund, warum sich die Dresdner mit ihrer Geschichte und ihren Geschichten aufblähen wie ein Ballon, um so aus ihrer Talsohle aufzusteigen. Ihr Dichterfreund muss nicht in die Höhe. Seine Geschichte schwebt schon. Aber das weiß sie noch nicht.“

Cornelia Schleime hat wieder einen Trick gefunden, Geschichte aus ihrer nächsten Umgebung zu bannen, zu verarbeiten und als Kunstwerk aus sich heraus zu schälen. Der Dichter und nahe Freund war Sascha Anderson. In einem Dokumentarfilm wird das erste Aufeinandertreffen der alten Freunde nach Auffliegen des Verrates festgehalten. Anderson hat in der Öffentlichkeit erst nach erdrückender Beweislage zugegeben, Inoffizieller Mitarbeiter des MfS gewesen zu sein. Der Freundin gegenüber (er gab Termine ihrer Abwesenheit durch, um Hausdurchsuchungen zu ermöglichen etc.) fällt das schwer. Schleime schreibt in „Weit fort“ über dieses Treffen in einem römischen Café:

… „Er verliert die Kontrolle. Muss sich neu ordnen. Langsam, wie in Zeitlupe, übersetzt seine Mimik das Erkennen der von langer Hand geplanten Dramaturgie des Films. Aber er sagt nicht: Kamera aus. Er lässt es geschehen. „Ich habe meine Akten gelesen. Es ist ungeheuerlich“ sagt sie zu ihm. Zum ersten Mal bestätigt er den IM-Vorwurf. Spricht, vor laufender Kamera, aus, was er bislang nie zugegeben hat. Brauchte er für seinen Abgang die Show? Und konnte er mit jenen, die es wirklich am nächsten betraf, nicht sprechen, als sie ihn aufsuchten, als erste Vorwürfe im Raum standen. Sich vor ihnen nicht entschuldigen. Was für eine Feigheit!“

Das hätte der letzte Kommentar bleiben sollen, aber in ihrem Dokumentarfilm „Anderson“ nötigt die Regisseurin Hendel Cornelia Schleime, die eine Mitarbeit am Film zuvor abgelehnt hatte, bei einer Pressekonferenz zu einer Aussage. Auf der Pressekonferenz der Künstlerin zu ihrer Ausstellung in Zürich 2013, wohlgemerkt. Mich empörte dieser filmische Überfall mehr als die inszenierte Selbstdarstellung Andersons.

Zum Glück haben wir Schleimes Kunst und Wort. Als ich über Dieter „Otze“ Ehrlich von "Schleimkeim" schrieb und forschte, fiel mir ein Statement in die Hände. Cornelia Schleimes Eindruck des Punk-Musikers, der Anfang der Achtziger bei einem Nachmittagskonzert auf einem Erfurter Hinterhof vor Künstlern seinen Kurzauftritt hatte:

„Ich habe Schleimkeims Schlagzeuger immer bewundert, der durch sein Gedresche den ganze Scheißhaufen DDR zerlegen wollte. Schleimkeim waren, im Gegensatz zu uns, viel punkiger. Gingen wir in den Labyrinthen unserer Arrangements verschollen, so klangen sie, als würden sie gerade ein Schwein schlachten.“

Als wenig später die Musiker der Berliner Band „Namenlos“ verhaftet werden, eine Textzeile lautete „MfS = SS“, kümmert sich Schleime um die minderjährige Mita Schamal, ermutigt sie nach der Haftentlassung, künstlerische Ausdrucksmittel zu erproben. Dreht mit dem Super-8-Film „Das Puttennest“, in dem Schamal und Erfurter Punks auftreten, ein verstörend melancholisches Zeugnis des Zwischenstandes. Die DDR als surrealer Wartesaal.

2007 tritt Schleime im Dokumentarfilm „Too much Future“ auf, der sechs DDR-Punks porträtiert und sagt gleich eingangs, „also nen Film über ne Bewegung muss man machen, da wo die Bewegung ist! Und wenn man einen Film im Nachhinein über ne Bewegung macht, ne Bewegung beschreibt – in der Beschreibung ist schon der Affe begraben!“

So tritt sie uns bis heute entgegen, eine stolze Künstlerin, die mit überlangen Zöpfen einen Kinderwagen durch Stadt-und Traumlandschaften zieht, zart getuschte Mischwesen kreiert, riesige Porträts mit verschwimmend weißen Hintergründen auf Leinwände bringt. Ätzende Stoffe auf ihre Farben legt und den Prozessen freien Lauf lässt. Fotografien übermalt, Giraffen in Spitzenstrümpfen tanzen lässt. Die Werkschau in der Berlinischen Galerie nimmt uns mit auf eine Reise durch ihr Oeuvre, die Ausschnitt bleiben muss und anregt, mehr zu erfahren, zu lesen, zu sehen von dieser Ausnahme-Künstlerin.

Zur aktuellen Ausstellung ist im Kerber-Verlag ein Katalog erschienen, der in schmalem Umfang einen ausgezeichneten Einblick in das Schaffen der Künstlerin bietet.

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Kommentare 1
  1. Frederik Fischer
    Frederik Fischer · vor 8 Jahren

    Vielen Dank für den Hinweis. Mit dieser Biografie muss ich mich näher befassen.

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