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Literatur

Die Chroniken von Nixonia

Quelle: "Nixonland"

Die Chroniken von Nixonia

Felix Lorenz

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Felix LorenzFreitag, 10.02.2017

If the people believe there’s an imaginary river out there, you don’t tell them there’s no river there. You build an imaginary bridge over the imaginary river. — Advice to Richard Nixon from Nikita Khrushchev

Um die aktuellen Entwicklungen in der amerikanischen Politik zu verstehen, werden gerne Parallelen in der Geschichte gesucht. Mittlerweile scheint alles möglich zu sein: Von der schlichten Berlusconi-Analogie über den tumben Hitler-Vergleich bis zum raffinierten Verweis auf den einen oder anderen römischen Soldatenkaiser; oder man bedient sich in der jüngeren amerikanischen Geschichte und erinnert an Demagogen wie Joseph McCarthy und George Wallace, an den Fiskalpopulisten Ross Perot und schließlich an die Großgestalten des konservativen Mainstreams, Richard Nixon und Ronald Reagan. Viele dieser Vergleiche leben nicht nur von einer mehr oder weniger übertriebenen Dramatisierung, die der Analyse hinderlich sein kann, sie sind auch meistens etwas zu einfach geraten, denn die Geschichte wiederholt sich nicht, weder als Tragödie noch als Farce.

Es ist vielleicht hilfreicher, die Geschichte autoritärer Strömungen und der mit ihnen verbundenen politischen Akteure so zu betrachten, wie man die Kunstgeschichte betrachten kann: Jeder größere Künstler ist zum Teil sui generis, aber man kann in ihm immer auch die Spuren seiner verschiedenen Einflüsse erkennen. Trump ist nicht Nixon oder Wallace, so wie Jeff Koons nicht Andy Warhol ist, aber der eine wäre ohne den anderen kaum denkbar. Aus den Vorgängern kann man ein Playbook herauslesen, aber deshalb muss es noch nicht auf die gleiche Weise ausgespielt werden.

Der Brunnen der Vergangenheit ist eine Fundgrube, aus der man allerhand nach oben ziehen kann. Eine besonders reiche findet sich in Gestalt von Rick Perlsteins Chroniken des amerikanischen Konservatismus der Nachkriegszeit. Bisher hat er drei Bände fertiggestellt, ein vierter ist in Arbeit. In “Before the Storm” (2001) verfolgt er die Entwicklung von den späten 1950ern bis Mitte der 60er, in “Nixonland” (2008) weiter bis zur Präsidentschaftswahl 1972 und in “The Invisible Bridge” (2014) von da an bis ins Jahr 1976.

Alle drei Bände sind sehr umfangreich, ihnen liegt eine ausführliche Quellenarbeit zugrunde und trotzdem liest sich so ein Band sehr schnell weg, denn Perlstein ist einer der Historiker, die auch erzählen können (und wie!), und an manchen Stellen bekommt man den Eindruck, dass man es eher mit einem Doku-Roman zu tun hat. Perlstein bezeichnet sich selbst nicht als Konservativen, aber seine Perspektive ist auch nicht auf Kritik ausgelegt, sondern auf die Darstellung, wie Graswurzelbewegungen und ambitionierte Einzelpersonen im Zusammenspiel die politische Geschichte gestalten. Er nimmt historische Personen als Charaktere und behandelt sie mit Empathie, aber er unterschlägt dabei nichts: Eine Empathie, ohne die Distanz zu verlieren, so dass man das Handeln besser versteht, aber nicht von ihm vereinnahmt wird. Dabei bedient er sich in seiner Präsentation vieler sprachlicher Zeugnisse, oft mit kleinen pointierten Asides, und hat ein gutes Gespür für szenische Darstellungen.

Eine der vielen Geschichten, die man in “Nixonland” nachlesen kann, ist Ronald Reagans Aufstieg zum Gouverneur von Kalifornien. Dabei war eine seiner größten Stärken, dass er chronisch unterschätzt wurde, weil er als ehemaliger B-Movie-Darsteller und Schauspielgewerkschaftler keine Erfahrung im politischen Betrieb hatte und Fehler zu machen schien, die andere nicht machten. (Und kommt einem das nicht bekannt vor?) Sein Vorgänger als Gouverneur, Pat Brown, hielt ihn für ein Leichtgewicht:

Under his touch, the biggest state in the union had blossomed into a kind of bourgeois utopia. Let the actor have at him: the middle class knew better than to fall for that. He had built the ladder upon which they had climbed. [...] Bring him on indeed.

Aber Reagan schaffte es, Themen für sich zu reklamieren, die seine Gegner noch gar nicht wahrgenommen hatten, und gewann damit 1966 die Wahlen: “by providing a political outlet for the outrages that, until he came along to articulate them, hadn’t seemed like voting issues at all.” Nixon konnte von diesen Techniken lernen und bald darauf zum Präsidenten aufsteigen – weil er es schaffte, sich mit einer apokalyptischen Rhetorik als Schutzpatron der amerikanischen Mittelklasse zu profilieren.

Die jüngere amerikanische Geschichte erscheint wie ein alle vier bis acht Jahre wiederkehrender Versuch, jemanden zu wählen, der nicht der Washingtoner Elite angehört. Wer Erfolg haben möchte, muss als jemand gelten, der von außen kommt – egal ob das zutrifft –, und gleichzeitig für die Mehrheit spricht. Nixon hat nie als herausragend gegolten, und gerade deshalb konnte er die Durchschnittsbevölkerung ansprechen.

Das politische Spiel und die Mechanismen der Macht kann man am besten verstehen, wenn man sie sich nicht nur in den Konflikten der Gegenwart ansieht. Die 1960er sind nah genug, dass wir uns in ihnen wiedererkennen können, ohne uns in jedem Detail gemeint zu fühlen. Noch heute unabgeschlossene politische Auseinandersetzungen wurden damals zu einer Eruption gebracht, die die Konfliktlinien offen zu Tagen treten ließ. Rick Perlstein hat sie in seinen Büchern minutiös nachgezeichnet. Selten habe ich so ein Gefühl dafür bekommen, wie der politische Prozess funktioniert, wie es ist, das Spiel zu spielen.

How did Nixonland end? It has not ended yet.

Rick Perlstein: Nixonland (Scribner: 2009)

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