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Wie man ein Kind ohne Geschlechterzuweisung aufzieht

Theresa Bäuerlein
Journalistin. Autorin. Seit (gefühlt) schon immer.
Zum Kurator'innen-Profil
Theresa BäuerleinDonnerstag, 14.01.2021

Kyl und Brent haben sich etwas ziemlich Mutiges getraut: Sie haben ihrem Kind bei der Geburt kein Geschlecht zugewiesen und versucht, es weder als Jungen, noch als Mädchen zu erziehen, bis es seine eigene Entscheidung trifft. Das ist natürlich gar nicht so einfach. Gar nicht so sehr des Kindes wegen, das gut klarzukommen scheint, sondern wegen der Umgebung, die sich darauf einlassen muss. 

Eine Freundin der Mutter sagt ihr allerdings etwas sehr interessantes: Sie erzählt, am Anfang hätte sie gedacht, genderneutrale Erziehung sei wahnsinnig anstrengend. Aber eigentlich finde sie es vielleicht sogar noch anstrengender, ihre Tochter nicht in Mädchenklischees pressen zu lassen. 

Übrigens: Zoomer, das Kind von Kyl und Brent, hat sich mit vier Jahren tatsächlich selbst einem Geschlecht zugeordnet. Die Autorin verrät aber nicht, welches es ist. 

Wie man ein Kind ohne Geschlechterzuweisung aufzieht

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Kommentare 9
  1. Cornelia Gliem
    Cornelia Gliem · vor mehr als 3 Jahre

    Soweit ich es verstanden habe, hat ersie selbst mit 4 sich zugeordnet. Ich habe meinen Piaget etc. so in Erinnerung dass das auch ziemlich genau die zeit ist in der ein Kind "seine" Geschlechtlichkeit und die der anderen anfängt zu erkennen. Und so witzig das mit den gummibärchen unten klang: Kinder kenne ich eigentlich in den ersten Jahren und auch oft darüberhinaus so: Mädchen Jungs unterscheiden sich im Grunde nur im Namen und vielleicht noch der Kleidung. Das was die erwachsenen darin zu sehen glauben, ist für Kinder oft unverständlich. Mir ging es als Kind jedenfalls so. klar es gab penisse und "nicht penisse", aber sonst?
    Natürlich gab es auch bei uns rollenklischees - aber kurioserweise erscheint es mir damit in den letzten wasweisich 15 Jahren weitaus schlimmer geworden zu sein. Rosa-Blau-Zuordnungen fielen und fallen mir heute viel mehr auf. In unserer Kindheit hat vielleicht kaum ein junge was rosanes getragen - aber heute scheinen sich die Mädchen nicht mal mehr trauen zu können, kein (!) rosa zu tragen!
    nun gut.
    ich kann diese spezielle Erziehung und diese Familie mit Zoomer nicht beurteilen.
    halte aber die Idee dahinter für ...schön. Für rührend. ja Kinder brauchen eine stabile basis. Aber ob das unbedingt bedeuten muss, es immer schon binär zu erziehen? kein Druck wäre doch ein anfang. Ein Name der die Wahl lässt. Eine Familie die nicht "du bist halt ein richtiger Junge/ du bist wirklich ein süßes Mädchen" verbreitet. Ein Kind dem man vermittelt dass es sein kann wie es möchte. Du kannst ein cooler Junge sein und mit Puppen spielen. du kletterst auf Bäume und machst dich gern schmutzig? Dann bist du eben so ein Mädchen :-).
    Offensichtlich scheint so eine Entwicklung ja doch zu einer eindeutigen Entscheidung zu führen was das 'eigene' Geschlecht betrifft. Eigentlich war das auch zu erwarten: nur eine kleine Minderheit der Menschen fühlen sich im eigenen Körper falsch (und von denen vielleicht einige auch nur wegen der für sie unangenehmen Rollenzuschreibungen). wenn also der Großteil sowieso cis ist/wird, wieso diesen/uns nicht beibringen, dass man sich voll als Frau fühlen kann und dennoch nicht dem Klischee 'Frau' entsprechenden muss?
    puh. :-) ich habe gerade beim Schreiben meine Gedanken. ..vervollständigt. meaculpa

