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Klima und Wandel

"Wenn Wachstum bedeutet, dass unser Leben besser wird, ...

Alexandra Endres
Journalistin
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Alexandra EndresDienstag, 17.10.2023

... dann habe ich nichts dagegen." Das sagt der Physiker Anders Levermann im Spiegel-Interview mit Susanne Götze (paid content)

Levermann leitet die Abteilung Komplexitätsforschung am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK), und er hat gerade ein Buch geschrieben, das am kommenden Donnerstag, den 19.10., erscheint. In "Die Faltung der Welt" beschreibt er, wie die Menschheit innerhalb der planetaren Grenzen leben kann, ohne auf Fortschritt und Entwicklung zu verzichten.

Ich erforsche seit Jahrzehnten komplexe Systeme und deren Verhalten. Als Physiker lernt man von der Chaostheorie, dass es unendliche Bewegung im endlichen Raum gibt. Auch wenn das theoretisch klingt, so kann es helfen, klimapolitische Lösungen zu finden.

Entscheidend dafür ist, dass dem Entwicklungsdrang der Menschen harte Grenzen gesetzt werden. Dann sucht er sich innerhalb dieser Grenzen andere, neue Wege. Die Bewegung bleibt, aber sie "faltet sich zurück in den Raum", sagt Levermann, und so bahnt sich der Fortschritt eben einen anderen, neuen Weg:

Menschen sind kreativ, weil sie Grenzen haben. Wir hören nur begrenzt Frequenzen, komponieren aber immer neue Musik. Ähnlich ist es in der Malerei mit Farben oder beim Kochen. Unsere Sinne sind beschränkt, aber wir holen ständig neue Facetten aus ihnen heraus. Das schaffen wir nur, weil wir innerhalb eines Raumes der Möglichkeiten unseren Pfad »falten«. (...) Begrenzung macht innovativ und fortschrittlich.

Wer jetzt an die FDP denkt, an den CO₂-Handel und "Technologieoffenheit", liegt nicht ganz falsch. In einer sich faltenden Welt schreibt niemand vor, was innerhalb der Grenzen möglich ist, die FDP wird das mögen. Das heißt aber auch, dass jede(r) selbstverständlich Fehler machen darf (Susanne Götze fragt an dieser Stelle nach Wasserstoffheizungen und E-Fuels). 

Entscheidend ist, dass die harten Grenzen unverrückbar bleiben. Das wiederum wäre mit der FDP, so wie sie sich derzeit darstellt, wohl nicht zu machen.

Die Idee der Faltung klingt erst einmal ziemlich abstrakt. Levermann gibt aber auch praktische Beispiele dafür, wie sie in die Politik umgesetzt werden könnte. Mit dem EU-Emissionshandel funktioniere sie schon, sagt er. Auch der ursprüngliche Entwurf des Gebäudeenergiegesetzes sei "ganz im Sinne der Faltung" gewesen. Und wenn es darum gehe, Grenzwerte für Chemikalien festzulegen, könnte der Staat – statt jedem neuen Stoff, der entwickelt wird, hinterherzurecherchieren, um mögliche Gefahren zu prüfen – einfach festlegen: "Niemand darf etwas in die Umwelt einbringen, was Natur oder Menschen schadet." Damit läge die Beweispflicht bei den Unternehmen. Sie müssten deutlich vorsichtiger agieren.

Wachstum und Kapitalismus sind für Levermann also nicht das Problem. Die zunehmende Ungleichheit aber sehr wohl. Faltungsgrenzen, sagt er, würden "Megakonzerne wie Amazon und Google... wieder in den Markt (und Wettbewerb) zurückholen", und sie würden die Einkommensungleichheit begrenzen.

Wie soll das in einer globalen Wirtschaft, in denen Staaten sich auf gemeinsame Regeln einigen müssen, funktionieren?

Alle wirklich grundlegenden wirtschaftlichen Änderungen müssen national mit einer Art verallgemeinertem Lieferkettengesetz kombiniert werden. Die Faltungsgrenze könnte dabei sein, dass in einem Land keine Produkte mehr verkauft werden dürfen, deren Herstellung den Gesetzen des Landes widerspricht.

Wie realistisch es ist, die Idee der Faltung auf die globale Wirtschaft zu übertragen? Ich habe keine Ahnung. Aber das Konzept scheint mir eine spannende Möglichkeit, die Wachstumsdebatte in der Klimakrise anders zu führen, und zwar jenseits der alten Grenzen zwischen Kapitalisten und Antikapitalisten. Vielleicht eröffnet das ja neue Wege. Ganz im Sinne der Chaostheorie. Noch einmal Levermann:

Grenzen sind nicht das Ende der Wirtschaft oder unseres Wohlstands, sondern deren Garant. Sie sind der Anfang von etwas Neuem. Wir hören nicht auf zu produzieren und zu leben, wir tun es nur anders. Es kann weiter rasant vorangehen, nur unter anderen Vorzeichen. Es geht nicht um ein Zurück oder ein Weniger, sondern darum, es anders zu machen. Sehen Sie es als Herausforderung, neue Technologien und Lebensweisen zu entwickeln – innovativ statt regressiv.


