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Klima und Wandel

Vielleicht jetzt endlich doch: Ein Preis für Kohlendioxid

Nick Reimer
diplomierter Energie- und Umweltverfahrenstechniker, Wirtschaftsjournalist und Bücherschreiber
Zum Kurator'innen-Profil
Nick ReimerDienstag, 23.06.2020

Es ist relativ selten, dass sich die deutschen Wissenschaftsakademien gemeinsam äußern. Diesmal aber fanden Leopoldina – die "Deutsche Akademie der Naturforscher", acatech – die "Deutsche Akademie der Technikwissenschaften" und die "Union der deutschen Akademien der Wissenschaften" das Thema so wichtig, dass sie mit einer Stimme sprechen: Kohlendioxid muss einen Preis bekommen. Und Deutschland, ausgerechnet die Bundesrepublik, soll das durchsetzen.

Deutschland übernimmt am 1. Juli die Ratspräsidentschaft der Europäischen Union und hat damit "die Chance, einen neuen Aufbruch der europäischen Klimapolitik einzuleiten", wie es Deutschlands Wissenschaftskompetenz formuliert. "Wenn Energie ohne wesentliche CO2-Emissionen bereitgestellt werden soll, dann ist es unumgänglich, dass die Nutzung fossiler Energieträger schnellstmöglich eingestellt wird."

Logisch, mag jetzt der Eingeweihte monieren, das ist doch klar! Aber wie weit wir den Ansprüchen hinterher hinken, das hat gerade die europäische Statistikbehörde Eurosat dokumentiert: Die EU ist demnach nicht auf dem Weg, das Ziel von 40 Prozent weniger Treibhausgasen bis 2030 im Vergleich zu 1990 zu erreichen. Einfach weil zu viele Bereiche – Stichwort Landwirtschaft, Verkehr – vom Klimaschutz befreit sind. Einfach weil es keine funktionierende Politik gibt, die den Markt in diese Richtung lenkt. Das soll die deutsche Ratspräsidentschaft nun ändern: Professor Karen Pittel vom Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung an der Universität München sagt im Deutschlandfunk:

Eine der wichtigsten Weichen oder die wichtigste Weiche überhaupt ist einfach die CO2-Bepreisung, das heißt, dass die Emissionen, wenn sie denn getätigt werden, mit entsprechenden Kosten auch verbunden sind und dass dort auch klar ist, dass diese Kosten über die Zeit ansteigen werden, denn nur so ist wirklich erreichbar, dass die Firmen und auch die Staaten die langfristigen Klimaziele wirklich in ihre Planung mit einbeziehen.

Die Debatte um den CO2-Preis hat schon einen Bart, bislang aber konnten die fossilen Lobbys seine Einführung verhindern. Die organisierte Wissenschaft der Bundesrepublik startet nun einen neuen Versuch, die Dringlichkeit einer EU-weiten Bepreisung deutlich zu machen:

Für die notwendige Transformation des Energiesystems sollte unbedingt ein ordnender Rahmen geschaffen werden, dessen Kern insbesondere die wirksame, umfassende und einheitliche Bepreisung von Treibhausgas-Emissionen (ein „CO2-Preis“) in allen Sektoren ist.

Spannend zu beobachten, ob sich diesmal die Logik oder die Lobby durchsetzen wird.

Vielleicht jetzt endlich doch: Ein Preis für Kohlendioxid

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Kommentare 7
  1. Charly Heberer
    Charly Heberer · vor mehr als 4 Jahre

    ergänzend zur Diskussion hier nochmal zur Wirkung:
    To reach the targets an extended scheme would require “a substantially higher ETS allowance price”, the report found, with implications for revenue generation and competitiveness of the existing sectors.

    https://europeanclimat...

  2. Charly Heberer
    Charly Heberer · vor mehr als 4 Jahre

    Der Wunsch nach einer CO2-Bepreisung ist ja nachvollziehbar, aber das ETS im Straßenverkehr einfach das falsche Instrument. Wir haben hier (in Deutschland und den meisten anderen MS) einen längst höheren effektiven Preis als im ETS, der hat ja bisher auch nichts genützt. Wir brauchen vielmehr eine Aktualisierung und Synchronisierung der EU-Energiesteuer-RL. Im Gebäude-Bereich kenne ich bisher keine wirkliche Folgenabschätzung. (S.: https://www.piqd.de/kl...)

    Abgesehen davon geht der Vorschlag komplett an der Realität vorbei: Was soll den Dtl. während der RP da verhandeln? Es liegt kein KOM-Vorschlag auf dem Tisch, und auch keine Folgenabschätzung dazu. Die AutorInnen haben ganz offensichtlich keine Ahnung von europäischer Gesetzgebung.

    1. Dominik Lenné
      Dominik Lenné · vor mehr als 4 Jahre · bearbeitet vor mehr als 4 Jahre

      "... das ETS im Straßenverkehr einfach das falsche Instrument."
      Das ist richtig, wenn man voraussetzt, dass Klimaschutz in allen Segmenten gleichmäßig voranschreiten muss. Diese Voraussetzung ist aber unnötig. Anders ausgedrückt: für den Klimaschutz können wir es ohne weiteres tolerieren, wenn der Verkehrsbereich hinterherhinkt, solange nur die Emissionssumme wie geplant sinkt. Siehe auch mein Kommentar zu Deinem Link.
      Was die Gesetzgebung angeht schreibt Wikipedia:

      "Nach Art. 15 EU-Vertrag gibt der Europäische Rat der EU „die für ihre Entwicklung erforderlichen Impulse und legt die allgemeinen politischen Zielvorstellungen und Prioritäten hierfür fest“. "

      und

      "Da jedoch die Staats- und Regierungschefs meist innerhalb der Regierung ihres eigenen Staates eine Richtlinienkompetenz besitzen, dienen die Verhandlungsergebnisse des Europäischen Rates auch als Richtlinie für die Treffen des Ministerrats. Auch die Europäische Kommission handelt meist im Sinne der auf den Gipfeltreffen gefundenen Kompromisse."