  2. Gabriel Koraus
    Gabriel Koraus · vor fast 4 Jahre

    Bitte nicht missverstehen, ich bin kein großer Freund klassischer Geschlechterrollenstereotype, aber die in diesem Artikel dargestellte Erziehungsmethode erscheint mir mehr als fragwürdig.
    Marcus hat da einiges schon adressiert, ich möchte 2 Punkte etwas nachschärfen.

    Der erste ist ziemlich eindeutig entwicklungspsychlogischer Natur: Kinder brauchen u.a. emotionale und kognitive Stabilität und Sicherheit (nach aktuellem Erkenntnisstand jedenfalls). Dies bedeutet klare Strukturen, sowohl verhaltenspraktisch, als auch semantisch. Wenn ein Kind mit Denkmustern und Sinnordnungen groß wird, die in eklatantem Kontrast zur erlebten Alltagswirklichkeit stehen und wenn es jene Alltagswirklichkeit als relativ stabil, die familieninterne Wirklichkeit jedoch als volatil erlebt, kann ich mir das nicht mit einem guten Ende vorstellen. "Labormaus" trifft es ziemlich gut.
    Sich selbst für ein Geschlecht entscheiden?! Mit 4?! Welch krasse fundamentalepistemische Urteilskompetenz wird denn diesem im besten und respektvollsten Wortsinn unmündigem Kind zugemutet?
    Denn: diese Frage rührt an der ureigensten Selbstdeutung des Menschen. Wenige können überhaupt von sich behaupten, eine solche Entscheidung wahrlich ausbalanciert getroffen haben zu können.

    Mir scheint hier eher das Bedürfnis der Eltern dominant zu sein, das Kind frei von sonstwelchen destruktiven Narrativen und Frames zu erziehen.
    Aber sich mit eben diesen auseinanderzusetzen und sich ggf. von diesen zu emanzipieren muss doch immer auch Prozess und Resultat langjähriger, bewusster Reflexion und Persönlichkeitsentwicklung sein, auf der Basis eines stabilen Selbstbewusstseins im Idealfall. Ich kann mein Kind doch liebevoll und achtsam erziehen und ihm so sämtliche Tools mit auf den Weg geben, um derartige Entscheidungen einst treffen zu können.

    Denn hier kommt der zweite Punkt ins Spiel: ohne diese grundsätzliche Stabilität, glaube ich, gelingt gar nichts. Ich muss wissen, wovon ich rede und denke. Ich brauche einen Standpunkt, um einen Standpunkt zu negieren.
    Also Deutungssicherheit. Sonst könnten sich Menschen überhaupt nicht mit der Kontingenz des Daseins in konstruktiver Weise auseinandersetzen.
    All unser Denken und Handeln basiert notwendigerweise auf vordeterminierten Konzepten (die natürlich im Laufe der Persönlichkeitsentwicklung hinterfragt werden können). Defacto ist ja bekanntlich die gesamte soziale Wirklichkeit mit all ihren symbolischen Formen eine Art Konstruktion. Wir reproduzieren und operieren mit Begriffen, deren Bedeutung sich unserem Zugriff entzieht. Bei unzähligen anderen Denkmustern tun dies die Eltern im gepiqten Artikel ja auch. Nun ist aber die Geschlechtsidentität zumindest in der aktuellen Version sozialer Wirklichkeit eine existenzielle und zentrale Ordnungskategorie.
    Diese Ordnung im Laufe des Lebens partiell zu hinterfragen, ist Teil kultureller Dynamik.
    Sie aber einem Kleinkind vorzuenthalten ist, meiner bescheidenen Meinung nach, schlicht verantwortungslos, ja eigentlich fanatisch.

