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Timothy Snyder: Auf russische Niederlage folgt Machtkampf in Moskau

Dirk Liesemer
Autor und Journalist
Zum Kurator'innen-Profil
Dirk LiesemerFreitag, 14.10.2022

Wie wird der Krieg in der Ukraine enden? Natürlich sind zahlreiche Möglichkeiten denkbar, darunter auch, dass Putin noch einen Atomkrieg anzettelt und damit alles auf eine Karte setzt. Aber als realistisch gilt solch ein Horrorszenario nicht.

Der Historiker Timothy Snyder, Verfasser des Buches Bloodlands und Kenner Osteuropas, prognostiziert folgenden Ausgang:

„Das Szenario, das ich hier vorschlagen werde, ist eine konventionelle Niederlage Russlands in der Ukraine, die in einen russischen Machtkampf übergeht, der einen russischen Rückzug aus der Ukraine erfordert. Historisch gesehen ist dies eine sehr bekannte Kette von Ereignissen."

Snyder hat seine ausführliche Analyse hier auf seinem Blog veröffentlicht; wer keinen englischen Text lesen mag, für den habe ich unten eine deutschsprachige Zusammenfassung verlinkt.

Auf Snyders Ausführungen geht auch der ehemalige NATO-General Erhard Bühler heute im nunmehr 60. Beitrag des Podcasts "Was tun Herr General?" ein. Kurz: Bühler hält sich zwar wie immer mit Prognosen zurück, aber er kann der Argumentation Synders, warum Putin keine Atombomben einsetzen wird, viel abgewinnen.

Noch scheint ein offener Machtkampf in Moskau recht fern, aber ein russischer Sieg in der Ukraine ebenfalls. Seit einiger Zeit nimmt deshalb die Kritik am russischen Verteidigungsminister zu, und Putin musste den kriegslüsterndsten unter allen russischen Falken bereits Zugeständnisse machen, was für Turbulenzen spricht.

Sollte es in Russland noch brenzliger werden, so schreibt Synder in seinem Text, dann wird Putin seine Truppen unter einem plausiblen Vorwand aus der Ukraine zurückbeordern können: nämlich zum Schutz seiner eigenen Macht. 

Timothy Snyder: Auf russische Niederlage folgt Machtkampf in Moskau

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Kommentare 5
  1. Lutz Müller
    Lutz Müller · vor mehr als ein Jahr · bearbeitet vor mehr als ein Jahr

    Vor vier Wochen veröffentlichte DER SPIEGEL 8/2023 ein Interview mit Timothy Snyder.
    Erst seit gestern ist die englische Fassung online verfügbar: www.spiegel.de/interna...

    Auf Deutsch steht das Interview »In Russland steht der Wille über der Vernunft« hinter der Bezahlschranke: www.spiegel.de/geschic...

    Viele von Snyders Thesen wurden schon hundertmal in den Medien diskutiert. Seine Worte überzeugen mit ihrer Klarheit, dem Leser prägen sie sich besonders ein, wenn er seine Analyse auf den Punkt bringt:

    Russland handelt jetzt wie Deutschland im Jahre 1941. Die Deutschen haben jetzt eine zweite Chance, der faschistischen Bedrohung eine Antwort entgegenzusetzen - werden sie diese zweite Chance nutzen?
    Im Zweiten Weltkrieg führte Deutschland einen Kolonialkrieg gegen die Ukraine, einige realisieren das erst jetzt. Die Kolonialgeschichte wurde verdrängt, die Ukraine nicht ernsthaft als Staat und Nation wahrgenommen. Im inneren Diskurs drehte sich alles um Russland, auch in der Außenpolitik hatte Russland Priorität.
    Hätten sich die Ukrainer nicht gegen die russische Aggression verteidigt, so hätten die Deutschen nicht ein Jahr lang über die "Zeitenwende" und Panzerlieferungen diskutieren können.
    Im Grunde genommen geben uns die Ukrainer eine Chance, dieses Jahrhundert in die richtige Richtung zu lenken. Eine Menge hängt von unseren Entscheidungen ab. Wir müssen ihnen so viele Waffen geben, wie wir können. Nur durch einen schnellen Rückzug der Russen kann der Krieg beendet und können Menschenleben auf beiden Seiten beschützt werden.

    Prägnant und scharfsinnig - es hätte den Titel "Deutschland, deine zweite Chance"
    verdient.

    1. Thomas Wahl
      Thomas Wahl · vor mehr als ein Jahr

      Ich befürchte, die Bundesregierung hat die Chance mit dem langen Zögern schon vertan.

    2. Lutz Müller
      Lutz Müller · vor mehr als ein Jahr · bearbeitet vor mehr als ein Jahr

      @Thomas Wahl Snyder hat in seinem Ausblick ein pessimistisches und ein optimistisches Szenario geschildert, ich gab nur aus letzterem etwas wieder. Ja, allein die Zeitspanne zwischen Entscheidungen und realer Verteidigungsfähigkeit ... - aber die Hoffnung stirbt zuletzt.

  2. Lutz Müller
    Lutz Müller · vor 2 Jahren

    Die Politik ist in einer verdammt schwierigen Situation, kann sich nur auf fundierte Analysen von Experten zur aktuellen Lage stützen. Wichtig, einen kühlen Kopf zu bewahren. Aber auch Irrtümer sind nicht ausgeschlossen, bspw. hatte Russland- und Ukraine-Kenner Guido Hausmann noch zwei Tage vor dem russischen Überfall nicht unmittelbar mit dem Ausbruch eines Krieges gerechnet: www.mittelbayerische.d... Interne Machtkämpfe genau zu verfolgen, ist wichtig, aber wer weiß jetzt schon, wie eine Niederlage aussehen wird? Denken wir an Hitlers oder Mussolinis Untergang. Kann es da noch eine Logik geben? Die verbrannte Erde, die verheizten Kindersoldaten. Menschenleben hatten für Putin noch nie einen Wert.

  3. Jürgen Klute
    Jürgen Klute · vor 2 Jahren

    Die Analysen und Einschätzungen von Timothy Snyder erscheinen mir nachvollziehbar. Stellt sich nur die Frage, inwieweit Politikerinnen und Politiker diese Analysen und Einschätzungen aufnehmen und Schlüsse daraus ziehen für die kommenden Wochen und Monate.

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