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Das Ende der diplomatischen Geduld
Die hohe Kunst der Diplomatie ist wohl vor allem, Geduld zu haben. Immer wieder dort anzusetzen, wo es schwierig ist, Krisen entstehen könnten oder es schon sind, Schlimmeres zu vermeiden. Verhandlungsgeschick nennt man das wohl auch. Geduld ist nicht unbedingt die große Stärke von Friedericke Andermann, von allen nur Fred genannt. Während ihrer Karriere beim Auswärtigen Amt hat sie sich jedoch durchaus damit ausgestattet. Diplomatie ist nach wie vor ein eher männlich besetztes Metier und Fred ist sich dessen durchaus bewusst. Ihre neue Stelle in Montevideo sieht sie nicht eben als Möglichkeit, Großes zu leisten.
"Und nun war ich in einem Land auf Posten, wo Kühe auf endlosen Weiden lebten und stets die Asche von Grillkohle durch die Luft wirbelte. Wo Homo-Ehe, Abtreibungen und Marihuana legal waren. Wo die Leute grundsätzlich nur eine Hand frei hatten, weil sie in der anderen den Matebecher hielten, während im Nachbarstaat die Revolution losbrach. Ausgerechnet in dieses Paradies hatte man mich geschickt. Sechzehn Flugstunden von der Zentrale entfernt, da kam selten mal jemand vorbei, kein Minister, keine Delegation, die sich an diesen friedlichen Flecken verirren würden. Ich hätte den besten Job der Welt machen können, niemand hätte es gemerkt. Von Gestaltungsmöglichkeiten sprachen die Kollegen gern, und die Personalabteilung hatte mir zu der einzigartigen Möglichkeit gratuliert. Mir blieb nichts, als sie zu nutzen."
Doch erstens kommt es, zweitens ja meist anders als man denkt. Und so hat Fred viel mehr zu tun, als das große Fest zum Tag der deutschen Einheit in der Botschaft vorzubereiten. Eine junge deutsche Touristin, ihres Zeichens Instagramerin und Tochter einer in der Presselandschaft sehr wichtigen Frau, wird vermisst ...
Lucy Frickes Roman "Die Diplomatin" ist das erste Buch von ihr, das ich gelesen habe. Es wird nicht das letzte sein, das ist schon einmal gewiss. Bereits die ersten Seiten haben mich durch den äußerst lässigen Ton, der die Tiefe ihrer Aussagen nicht verschleiern will, in Beschlag genommen und schnell in die Geschichte kommen lassen. Wie schon bei anderen Romanen von anderen Autor:innen, empfinde ich auch hier die angenehme Mischung des sprachlich frischen Tons und der inhaltlichen Aktualität und Tiefe als sehr wohltuend. Gerade in Zeiten wie unseren, in denen in der Ukraine ein Krieg wütet, der durch nichts rechtzufertigen ist und den unsere Regierung meiner Meinung nach nicht ausreichend entschlossen zu beenden versucht, waren die Geschichte um Fred und die Möglichkeiten oder vielmehr Unmöglichkeiten von Diplomatie mein Leseanker.
Während also Fred versucht, das Ereignis des Jahres in der deutschen Botschaft in Montevideo ohne ihren "zweiten Mann" zu organisieren, der laut seinem Arzt allerhöchstens leichte Gartenarbeit verrichten solle, um den diagnostizierten Burn-out zu kurieren, hat sich eine junge Frau auf unvorsichtige Pfade begeben und ist seitdem verschwunden. Rasch geht eine Meldung bei der Mutter ein, es geht also um Entführung. Der Entführer hat ein privates Anliegen und ist offensichtlich gefährlich. Dass sich die junge Deutsche in solch eine prekäre Lage gebracht hat, verärgert Fred, aber ihr ist durch die vielen Auslandsaufenthalte auch klar, dass viele Touristen, gerade aus Deutschland, häufig zu vertrauensvoll sind.
"Deutsche Touristen waren ein Elend. Ließen sich schon im Taxi das Portemonnaie abnehmen, ritten auf dem Esel durch IS-Gebiete, checkten mit einem Rucksack voller Drogen für ihren Rückflug ein oder schlenderten mit einer Rolex am Handgelenk durch irgendeine Favela, um am Ende dann unsere Notfallnummer anzutelefonieren. Jetzt war ein Instagram-Star in einem Irish-Pub abgestürzt, und der Name ihrer Mutter stand regelmäßig in der Zeitung, hinten im Impressum. [...] Ausgerechnet ein Irish Pub, dachte ich, ein Ort, den es überall gab, der überall gleich aussah und nie von einem Iren betrieben wurde."