  3. Marcus von Jordan
    Marcus von Jordan · vor fast 4 Jahre

    Wahnsinnig interessant. Unbedingt lesen.

    Aber - omg...das macht mich irgendwie echt fertig und mindestens 5x hab ich mir beim Lesen gedacht "ist euer Kind eure verdammte Labormaus oder was?".

    Irgendwie klingt das theoretisch alles sehr hübsch, aber im Artikel finde ich klingt das an vielen Stellen furchtbar verkopft und übergriffig...

    " Zoomer understands that some girls have penises and some boys have vulvas, and some intersex kids have vulvas and testes. Zoomer knows some daddies get pregnant and some nonbinary parents are called Zazas. (...) Because Zoomer has been raised with a focus on inclusivity, they have an instinct to make everyone feel welcome. When a character on a kids’ show says, “Hello, boys and girls!” Zoomer adds, “And nonbinary pals!”

    ...bei einer/em 4Jährigen? Echt?

    Irgendwie stelle ich mir vor, dass das auf jeden Fall zu viel Irritation und Verunsicherung führt und gebe nicht viel darauf, wenn die Experimentleiterin / Mutter das Gegenteil beteuert. Andere Kinder werden doch fragen und "they" wird ja sehen, dass es diese zwei Gruppen gibt und vielleicht einen noch viel größeren Druck verspüren, sich zu entscheiden?

    Das hier entgegen klingt wieder sehr schlüssig für mich:

    "A friend of mine recently told me when she first found out how we were going to parent, she thought, That’s going to be endless work for Kyl. “But now I actually think that you are so lucky and had some great foresight,” she said. “I spend so much of my time tearing the walls down that people are trying to build around my daughters. People aren’t trying to build walls around Zoomer because they don’t know which walls to build.”

    Muss man Geschlechtergrenzen so völlig auflösen, um gewaltvolle Stereotype zu vermeiden? Ich hoffe irgendwie, dass das nicht so ist, sondern dass man Menschen so erziehen kann, dass man sie vor den größten Übergriffen schützt und ihnen Werkzeuge gibt, um selbstbewusst und stark zu entscheiden.

    1. Nutzer gelöscht
      Nutzer gelöscht · vor fast 4 Jahre

      Sehr, sehr spannend! Inwiefern kommen wir denn tatsächlich ohne die strukturell gefestigten Schubladen aus, die sowohl Vor- als auch Nachteile bieten?
      Zudem - das Kind hat sich mit vier Jahren einem Geschlecht zugeordnet - mit vier Jahren hätte ich mich wahrscheinlich den Gummibären zugeordnet. Es wächst ja erst auf, erlebt verschiedene Phasen, da kann also noch viel Wechsel erfolgen.

      Komplexe Kiste, aber die Grundidee ist natürlich gut. Sie wollen das Beste für das Kind d.h. dass es möglichst viel selbst entscheiden kann. Nur: es ist eben ein Kind und braucht auch Vorbilder, Regeln, Zugehörigkeiten für das Aufwachsen und Lernen. Ich sehe es da wie Marcus, d.h. eher zu versuchen dieses Umfeld so liebevoll, klug und wertvoll wie möglich zu gestalten und dem darin auflebenden Mensch jederzeit die freie Wahl für die eigene Entscheidung für das eigene Leben zu lassen.

    2. Theresa Bäuerlein
      Theresa Bäuerlein · vor fast 4 Jahre · bearbeitet vor fast 4 Jahre

      (in Antwort auf gelöschten Kommentar) "Mit vier Jahren hätte ich mich den Gummibärchen zugeordnet", you made my day! Ja, ich kann mir vorstellen, dass ein Kind, dem diese Entscheidung überlassen wird, das Geschlecht ein paar Mal wechselt. Marcus, ich glaube, ganz viele Eltern machen sich Sorgen um die Kinder, wenn sie so etwas lesen, ich habe da auch noch keine klare Meinung. Aber es könnte sein. dass es vielleicht wirklich nicht “schlimmer” ist, ein paar Jahre nicht-binär aufzuwachsen, als hinterher für immer die ganzen Geschlechterklischees aus seinem Kopf zu klauben.

