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Kurator'in für: Fundstücke Zeit und Geschichte
Seit der ersten Stunde als Kurator bei Forum dabei: Dirk Liesemer arbeitet als Journalist für Magazine wie mare und G/Geschichte. Er hat Politik, Philosophie und Öffentliches Recht studiert, die Henri-Nannen-Journalistenschule besucht, immer mal wieder in Redaktionen gearbeitet und ehrenamtlich eine Reihe von Recherchereisen mitorganisiert und begleitet. Bisher fünf Bücher, darunter "Café Größenwahn" (2023), ein Ausflug zu den großen Kaffeehausliteraten des Fin de Siècle. Foto: Andreas Unger
Ich dachte, ich lese nicht richtig: Bekanntermaßen sorgte Boris Palmer auf der Frankfurter Migrationskonferenz vor zwei Wochen für einen Eklat, wofür er aus vielen Richtungen und von etlichen Leitartiklern kritisiert wurde. Dass es Stimmen geben könnte, die ihn verteidigen – mal abgesehen von dem absurden Vorwurf, ein Nazi zu sein –, hätte ich nicht für möglich gehalten.
Aus mehreren Gründen halte ich den Text für interessant: Zum einen ist er auf cicero.de erschienen, also einem Magazin, das wir schon wegen der Bezahlschranke kaum auf unserem Piqd-Radar haben; ferner steht er dort als einer der wenigen offenen Inhalte, was nahelegt, dass die Redaktion den Beitrag für wichtig erachtet und er auch eine gewisse Repräsentativität besitzt.
Zum anderen ist der Text nicht von irgendwelchen Wald-und-Wiesen-Autoren verfasst, sondern von vier Professoren, die zum Teil medial ziemlich präsent sind (Egon Flaig, Christian F. Majer, Burkhard Meißner, Aglaja Stirn). Zu wissen, was sie sonst schreiben und wie sie denken, hilft also bei deren Einordnung.
Viel kritisiert wurde auf Twitter der Satz: "Der Judenstern ist als solcher kein Symbol der Vernichtung." Aus großer historischer Perspektive stimmt zwar die Begründung der vier Autoren, denn ähnliche Markierungen existierten im Mittelalter, aber es gab auch damals Pogrome gegen Juden. Gleichwohl scheint mir diese Stelle auf den Fall Palmer hingebogen zu sein. Jedenfalls war dessen Vergleich und Selbststilisierung als Opfer geschmacklos.
Ob man den Argumenten ganz oder teilweise zustimmt oder sie für abwegig hält: Eine Auseinandersetzung ist schon deshalb wichtig, weil man die Argumente kennen sollte, und so leicht lassen sie sich nicht zur Seite wischen. Notfalls muss man es so betrachten, wie es der Kabarettist Volker Pispers einmal auf den Punkt brachte: Wenn man weiß, wo der Feind steht, hat der Tag Struktur. Ich halte das gegen den Strich gebürstete Stück für anregend.
Quelle: Prof. Dr. Egon Flaig, Prof. Dr. Christian F. Majer, Prof. Dr. Burkhard Meißner, Prof. Dr. Aglaja Stirn Bild: picture alliance www.cicero.de
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Grundsätzlich den leichtfertig zugeworfenen Begriff "Nazi" zu thematisieren, ist wichtig aber nichts Neues. Sich dazu ausgerechnet den Fall Palmer zu nehmen, finde ich ungeschickt und irgendwie am aktuellen Stand vorbei.
Wenn, wir schon von Palmer reden:
Es ist quasi Palmer's Stilmittel, erst zu pointieren, um dann in dieser Aufmerksamkeit seinen Punkt machen zu wollen.
Mich hat in der Überschrift das Wort Verteidigung angesprochen und tatsächlich fand ich es erstaunlich offen und authentisch, weshalb Palmer eine Auszeit nimmt: er hat ein Verhaltensmuster bei sich entdeckt, was ihn immer wieder dermaßen anecken lässt, dass er seine oft durchaus validen Ideen nicht wirksam in die allgemeine Diskussion einbringen kann. Er überspitzt, überreagiert, greift zu schnell zum Gegenangriff. Das öffentlich zu gestehen, bedarf m.E. Verteidigung. Es wurde als Kuriosität, Climax und Ende eines öffentlichen Dramas abgetan.
Aber das wäre dann ein ganz anderer Artikel.