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Spionin, Detektivin oder Archäologin wollte ich eigentlich werden. Dann reichte es nur zur Schriftstellerin. Zumindest kann ich seitdem meiner Passion im Recherchieren nachgehen. Bislang hielt ich mich dazu in verschiedenen Ländern, wie Portugal, Österreich, USA oder Japan auf. Mein letzter Roman "O.", eine Neuschreibung der Odyssee aus weiblicher Perspektive, ist im März 2020 erschienen. Außerdem gibt einen neuen Essayband mit dem Titel "Erfundene Heimaten". Zurzeit arbeite ich an einem Projekt, das sich mit der Darstellung von Historie in aktuellen literarischen Werken beschäftigt.
Im Nachhinein mutet es grausam an, dass der letzte Roman von Autorin Gabriele Tergit, die vor dem Zweiten Weltkrieg noch so erfolgreich war, in den 60er Jahren von Verlagen abgelehnt wurde. Das aufschlussreiche Buch mit dem Titel So war's eben zeichnet die Veränderungen Berlins vom Ersten Weltkrieg bis zum Aufstieg der Nationalsozialisten, zur Verfolgung und Vertreibung jüdischer Intellektueller sowie deren Dahindämmern im Exil nach. Damit hielt Tergit der Gesellschaft einen Spiegel vor, in dem sich nach Kriegsende niemand betrachten wollte. Also wurde die nach ihrer Flucht in London lebende Journalistin, Autorin, Chronistin jener bewegten Zeit als nicht mehr „modern“ genug erklärt. Aus heutiger Perspektive liest sich So war's eben jedoch frisch und mitreißend. Vor allem Tergits telegrammartiger Stil, die kühnen filmischen Schnitte packen Unmengen von Wissen in kurze Sentenzen.
Genial z. B. die Szene eines Theaterbesuchs: Der Kaiser in seiner Loge; auf der Bühne Josef Kainz, der Edward II. spielt. Die auf der Bühne gesprochenen Sätze eines dem Untergang geweihten Herrschers werden mit abwehrenden Reaktionen des wirklichen Regenten darauf gegengeschnitten.
Vor allem zeichnet sich der Roman durch viele Details aus, welche Lesern die damalige Atmosphäre näherbringen, z. B. als die sich in finanziellen Nöten befindliche Mutter eines Sohns in Offiziersausbildung erfährt, dass es in diesen Kreisen üblich sei, Handschuhe nur einmal zu tragen und dann wegzuwerfen. An anderen Einzelheiten manifestiert sich der Niedergang des Militärs und des Adels gegenüber den durch schnelle Geschäfte reich Gewordenen. Ihnen wird mit Verachtung und einem Pochen auf althergebrachte Werte entgegnet. Klassenunterschiede werden im Roman durch die genaue Beschreibung von Kleidung, Möbeln und Essgewohnheiten deutlich. Die finanzielle Krise zeigt sich in veränderten Wohnverhältnissen. Die verarmten Besitzer von Herrenhäusern und Villen müssen jetzt Zimmer vermieten, so dass sie von den Einnahmen leben können. Die jüdischen Verfolgten rücken immer näher zusammen. Alte Kleider werden in schlechter werdenden Zeiten aufgetragen und ständig umgeändert. Die Schilderung dieser kleinen Verschiebungen, welche sich von Tag zu Tag häufen, machen die Leserinnen zu Augen- und Ohrenzeugen.
Die Intellektuellen, Journalisten und Autorinnen Berlins, unter ihnen Tergits Alter Ego Grete, realisieren ihre Bedrohung nicht sogleich. Als etwa Hitler Reichskanzler wird, stört diese Nachricht eine sich unterhaltende Gesellschaft nur kurz. Im nächsten Satz geht es wieder darum, welche Kritiker Rezensionsexemplare des neuen Romans erhalten sollen.
Zeitstimmung schaffen auch einige im Original zitierte Passagen aus dem Goebbels-Propagandablatt „Der Angriff“, die heute nahezu geistesgestört klingen.
Flucht und Exil verlangen den Protagonistinnen schließlich viel Energie ab, viele machen im Ausland mit ihrem Kampf gegen die Nationalsozialisten weiter, viele zweifeln:
„Was macht ihr hier? Propaganda für die Überzeugten? Wer liest diese Blätter? Wir. Sehr hübsch die alten Freunde zu lesen. Aber hat es einen Sinn?“
Manche geben auf, wie der Verleger Birnbaum. Immer wieder floh er: Von Berlin, nach München, nach Paris. Immer wieder fing er neu an. Und immer tauchten die Nazis dort auf, wo er glaubte, sicher zu sein. Dann in London hat er keine Kraft mehr und bringt sich um.
Durch die aus vielen Perspektiven erzählte Handlung folgen wir der Journalistin Grete, die schließlich ebenfalls ihren Job verliert und über den Umweg Prag in London landet. Nach dem Krieg reist Grete in die USA, wo in einem Wohnhaus an Manhattans Upper Westside überlebende Bekannte auftauchen und berichten, wie es ihnen nach der Flucht aus Berlin ergangen war. Diese Passagen sind herzzerreißend, da sie vor allem im Aufzählen von verlorenen Menschen, Wohnungen, Berufen und gesellschaftlichen Positionen bestehen. Schon möglich, dass diese Bitternis im Trubel des Wiederaufbaus in den Nachkriegsjahren Deutschlands nicht erwünscht war. Für heutige Leserinnen ist der Roman aber ein Gewinn. Dank an den Schöffling-Verlag, der Tergits Werke nun wieder zugänglich macht.
Gabriele Tergit: So war es eben. Schöffling-Verlag 2021
Andere Tergit-Romane: Käsebier erobert den Kurfürstendamm 2017, Effingers 2019
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Danke.
Eine Wieder- und Neuentdeckung ist im Gange.
Seit einiger Zeit werden in Berlin Spaziergänge auf den Spuren von Tergit & Kolleginnen angeboten. Ein Beispiel:
https://www.literaturh...