    3. Nutzer gelöscht
      Nutzer gelöscht · vor fast 4 Jahre

      @Theresa Bäuerlein Aber weshalb machen wir uns deswegen Sorgen? Doch nur wegen des möglicherweise negativen Umfelds, nicht wegen des Umstands an sich.
      Schwierig ist natürlich die hormonelle Entwicklung. Greift man da rechtzeitig ein, d.h. noch vor der Pubertät und begeht dann vielleicht einen Fehler, weil sich damit wieder alles ändert? Ab wann und wie kann man da dem Kind und sich selbst sowie den Ärzt*innen genug vertrauen, um solche Entscheidungen zu treffen? Das finde ich maximal schwer und habe großen Respekt vor den Eltern, die hier alle Faktoren einbeziehen möchte, um "das Richtige" zu tun, wie auch immer sie sich final entscheiden werden.

    4. Marcus von Jordan
      Marcus von Jordan · vor fast 4 Jahre

      @Theresa Bäuerlein @Theresa
      ich habe Zweifel, dass das die Klischees im Kopf verhindert.
      ich hätte Sorge, dass es unnötige Unsicherheit manifestiert.
      ich würde mich vor alle Eltern stellen, die bei ihrem Säugling mit Penis erstmal einen Buben annehmen und dann darauf achten, ihn vor gewaltvollen Klischees zu schützen und beizeiten klar machen, dass er auch anders darf.

      Auch mit etwas Abstand: das ist mir zu experimentell und zu verkopft und riskiert zumindest eine ganz andere Art von Übergriffigkeit gegenüber dem Kind, nämlich die, es aus einer eigenen Gesinnung heraus einer höchstwahrscheinlich unnötigen "Alleinstellung" auszusetzen, es neben die Norm zu pflanzen und damit Widerstände einzubauen, die im Zweifel nicht einfacher zu überwinden sind, als gewaltvolle, unangemessene Geschlechterstereotype.

      ich glaube es geht mir genau um den Begriff der Normalität. Normalität im Sinne von "meistens ist es so oder so". Für mich muss man diese normale Realität nicht erweitern für den gewünschten Effekt, sondern sicherstellen oder durchsetzen, dass es vollkommen akzeptiert wird, wenn etwas neben dieser Norm ist.

      aber ich denke weiter drüber nach. Fühlt sich nicht so an, also ob ich das schon voll durchdrungen hätte.

    5. Theresa Bäuerlein
      Theresa Bäuerlein · vor fast 4 Jahre · bearbeitet vor fast 4 Jahre

      @Marcus von Jordan ja ich bin auch weit entfernt davon, das durchdrungen zu haben. Sind diese Eltern mutige Pioniere? Oder setzen Sie Ihr Kind einem Experiment aus, dass dieses gar nicht wollen würde, wenn es selbst entscheiden dürfte? Oder vielleicht ja beides? Es ist noch nicht lange her, da durften Frauen bestimmte Berufe in D nicht ausüben, weil es hieß, dass das nicht gut für sie wäre, aus Gründen des Geschlechts. Man fand es auch widernatürlich und ungesund für Mädchen, wenn Sie Hosen trugen oder Pferde ritten. Das sind willkürliche und nicht zu Ende gedachte Beispiele, bei denen ich mich aber frage, ob das, was uns jetzt normal und gesund für Kinder vorkommt, flexibler sein könnte als wir meinen.

    6. Marcus von Jordan
      Marcus von Jordan · vor fast 4 Jahre

      @Theresa Bäuerlein ...vermutlich ist es flexibler.
      Und da immer wieder offen zu sein ist sicherlich nötig.
      Mir bleibt die Nummer trotzdem irgendwie creepy. Ich weiß nicht...vielleicht denke ich, dass man diese Dinge nicht so mal eben verändert kriegt ohne radikal zu werden.

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