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Kurator'in für: Fundstücke Zeit und Geschichte
Seit der ersten Stunde als Kurator bei Forum dabei: Dirk Liesemer arbeitet als Journalist für Magazine wie mare und G/Geschichte. Er hat Politik, Philosophie und Öffentliches Recht studiert, die Henri-Nannen-Journalistenschule besucht, immer mal wieder in Redaktionen gearbeitet und ehrenamtlich eine Reihe von Recherchereisen mitorganisiert und begleitet. Bisher fünf Bücher, darunter "Café Größenwahn" (2023), ein Ausflug zu den großen Kaffeehausliteraten des Fin de Siècle. Foto: Andreas Unger
Eigentlich wollte ich diesen Beitrag nicht auf "Seite Eins" setzen – bis ich gesehen habe, wie umfassend und polemisch er mittlerweile diskutiert wird.
Rudolf Stöber, Professor für Kommunikationswissenschaft an der Universität Bamberg, hat sich in einem soliden Aufsatz mit bestimmten Formen des Genderns befasst. Grundsätzlich wendet er sich jedoch nicht gegen das Gendern. Sein Text wurde Ende Dezember in einem Fachmedium veröffentlicht und hat wütende Reaktionen hervorgerufen – offenbar bis hin zu der übergriffigen Forderung, man müsse die redaktionelle Autonomie der Fachzeitschrift beschneiden. Auf die Reaktionen folgten wiederum zahlreiche Gegenreaktionen.
Der Medienwissenschaftler Stephan Ruß-Mohl fasst den Aufsatz und die darauf folgenden Ereignisse im Tagesspiegel zusammen. Über Stöbers Text merkt er an: "Fachlich ist er fraglos fundierter als das meiste, was auch in hochwertigen Zeitungen zum Thema bisher zu lesen war", er sei "gründlich recherchiert und voller wissenswerter Details", ferner "mit dem Gütesiegel kollegialer Prüfung versehen". Und er wirft den Kritikern vor, Stöbers "differenzierte Aussagen grob verfälscht" zu haben.
Zu Recht fordert Ruß-Mohl die Debatte zu nutzen, um sich intensiv mit der Presse-, Meinungs- und Redefreiheit zu befassen. Schon über "Genderstern-Druck" sollte man nicht einfach hinweglächeln. In England wird übrigens mittlerweile im Parlament über ein Gesetz zur Redefreiheit an den Universitäten debattiert.
Empfehlen will ich hier vor allem Stöbers lesenswerten Text. Er kritisiert etwa, dass an den Universitäten permanent gegen die Empfehlungen vom "Rat der deutschen Rechtschreibung" verstoßen werde, obwohl sie diesen eigentlich folgen sollen. Und er fragt, ob Gendersternchen und Binnen-I die Wirkung haben, die sich die Befürworter von ihnen erhoffen: Werden solche Texte beispielsweise besser oder schlechter erinnert? Dazu gebe es bislang nur vereinzelte, widersprüchliche Studien. Sein Aufsatz endet mit folgender zugespitzter Bemerkung:
Meine Mutmaßung ist, dass Gendern die Mehrzahl der Bevölkerung kaum interessiert; dass das Gendern in Schrift und Sprache außerhalb bestimmter Milieus eher auf Ablehnung stoßen wird; dass zum infamen Vorwurf der „Lügenpresse“ irgendwann noch der satirische Vorwurf des „Stolper-Rundfunks“ kommen wird. Meine Mutmaßung ist, dass durch die penetrante Redundanz von Trivialitäten neben der Sprach- auch eine Informationsverarmung eintreten wird. Und mit Rechtsradikalen, die gegen „Scheiß-Aktivist*_Innen“ pöbeln, möchte ich nicht einmal zeichentheoretisch in einem Boot sitzen.
Während an den Universitäten noch gestritten wird, ist die Partei Die Linke schon weiter. Sie hat vor einigen Monaten beschlossen, bei Texten auf kryptische Genderzeichen zu verzichten. Der Grund: "Im Interesse des flüssigen Lesens und der Maschinenlesbarkeit ist auf eine ‚gegenderte‘ Schreibweise zu verzichten. Es ist also stets von ‚Nutzerinnen und Nutzer‘ zu schreiben." Hintergrund ist, dass man blinden und sehbehinderten Menschen ermöglichen will, auch weiterhin Dokumente im Internet lesen zu können.
Nachtrag Und bevor jemand fragt, warum denn blinde Menschen überhaupt lesen können: Als blind gilt jeder, dessen Restsehen weniger als zwei Prozent beträgt. Das reicht gerade noch, um etwa mithilfe einer Lupenbrille Texte erfassen zu können. Dass Gendersternchen dabei als irritierend empfunden werden, sollte nicht verwundern. Nur wer gar nichts mehr sieht, ist der Definition nach vollblind.
Quelle: Rudolf Stöber link.springer.com
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bevor ichs lese: die Linke verzichtet auf Gendersternchen - sehr irritierend, wo man doch daran die Linken erkennt.
(Ironie aus :))