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Kurator'in für: Fundstücke Zeit und Geschichte
Seit der ersten Stunde als Kurator bei Forum dabei: Dirk Liesemer arbeitet als Journalist für Magazine wie mare und G/Geschichte. Er hat Politik, Philosophie und Öffentliches Recht studiert, die Henri-Nannen-Journalistenschule besucht, immer mal wieder in Redaktionen gearbeitet und ehrenamtlich eine Reihe von Recherchereisen mitorganisiert und begleitet. Bisher fünf Bücher, darunter "Café Größenwahn" (2023), ein Ausflug zu den großen Kaffeehausliteraten des Fin de Siècle. Foto: Andreas Unger
Endlich mal wieder eine richtige Kontroverse, geführt im Feuilleton der FAZ über den gescheiterten Krieg in Afghanistan und dessen Folgen für den Westen. Es begann mit einem Gastbeitrag des Orientalisten Navid Kermani. Er schrieb: "Aber das Verrückte ist: Es hätte gelingen können." Ja, der Westen hätte nach dem Einmarsch nur seinen "strategischen Vorteil" ausspielen müssen, sprich: sein liberales Wertesystem.
Und so setzte die Aussicht (in Afghanistan, DL), in einem halbwegs demokratischen, zwar unabhängigen, aber politisch doch nach Westen ausgerichteten Staat zu leben, in dem Menschenrechte respektiert werden, Frauen mehr und mehr Anteil am öffentlichen Leben erlangen und eine plurale, kritische Öffentlichkeit existiert, nach der Befreiung von den Taliban enorme Energien unter den Afghanen frei.
Dass der Westen nun doch gescheitert ist, liegt Kermani zufolge unter anderem an einer viel zu militärischen und bürokratischen Ausrichtung der Operation. Die Intervention an sich stellt er nicht infrage. Kermani schreibt vielmehr:
Und so büßt der Westen dieser Tage vor den Augen der Weltöffentlichkeit den einen Vorteil ein, den er gegenüber konkurrierenden Mächten über viele Jahrzehnte in Stellung bringen konnte: dass seine Lebensweise, Wertvorstellungen und politischen Modelle für die überwiegende Mehrheit der Menschen auf der Welt ein Versprechen sind. Was unsere Glaubwürdigkeit betrifft, spielen wir nun in einer Liga mit allen anderen Großmächten, und wir können sicher sein, dass uns jedenfalls China hier weit überlegen ist, dem niemand Heuchelei vorwirft, weil es ohnehin nicht von Freiheit spricht.
FAZ-Redakteur Jochen Buchsteiner, der selbst Afghanistan besucht hat, dachte bei der Lektüre offenbar, er läse nicht recht – und verfasste einen vehementen Gegenstandpunkt. Hätte es also gelingen können?
Nein, hätte es nicht, niemals. Die Politiker des Westens sollten sich deshalb auch nicht, wie Kermani mahnt, beim afghanischen Volk dafür entschuldigen, dass sie mit dem Abzug ein nobles Versprechen gebrochen haben, sondern dafür, dass sie ihm vor langer Zeit ein unhaltbares gegeben haben. Der Verrat lag nicht im Rückzug, so dilettantisch er auch vollzogen wurde. Er lag auch nicht in der militärischen Beseitigung der Taliban-Regierung, die als Schutzmacht der Al-Qaida den Westen unmittelbar bedrohte. Er lag im Schwur, das Land nach der Befreiung vom Islamistenregime in eine westlich inspirierte Demokratie zu verwandeln und die afghanischen Helfer dabei nicht im Stich zu lassen.
Buchsteiner schreibt auch:
Am Anfang einer ehrlichen Betrachtung der „westlichen Selbstverstümmelung“ in Afghanistan sollte daher die Einsicht stehen, dass andere Kulturen andere Kulturen sind. Das ist keine banale Feststellung, denn die gegenteilige Auffassung hat die Außenpolitik des Westens in den vergangenen drei Jahrzehnten angetrieben. Grundlage fast aller (Fehl-)Entscheidungen war die Hybris, dass die westliche Kultur gewissermaßen die höchste Zivilisationsstufe darstellt und sich deshalb früher oder später auch überall durchsetzen wird. Die operative Ableitung lautete: Eingriffe in nichtwestliche Systeme sind per se eine Befreiung für die Betroffenen, auch wenn sie dies nicht gleich verstehen.
Unten ist Buchsteiners Text gepiqd, er findet sich auch hier für ein paar Tage auf Blendle. Und Kermanis Text steht hier auf der Seite der FAZ und hier bei Blendle. Lesenswert sind beide Beiträge schon deshalb, weil sie in fast unverstellter Reinform für klar entgegengesetzte Pole stehen: der eine für eine idealistische, der andere für eine realistische Position. Anders gesagt: Der eine argumentiert mit Werten und Kultur, der andere mit Interessen und Machtverhältnissen.
Quelle: Jochen Buchsteiner Bild: Picture-Alliance Artikel kostenpflichtig www.faz.net
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na, die angeblich realistische position argumentiert ja gerade auch mit Kultur: von wegen der ach so anderen...
und etwa nach 1945 oder im Kalten Krieg hätte auch "jeder" Realist festgestellt wie anders doch kulturell und mental die Deutschen und die Russen sind. ..