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Kommentare 7
  1. Thomas Wahl
    Thomas Wahl · vor einem Jahr

    Danke. Levermann sagt eigentlich etwas Altbekanntes. Wachstum ist nicht gleich Wachstum. Es hängt von der Qualität ab. Die Grenze des Wachstums in der einen Qualität (z.B. fossile Energien) eröffnet neuen Qualitäten Wachstumsmöglichkeiten (EE, Kernenergie). Welche neuen Wege praktikabel/erfolgreich sind läßt sich allerdings nur evolutionär mit Versuch und Irrtum feststellen. Das ergibt sich auch aus der Komplexität. Mit oder ohne FDP. Den Grundsatz "Niemand darf etwas in die Umwelt einbringen, was Natur oder Menschen schadet." halte ich daher für etwas naiv, wenig praktikabel. Ohne ein gewisses Risiko geht es nicht. Und jeder Schritt des Menschen in "der Natur" verändert diese, "schadet" eigentlich im gewissen Sinn immer. Je nach Schwelle/Maßstab, den man anlegt.

    1. Alexandra Endres
      Alexandra Endres · vor einem Jahr

      Hallo Thomas,

      "Niemand darf etwas in die Umwelt einbringen, was Natur oder Menschen schadet." - Stimmt, es entsteht immer ein Schaden. Ich denke, der Grundsatz würde dann halt mit Gesetzen, Verordnungen, Gerichtsurteilen konkretisiert werden müssen. So wie rechtliche Grundsätze ja fast nie uneingeschränkt gelten. Unternehmerisches Handeln muss weiter möglich sein, alles andere verstieße wohl gegen das Grundrecht der Eigentumsfreiheit.

      Im Moment herrscht ja im Umweltrecht eher das umgekehrte Prinzip: Es wird von der Zulässigkeit bestimmter Grenzwerte ausgegangen, oder es werden im Genehmigungsverfahren gewisse andere Maßstäbe z.B. zum Artenschutz angelegt, und wenn die erfüllt werden, ist das Vorhaben umweltrechtlich gesehen oK. Und wenn man dennoch dagegen klagen will beispielsweise, dann muss man belegen, dass einem persönlich ein konkreter Schaden entstanden ist.

      Ich persönlich fände es schon interessant, das Prinzip einmal umzukehren, in Gesetzen und Verordnungen seine Einschränkungen zu formulieren, und zu sehen, was dann passiert.

    2. Thomas Wahl
      Thomas Wahl · vor einem Jahr

      @Alexandra Endres Na ja, es entsteht zumindest eine Veränderung. Ob das dann im Fluß der Evolution der Natur ein Schaden wäre, das müßte man diskutieren. Wirklich wissen tut man es - jenseits offensichtlich klar absehbarer Folgen - erst hinterher.

      Die Umkehrung der Nachweislage ohne Grenzwerte würde doch bedeuten, die Nichtexistenz eines Schadens vor ab zu beweisen? Das wäre etwa so, als ob ein Angeklagter vor Gericht seine garantierte Unschuld zu beweisen hätte oder als ob ein Atheist die Nichtexistenz Gottes beweisen wollte. Ein solcher Beweis der Nichtexistenz ist schlicht unmöglich.

    3. Alexandra Endres
      Alexandra Endres · vor einem Jahr

      @Thomas Wahl Ja, klar wäre es eine grundsätzliche Änderung. Ich will darauf hinaus, dass sie nicht uneingeschränkt gelten würde.

      Dass der bisherige - umgekehrte - Grundsatz nicht funktioniert, dass wir die natürlichen Ressourcen überausbeuten und dadurch unsere eigenen Lebensgrundlagen riskieren, ist meiner Ansicht nach jetzt schon so gut wie offensichtlich. Wir sollten nicht warten, bis es hinterher endgültig und unabänderlich klar wird.

      Warum also nicht einmal ausprobieren, wie und ob ein neuer Grundsatz funktionieren würde? Versuch und Irrtum... :-)

    4. Thomas Wahl
      Thomas Wahl · vor einem Jahr

      @Alexandra Endres Das wir verschiedene Ressourcen überausbeuten hat je erst mal mit der Nachweislage nichts zu tun. Überausbeutung kann man messen. Aber wenn man Innovationen sucht, um neu Ressourcen, neue nachhaltige Verfahren zu realisieren, um diese zu überwinden, geht es nicht ohne Risiko. Wir sind Bestandteil der Natur, Bestandteil des Evolutionsprozesses und können nicht wirklich naturneutral agieren.

      Ja, Versuch, Risiko, Irrtum und Erfahrung, das ist der Weg. Aber die Umkehrung der Beweislast verhindert im Prinzip schon den Versuch. Wenn er dann nicht so streng gelten soll, dann sind wir m.E. eigentlich fast beim heutigen Verfahren. Wir Versuchen etwas um zu sehen was passiert und lernen daraus …..

  2. Dominik Lenné
    Dominik Lenné · vor einem Jahr

    das nenne ich mal einen neuen gedanken, nicht nur das wiederkäuen längst bekannter.

    1. Alexandra Endres
      Alexandra Endres · vor einem Jahr

      Das fand ich auch :). Eine neue Haltung zur Welt. Jedenfalls lese ich jetzt das Buch und bin gespannt...

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