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Hartmut Rosa erklärt, warum Studenten deprimiert sind und wieso das die Gesellschaft bedroht

Christian Gesellmann
Autor und Reporter

Geboren 1984 in Zwickau, Studium der Politikwissenschaft, Geschichte und Germanistik in Jena und Perugia. Volontariat bei der Tageszeitung Freie Presse, anschließend zweieinhalb Jahre als Redakteur in Zwickau. Lebt als freier Autor in Leipzig und Bukarest. Quoten-Ossi bei Krautreporter.

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Christian GesellmannDonnerstag, 07.12.2017

Ich wohne seit Kurzem wieder in Jena, wo ich bis vor sieben Jahren auch studiert habe. Es schreiben sich ja viele Städte "Universitätsstadt" auf die Autobahnschilder, aber Jena ist im Wahrsten Sinne eine. Die Uni ist das Zentrum in Zentrum und ich schaue öfter mal in Vorlesungen rein oder gehe in die Bibliothek. Aber manchmal fühle ich mich dann ehrlich gesagt ziemlich alt. Ich bin 33, und Alter ist wirklich kein Thema, über das ich viel nachdenke. Deshalb habe ich mich lange gefragt, warum es mich so deprimiert, umgeben zu sein von einem Haufen Menschen, die aussehen wie Elftklässler. 

Dieses Interview mit dem Soziologen Hartmut Rosa (das ist der mit der Entschleunigung) hat mir einiges erklärt. Das Problem ist nicht, dass die Studenten so jung wirken. Das kann einem ja auch nur so vorkommen und ist außerdem egal. Das deprimierende ist, dass die Studenten deprimiert aussehen. Rosa ist seit zwölf Jahren Professor in Jena, und er teilt die Einschätzung, dass sich an der Verfassung der Studenten etwas geändert hat. Glücklicherweise drückt er das auch viel klüger aus als ich:

ZEIT Campus Online: Sie schreiben, dass jede Nacht mehr Menschen in unserer beschleunigten, spätkapitalistischen westlichen Welt schweißgebadet aufwachen würden als in totalitären Regimen. Gilt das auch für Studenten?
Rosa: Ich denke, ja. Burn-out-Raten und Angsterkrankungen nehmen bei Studenten wirklich zu. Oder nehmen Sie das eigenartige Problem der Prokrastination, das eben nicht nur Faulheit ist. Die Zahl der legitimen Erwartungen, mit denen Studenten konfrontiert sind, explodiert. Das Auslandssemester, die zweite Fremdsprache, das sportliche, musische oder ehrenamtliche Engagement — diese diffusen Erwartungen fühlen die Studierenden. Daher das Schuldgefühl, der Panzer auf der Brust.

Und er benennt das, was an Ursachen dafür bekannt ist, sehr präzise. Zum Beispiel die sogenannte Bologna-Taktung, durch die sich die Regelstudienzeiten deutlich verkürzt haben.

Ich unterscheide bei Lernprozessen zwischen Aneignung und Anverwandlung. Man kann sich Stoff sehr schnell aneignen und auskotzen, was ja sehr schön als Bulimie-Lernen bezeichnet wird. Der Gegenbegriff ist die Anverwandlung, also ich begegne einem Stoff, den ich mir so zu eigen mache, dass er mich in irgendeiner Art verwandelt. Das ist zeitintensiv und natürlich nicht terminlich zu fixieren. Dienstagabend um Punkt 20 Uhr findet keine getaktete Anverwandlung statt. Dafür braucht es Leerräume. Anverwandlungsräume werden unter den gegenwärtigen Studienbedingungen aber zunehmend ausgemerzt.

Jena ist übrigens trotzdem noch eine sehr schöne Stadt. Und das liegt für mich auch an den vielen Charakterköpfen, die sich hier ihre ganz eigenen Anverwandlungsräume geschaffen haben. Auch wenn sie dafür vielleicht erst ein Philosophie- oder Politikwissenschaftsstudium abbrechen mussten. 

Hartmut Rosa erklärt, warum Studenten deprimiert sind und wieso das die Gesellschaft bedroht

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Kommentare 1
  1. Frederik Fischer
    Frederik Fischer · vor fast 7 Jahre

    Der Zündfunk hat sich kürzlich in einem Feature Jena gewidmet. Hartmut Rosa kommt dort auch zu Wort. https://www.br.de/radi...

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