Vieles, was Fricke Fred so unverblümt sagen lässt, ist wahr. Leider, möchte man manchmal sagen, doch so wie sie es verpackt, ist es amüsant und bleibt im Gedächtnis, so sehr, dass man selbst tunlichst darauf achtet, solche Dummheiten nicht zu machen. Ich bin in meiner Jugend und dem frühen Erwachsenenalter auch viel verreist, teils mit dem Zug, häufig mit dem Motorrad, nie außerhalb von Europa, dazu reichten Zeit und Geld nicht. Ich hoffe, ich habe mich dabei nicht halb so dämlich verhalten. Nicht aus Angst, sondern aus Respekt vor den Menschen und dem Land, das ich kennenlernen wollte.
Zwei Jahre nach der Geschichte mit dem verschwundenen Instagram-Star in Uruguay lässt Fricke den zweiten und thematisch wichtigeren Teil des Romans ansetzen. Jetzt ist Fred, nach einer kurzen Versetzung in die Zentrale, nach Istanbul beordert worden. Die deutsch-türkischen Verbindungen sind schwierig, wie in der Realität, seit der einst real laizistische Staat durch seinen derzeitigen Regierungsführer den Islam faktisch der Regierung untergeordnet hat. Da aber die Verbindungen der beiden Staaten seit den 1960er Jahren doch recht eng sind und es viele Menschen gibt, die beide Staatsbürgerschaften innehaben, ist gerade hier die Diplomatie ein nach wie vor wichtiger Bereich der Außenpolitik. Zumindest was die Informationslage angeht. Einwirkungsmöglichkeiten scheint es wenige zu geben, Kleinigkeiten können schon zu einem diplomatischen Problem werden. Pragmatisch musste man sein, um keinen Scherbenhaufen zu hinterlassen, wie Fred im Gespräch mit ihrem Freund und Amtskollegen Philipp feststellt.
"Ich bin jetzt seit einem Jahr hier", sagte ich, "und eines habe ich gelernt: Es reicht nicht, vom Schlimmsten auszugehen. Man muss mit dem Unvorstellbaren rechnen."
"Aber daran haben wir uns doch längst gewöhnt."
"Natürlich, wir gewöhnen uns an alles."
Es war genau dieser Pragmatismus, der ihn absicherte, der ihn Stufe für Stufe nach oben gebracht hatte. Eine Eigenschaft, die mir nicht gegeben war, ich hatte sie mir mühsam anerziehen müssen."
Und so nehmen die Dinge ihren Lauf. Freds Geduldsfaden reißt und während Fricke mir langsam und nach und nach gezeigt hat, was die Diplomatin auf sich nimmt, wie klug und leidenschaftlich sie vorgeht, um Menschen zu helfen, die nichts Schlimmes verbrochen hatten, aber in die Fänge der türkischen Justiz geraten sind, einfach weil sie frei leben wollen, wurde mein Respekt für Fred immer größer. Sie ist der buchstäbliche Sand im Getriebe, der die Unmenschlichkeit des Systems aushebelt. Sie geht ein persönliches Risiko ein, weil sie an gewisse Werte glaubt. Zusammenbrüche erlaubt sie sich nur im Privaten, wo sie Verbündete findet. Denn viele Menschen glauben an die gleichen Werte wie sie.
Frickes kluger, spannend aufgebauter Roman, der Wahrheiten auf vielen Ebenen anspricht, ohne moralinsauer zu werden, war ein Glücksfall für mich. Gerade in einer Zeit, in der ich kaum lesen kann, weil mir vieles zu profan, zu unwichtig oder auch zu egoistisch vorkommt, hat sie mich versöhnt mit dem Lesen. Sprachlich und strukturell ohne Fehl und Tadel ist Fricke hier etwas gelungen, was es für meine Begriffe viel öfter geben sollte: Eine gute Mischung aus Umsetzung und Thematik, die Wichtiges in den Fokus stellt, Diskussionen anwerfen kann und die Lektüre trotzdem eine freudvolle sein lässt. Große Empfehlung!
Eine Rezension von Brigitte von Freyberg, in der yourbook.shop-Community bekannt als Bris Buchstoff
Quelle: Lucy Fricke Bild: Claassen yourbook.shop
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