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Literatur

Bücherbox - Debüts: Wunder wird es hier keine geben

Quelle: antike Grabstätte im Dinarischen Gebirge

Bücherbox - Debüts: Wunder wird es hier keine geben

Anne Hahn
Autorin und Subkulturforscherin
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Anne HahnMontag, 24.05.2021

Er verspürt Erleichterung, sperrt die Tür auf und betritt seine Wohnung. Eine Welle unendlicher Freude schlägt Bender entgegen. Alles, was er sieht, freut sich über ihn. Die Wände würden sich bewegen, wenn sie könnten. Der Spiegel zeigt ihm fröhlich das Bild eines Versagers. Dann bricht auch beim Telefon die helle Freude aus, es läutet.

Alles bleibt unbestimmt. Bender, ein Mann mittleren Alters ohne Vornamen, lebt in einer europäischen Stadt. Als wir mit diesem Text-Auschnitt das fünfte Kapitel nach gut fünfzig Seiten betreten, und damit Benders sich an ihm erfreuende Wohnung, haben wir seltsame Dinge mit ihm erlebt. Sie betreffen Geräusche im Hausflur, ein Klingeln ohne sichtbaren Verursacher, eine Viggo Mortensen-Figur auf dem Boden des Wohnungsflurs, einen Friedhof, diffuse Gestalten, Gewalt und latente Angst.

Die Fragilität einer zunächst gewöhnlichen Handlung erzeugt Goran Ferčec in seinem gerade im Residenz-Verlag auf Deutsch erschienenen Roman Wunder wird es hier keine geben durch eine außergewöhnliche Sprache. Durch Ironisierung (beim Telefon bricht helle Freude aus) stockt der Lesefluss, greift sich die Leserin so manches Mal die Stirn. Was passiert hier? Sätze, die aus dem Rahmen springen, ohne Pathos weiter weisen als das Geschehen an sich. Es ist vordergründig die Geschichte eines einsamen Mannes, der nach innen wie außen lauscht. Wir erfahren nicht, was ihn zu dem gemacht hat, was er ist. Doch die Spannung ist greifbar. Knapp hundert Seiten vergehen, bevor Bender dorthin zurückkehrt, wo vor fünfzehn Jahren Bürgerkrieg war - und er könnte nur schwer erklären, "was eigentlich passiert ist, außer dass es genug Tote gab, um eine Gewerkschaft zu gründen."

Mit dem neunten Kapitel folgen wir Bender per Flugzeug in das Land, per Zug bis in die Berge. Dort lebt der Vater, der Anrufer, der Rückrufer. Die Mutter Benders ist verschollen, der Sohn soll kommen. Der Sohn kommt. Die nächsten zwei Drittel des 285 Seiten starken Romans erzählen vom Krieg, ohne ihn auszumalen. Das ist die Stärke dieses späten Bürgerkrieg-Romans. Sparsam gesetzt fallen die Worte Kroate, Serbe und Grenze. Kein Blut, kein Metzeln wird beschrieben, sondern das Fehlen.

Es fehlen die Nachbarn. Benders Vater und seine Mutter lebten mit den serbischen Nachbarn in einem Dorf in den Bergen, bis der Krieg kam. Jetzt ist auch die Mutter verschwunden und Bender der einzige Mensch, der wiederkommt. Außer einem merkwürdigen "Burschen", der schon mit ihm im Zug saß und dort auftaucht, wo Bender abtaucht. Zwischen diesen beiden flirrt die Luft. Bender bleibt im toten Dorf und tastet sich an das Geschehen, an das Geschehene. Schweigt mit dem Vater. Bis beide aktiv werden und den Verschwundenen ein absurdes Denkmal errichten.

Vater geht leichtfüßig wie Mary Poppins auf Zehenspitzen von einem imaginären Zimmer zum nächsten. Vater schaut Bender an, mit einem Blick, der von einem autistischen Vergnügen erfüllt ist. Bender könnte schwören, dass Vater ihn in diesem Moment nicht erkennt. Er verhält sich, als wäre das Haus, das mit Hilfe von Holzbalken auf dem Boden gezeichnet wurde, das Letzte, was dort noch gefehlt hat, wo alles von der Befreiung weggeschwemmt worden ist.

Goran Ferčec, der 1978 in Koprivnica (Kroatien) geborene Theaterautor, Dramaturg und Essayist, lebt heute in Zagreb und Rijeka. Sein Debüt-Roman Wunder wird es hier keine geben („Ovdje neće biti čuda“) erschien bereites 2011 auf Kroatisch und wurde mit Unterstützung durch TRADUKI von Mascha Dabić wortwitzig und einfühlsam ins Deutsche übertragen (die gelungene Übersetzung macht mir Lust auf den Roman Reibungsverluste Mascha Dabićs). Goran Ferčec führt Bender weiter zurück, in sparsamen Dialogen und theatralen Szenen montiert er Erinnerungsarbeit und den Ansatz von Bewältigung. Lässt jedoch einen hauchdünnen Schleier über allem liegen, der im schönsten Sinne Kunst ergibt. Ich sah Bender im Nebel des Dinarischen Gebirges stehen und nachdenklich schauen wie Leon Lucev in The Load, einem der leisesten und für mich besten Anti-Kriegsfilme der letzten Zeit. 

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Kommentare 1
  1. Barbara Remus
    Barbara Remus · vor mehr als 3 Jahre

    Danke für diesen interessanten Tipp.

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