      Das ist zwar keine Gesetzgebungskompetenz, aber doch eine starke Einflussnahme auf die allgemeine Richtung der Gesetzgebung, würde ich sagen.

    2. Charly Heberer
      Charly Heberer · vor mehr als 4 Jahre

      @Dominik Lenné jo, Deutschland hat aber die Präsidentschaft des Rates der EU, nicht die des Europäischen Rates - die hat Charles Michel ;-)

    3. Dominik Lenné
      Dominik Lenné · vor mehr als 4 Jahre

      @Charly Heberer Oh peinlich. Offensichtlich bin ich ebenfalls ahnungslos.

    4. Charly Heberer
      Charly Heberer · vor mehr als 4 Jahre

      @Dominik Lenné Naja, was schon stimmt, ist, dass eine Ratspräsidentschaft Themen andiskutieren und voranbringen kann. Es gibt halt aktuell im Rat aber kein wirklich anstehendes Gesetzgebungsverfahren, an das man anknüpfen könnte. Das wäre ab kommendem Juni der Fall, wenn die Kommission eine ETS-Reform vorschlagen will. Insofern ärgert mich, dass die Leopoldina (von der man schon erwarten sollte, dass sie die politischen Prozesse versuchen anzusehen, bevor sie so eine Stellungnahme raushauen) da Pulver verschießt und etwas ziemlich realitätsfernes fordert, statt sich auf die Themen zu konzentrieren, die eigentlich anstehen, und das wäre v.a. ein ehrgeiziges und stabiles Klimagesetz - das wird nämlich jetzt verhandelt.

      Und dann noch eben zum Vorschlag an sich (Einbeziehung von Straßenverkehr und Gebäuden): Ich finde den aus mehreren Gründen nicht richtig:
      1. Das ist steuerungspolitisch halt schon ziemlich leichtfertig bis verantwortungslos zu sagen "mir egal wie die Ziele erreicht werden", weil was (meiner Einschätzung nach) passieren würde, ist, dass die Zertifikate deutlich teurer werden, weil der Verkehrssektor viel viel zahlungsbereiter (nachfrageflexibler) ist, und die Ziele dann durch eine komplette Deindustrialisierung erreicht würden. Das wäre mittel- bis langfristig ein gesellschaftspolitischer GAU und würde damit auch keiner Klimapolitik helfen.
      2. Wäre dieses Szenario auch klimapolitisch weniger wirksam, weil zum Einen die Einsparungen in der Industrie v.a. durch Abwanderung erreicht würde und zum anderen Potential im Verkehr verschenkt (!) würde, nach dem in 1. beschriebenen Mechanismus. Das wäre also mMn das genaue Gegenteil von dem, was man erreichen wollte.
      3. Ist das so oder so ein viel zu komplexes Thema, als dass man das ohne umfassende Folgenabschätzung durchboxen sollte und in der Hinsicht auch nicht mit europäischer Gesetzgebung (die das zum Glück umfassend vorschreibt) kompatibel.

      Zusammenfassend: Ich glaube, das ist ein irreführender Vorschlag, den man zwar natürlich gerne diskutieren kann, aber nicht ohne stärkere Grundlage, denn solange läuft man Gefahr, Nebelkerzen hinterherzulaufen.

  3. Dominik Lenné
    Dominik Lenné · vor mehr als 4 Jahre

    Dass ein Thema einen langen Bart hat, mag in der Medienwelt negativ sein, wo man immer etwas "Neues" haben will, in der realen Welt sagt es kaum etwas. Wenn es sinnvoll ist muss man es eben so lange wiederholen und neu bringen, bis der Bart von hier bis zum Mond reicht - oder es endlich realisiert wird.
    Bisher war ich ein Gegner der Mindestpreise für Zertifikate, weil so in Konjunkturdellen mit niedrigen Zertifkatepreisen die Wirtschaft entlastet wird und das System konjunkturausgleichend wirkt. Seit aber zu sehen ist, dass durch die niedrigen Spotmarktpreise auch WKAen stillgelegt zu werden drohen, habe ich meine Meinung geändert. Auch die Preisentwicklung gleichmäßiger zu machen und so mittel- bis langfristige Investitionsrisiken zu mindern scheint mir sinnvoll.
    Anscheinend fällt immer mehr Leuten auf, welche Geburtsfehler das EU-ETS hat, und man denkt darüber nach, wie man die reparieren kann. Die Beschränkung auf 50 % der Emissionen ist ja nur einer. Der Zweite ist der Zertifikateüberschuss und der Dritte die zu geringe Absenkungsrate der Cap.
    Die sechs Monate Deutsche Ratspräsidentschaft können da etwas anstoßen - werden aber nicht reichen, um diese Falte auszubügeln.
    Hoffen wir, dass die Stimme der Akademien etwas bewegt!

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